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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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zu sich brachte. Neben ihm fiel bald nachher einer der türkischen Derwische.
Gräßlich sah es aus, wie ein dritter dieser wüsten Fanatiker, gleichfalls auf
den Rücken geworfen, die Augen rollte und mit allen Gliedern zuckte, und
wie seine Brust gleich der eines am Stickfluß Verscheidenden sich hob und
senkte. Den Gipfel des Grauenhaften aber auf diesem Schlachtfelde religiösen
Wahnsinns bildeten zwei Türken, die, als ob sie zeigen wollten, wer es am
längsten aushielte, lange nach Beruhigung der andern noch immer mit Brüllen
und Bücken fortfuhren, bis endlich, nachdem der eine umgesunken, der andere
in vollkommener Naserei wie geblendet umher taumelte, krampfhaft in die.Luft
griff, ein Geheul ausstieß und endlich, -sich zu einem wüthenden Sprunge
zusammennehmend, mit solcher Gewalt mit dem Kopfe gegen die Wand rannte,
daß er mehre Schritte zurückprallte und dann wie todt niederstürzte.

Es war kein Gaukelspiel; denn deutlich hörten wir den dumpfe" Schall
des Stoßes, und deutlich sahen wir die große Beule, die sofort an der ge¬
troffenen Stelle auslief. Es war auch kein unwillkürlicher Stoß. Denn kaum
hatte der Rasende einige Secunden am Boden gelegen, als er wieder auf¬
sprang und das widerwärtige Spiel wiederholte. Ja zum dritten Male riß
er sich empor, und noch einmal würden wir Zeigen dieses Manövers geworden
sein, wenn er dies Mal nicht vor der Wand und ohne seine Absicht erfüllen
zu können, zusammengebrochen wäre.

Niemand schien Schrecken über sein Gebahren zu empfinden. Niemand
hielt ihn ab von dem Versuch, sich den Schädel einzurennen. Nur Neulinge
konnten sich überhaupt über ihn wundern. Denn wie wir später vernahmen,
geht fast keiner der Zikrs vorüber, ohne einige der Theilnehmer im Zustande'
momentaner Verrücktheit zurückzulassen.

Das ist schlimm, und manches Andere, was sich an die religiösen Ue¬
bungen der Derwische knüpft und weiter unten erzählt werden soll, ist vielleicht
noch weit schlimmer. Dennoch hat das Abendland und das Christenthum keine.
Ursache, sich beim Hinblicke auf solche Verirrungen dem Morgenland und dem
Islam gegenüber in die Brust zu werfen oder gar Steine aufzuheben.
erleuchteten England treibt die Sekte der Jumpers ganz ähnliche Thorheiten-
In den Vereinigten Staaten befinden sich achtzehn Niederlassungen von Shakern
mit ungefähr fünftausend Bewohnern, welche Gott ebenfalls durch Tanz ver¬
ehren, und welche, wenn dieser ihr Tanz nicht ganz so wild als der Zikr deö
Orients ist, dafür ein weit sinnloseres Glaubensbekenntniß als die Derwische
haben. Die Campmeetings der Methodisten und Baptisten bedienen sich f"se
derselben Mittel nach fast derselben Methode zur Steigerung der Inbrunst,
und sind sehr oft von denselben Wirkungen begleitet, wie die g"ttesdieustlichen
Versammlungen dieser muhammedanischen Pietisten, und noch ist wenigstens !"
Amerika die Zeit nicht vorüber, wo Vorfälle wie die, welche wir im, Folgenden


zu sich brachte. Neben ihm fiel bald nachher einer der türkischen Derwische.
Gräßlich sah es aus, wie ein dritter dieser wüsten Fanatiker, gleichfalls auf
den Rücken geworfen, die Augen rollte und mit allen Gliedern zuckte, und
wie seine Brust gleich der eines am Stickfluß Verscheidenden sich hob und
senkte. Den Gipfel des Grauenhaften aber auf diesem Schlachtfelde religiösen
Wahnsinns bildeten zwei Türken, die, als ob sie zeigen wollten, wer es am
längsten aushielte, lange nach Beruhigung der andern noch immer mit Brüllen
und Bücken fortfuhren, bis endlich, nachdem der eine umgesunken, der andere
in vollkommener Naserei wie geblendet umher taumelte, krampfhaft in die.Luft
griff, ein Geheul ausstieß und endlich, -sich zu einem wüthenden Sprunge
zusammennehmend, mit solcher Gewalt mit dem Kopfe gegen die Wand rannte,
daß er mehre Schritte zurückprallte und dann wie todt niederstürzte.

Es war kein Gaukelspiel; denn deutlich hörten wir den dumpfe» Schall
des Stoßes, und deutlich sahen wir die große Beule, die sofort an der ge¬
troffenen Stelle auslief. Es war auch kein unwillkürlicher Stoß. Denn kaum
hatte der Rasende einige Secunden am Boden gelegen, als er wieder auf¬
sprang und das widerwärtige Spiel wiederholte. Ja zum dritten Male riß
er sich empor, und noch einmal würden wir Zeigen dieses Manövers geworden
sein, wenn er dies Mal nicht vor der Wand und ohne seine Absicht erfüllen
zu können, zusammengebrochen wäre.

Niemand schien Schrecken über sein Gebahren zu empfinden. Niemand
hielt ihn ab von dem Versuch, sich den Schädel einzurennen. Nur Neulinge
konnten sich überhaupt über ihn wundern. Denn wie wir später vernahmen,
geht fast keiner der Zikrs vorüber, ohne einige der Theilnehmer im Zustande'
momentaner Verrücktheit zurückzulassen.

Das ist schlimm, und manches Andere, was sich an die religiösen Ue¬
bungen der Derwische knüpft und weiter unten erzählt werden soll, ist vielleicht
noch weit schlimmer. Dennoch hat das Abendland und das Christenthum keine.
Ursache, sich beim Hinblicke auf solche Verirrungen dem Morgenland und dem
Islam gegenüber in die Brust zu werfen oder gar Steine aufzuheben.
erleuchteten England treibt die Sekte der Jumpers ganz ähnliche Thorheiten-
In den Vereinigten Staaten befinden sich achtzehn Niederlassungen von Shakern
mit ungefähr fünftausend Bewohnern, welche Gott ebenfalls durch Tanz ver¬
ehren, und welche, wenn dieser ihr Tanz nicht ganz so wild als der Zikr deö
Orients ist, dafür ein weit sinnloseres Glaubensbekenntniß als die Derwische
haben. Die Campmeetings der Methodisten und Baptisten bedienen sich f"se
derselben Mittel nach fast derselben Methode zur Steigerung der Inbrunst,
und sind sehr oft von denselben Wirkungen begleitet, wie die g»ttesdieustlichen
Versammlungen dieser muhammedanischen Pietisten, und noch ist wenigstens !"
Amerika die Zeit nicht vorüber, wo Vorfälle wie die, welche wir im, Folgenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/462>, abgerufen am 28.07.2024.