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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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und wird nur dadurch im Kreise erhalten, daß seine Nachbarn ihn unter den
Armen fassen. Der tanzende Knabe dreht sich ruhig mit auf die Seite ge¬
legtem Kopfe und halbgeschlossenen Augen fort. Nichts verräth, daß er sich
anstrengt, nur die Wangen sind etwas geröthet.

Und noch immer war die Inbrunst im Wachsen. Schon lag ein Haufe
abgelegter Kleider und Turbane vor dem weißgekleideten Schech, der stumm
und ohne eine Miene zu verziehen, nur zuweilen und dann kaum bemerkbar
an den Verneigungen Theil nehmend, vor der GebetSnische stand. Das Bücken
war jetzt allenthalben zu krampfhaftem Auf- und Niederzucken geworden, das
zum Gebrüll gesteigerte Stöhnen hallte wie ein Chor von ebenso vielen Löwen¬
stimmen in der Wölbung der Kuppel wieder. Dazwischen hinein kreischten die
Flöten, klingelten die Becken, jubelte tremulirend die Stimme des Hymnen¬
sängers. Die Haare der türkischen Derwische sausten förmlich durch die Luft.
Von den jüngern Leuten schienen die meisten sich nur mit Mühe in den Ge¬
lenken zu erhalten. Mehre hatten das Aussehen von Betrunkenen. Häufiger
und immer häufiger machte der Taumelgeist, der sich der Versammlung be¬
mächtigt, sich in ächzenden Allahruf Lust. Grauen, Entsetzen, Ekel malte
sich aus den Gesichtern der Zuschauer. Der Wirth unsers Hotels sah sich
genöthigt, hinauszugehen. Er gestand später, das Schauspiel habe auf ihn
wie das kräftigste Brechmittel gewirkt, und noch am nächsten Morgen hatte er
den Eindruck nicht verwunden. Der tanzende Knabe aber drehte sich ruhig
fort, bis er nach ungefähr zwanzig Minuten plötzlich, wie er begonnen, auf¬
hörte, seinen Mantel vom Boden aufnahm und sich in die Reihe an seinen
alten Platz stellte.

Es folgte, wieder eine kurze Pause. Dann fing das Bücken von neuem
an, und zwar jetzt nach dem Rufe "He! Hu!", der später'zu einem: "He!
Hu ! He!" wurde, woran sich jedes Mal das Wort "Allah!" jetzt als Trochäus
ausgesprochen schloß. Bei "He" knickten alle Knie, bei "Huh" verbeugten
sich alle Köpfe, beim zweiten "He" schnellten alle Leiber wieder in die Höhe-
Da viele zusammenzustürzen oder sich bei dem Ruck der Kette nach hinten z"
überschlagen drohten, so vertheilte der Vorsteher die Stärkeren unter die
Schwächeren, und es hielten sich jetzt ganze Gruppen unter den Armen ge¬
faßt. Die Inbrunst der Versammlung war in volle Naserei verwandelt, fast
überall verdrehte Augen, verzerrte Züge, wankende Füße.

Wir glaubten, man müsse nun des Tobens genug haben; denn die Er¬
schöpfung mußte ungeheuer sein. Aber wir hatten die Ausdauer dieser arabischen
Sehnen und Lungen nicht beoacht, auch nicht überlegt, was fleißige Uebung
selbst aus schwachen Naturen machen kann. Noch einmal loderte das erlöschende
Feuer auf. Der Vorsteher riß eine der Pauken von der Wand und schlug
mit dem Knüppel darauf, daß das Fell hätte springen können. Ein alter


und wird nur dadurch im Kreise erhalten, daß seine Nachbarn ihn unter den
Armen fassen. Der tanzende Knabe dreht sich ruhig mit auf die Seite ge¬
legtem Kopfe und halbgeschlossenen Augen fort. Nichts verräth, daß er sich
anstrengt, nur die Wangen sind etwas geröthet.

Und noch immer war die Inbrunst im Wachsen. Schon lag ein Haufe
abgelegter Kleider und Turbane vor dem weißgekleideten Schech, der stumm
und ohne eine Miene zu verziehen, nur zuweilen und dann kaum bemerkbar
an den Verneigungen Theil nehmend, vor der GebetSnische stand. Das Bücken
war jetzt allenthalben zu krampfhaftem Auf- und Niederzucken geworden, das
zum Gebrüll gesteigerte Stöhnen hallte wie ein Chor von ebenso vielen Löwen¬
stimmen in der Wölbung der Kuppel wieder. Dazwischen hinein kreischten die
Flöten, klingelten die Becken, jubelte tremulirend die Stimme des Hymnen¬
sängers. Die Haare der türkischen Derwische sausten förmlich durch die Luft.
Von den jüngern Leuten schienen die meisten sich nur mit Mühe in den Ge¬
lenken zu erhalten. Mehre hatten das Aussehen von Betrunkenen. Häufiger
und immer häufiger machte der Taumelgeist, der sich der Versammlung be¬
mächtigt, sich in ächzenden Allahruf Lust. Grauen, Entsetzen, Ekel malte
sich aus den Gesichtern der Zuschauer. Der Wirth unsers Hotels sah sich
genöthigt, hinauszugehen. Er gestand später, das Schauspiel habe auf ihn
wie das kräftigste Brechmittel gewirkt, und noch am nächsten Morgen hatte er
den Eindruck nicht verwunden. Der tanzende Knabe aber drehte sich ruhig
fort, bis er nach ungefähr zwanzig Minuten plötzlich, wie er begonnen, auf¬
hörte, seinen Mantel vom Boden aufnahm und sich in die Reihe an seinen
alten Platz stellte.

Es folgte, wieder eine kurze Pause. Dann fing das Bücken von neuem
an, und zwar jetzt nach dem Rufe „He! Hu!", der später'zu einem: „He!
Hu ! He!" wurde, woran sich jedes Mal das Wort „Allah!" jetzt als Trochäus
ausgesprochen schloß. Bei „He" knickten alle Knie, bei „Huh" verbeugten
sich alle Köpfe, beim zweiten „He" schnellten alle Leiber wieder in die Höhe-
Da viele zusammenzustürzen oder sich bei dem Ruck der Kette nach hinten z"
überschlagen drohten, so vertheilte der Vorsteher die Stärkeren unter die
Schwächeren, und es hielten sich jetzt ganze Gruppen unter den Armen ge¬
faßt. Die Inbrunst der Versammlung war in volle Naserei verwandelt, fast
überall verdrehte Augen, verzerrte Züge, wankende Füße.

Wir glaubten, man müsse nun des Tobens genug haben; denn die Er¬
schöpfung mußte ungeheuer sein. Aber wir hatten die Ausdauer dieser arabischen
Sehnen und Lungen nicht beoacht, auch nicht überlegt, was fleißige Uebung
selbst aus schwachen Naturen machen kann. Noch einmal loderte das erlöschende
Feuer auf. Der Vorsteher riß eine der Pauken von der Wand und schlug
mit dem Knüppel darauf, daß das Fell hätte springen können. Ein alter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/460>, abgerufen am 28.07.2024.