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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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ein, wo er die Sommermonate zubrachte. Meinen Vater und uns zwei Töch¬
ter mit Karl. Obwohl unser Gastgeber von unserm Kommen unterrichtet war,
gewahrten wie bald, daß zu unserer Beherbergung keine Anstalt getroffen war.
B. ging Abends mit uns in einen Gasthof und da siel uns sehr aus, daß er
mit dem Kellner um jede Semmel rechnete, doch dies entsprang daher, daß
er wegen seines schlechten Gehöres von Dienstthuenden vielfach betrogen
worden war; denn damals schon mußte man ganz nahe am Ohr sein, um sich
ihm verständlich machen zu können, und ich erinnere mich, daß ich oft in
großer Verlegenheit sogar durch die graulichen Haare dringen mußte, welche
das Ohr verbargen; er sagte auch oft wol selbst: ich muß mir die Haare
schneiden lassen I Wenn man ihn so sah, glaubte man sie wären steif und
struppig, doch waren sie sehr sein und wie er hinein fuhr, blieben sie auch
stehen, was oft komisch aussah. (Einst kam er, als er den Ueberrock auszog,
bemerkten wir ein Loch am Ellbogen, er mußte sich dessen erinnert haben und
wollte ihn wieder anziehen, sagte aber lachend, indem er ihn vollends auszog:
"jetzt haben sich schon gesehen!")

Als wir nun Nachmittags in seiner Behausung angekommen waren,
wurde ein Spaziergang vorgeschlagen; doch unser Wirth wollte nicht mitgehen
und entschuldigte sich, daß er so viel zu thun habe; jedoch versprach er nach¬
zukommen, was auch geschah. Als wir Abends nach Hause kamen, war aber
auch keine Spur von Beherbergung zu sehen. B. murrte, ent-und beschuldigte
die damit beauftragten Personen, und half uns selbst einrichten; o wie in¬
teressant war es! mit seiner Hilfe ein leichtes Sofa weiter zu schaffen. Uns
Mädchen wurde ein ziemlich großes Zimmer, in welchem sein Clavier stand, zum
Schlafzimmer eingeräumt. Doch der Schlaf blieb in diesem musikalischen Heilig-
thum uns lang, ferne. Ja, und ich muß eS zu meiner Beschämung bekennen,
daß unsere Neu- und Wißbegierde einen großen runden Tisch, welcher sich darin
befand, unserer Untersuchung aussetzte. Namentlich war es ein Notizenbuch,
über das wir uns hermachten. Da war aber ein solcher "Durcheinander"
von wirthschaftlichen Angelegenheiten, auch vieles für uns nicht Leserliche, daß
es unser Staunen erregte; aber stehe da! einer Stelle erinnere ich mich --
da stand: "mein Herz strömt über beim Anblick der schönen Natur, -- obschon
ohne sie!" -- daS gab uns vieles zu denken. Des Morgens brachte uns ein
sehr prosaischer Lärm aus unserer poetischen Stimmung! B. erschien auch bald
mit zerkratzten Gesicht, und klagte uns, daß er mit seinem Bedienten, welcher
zum austretten war, einen Austritt gehabt habe, "sehen Sie, sagte er, so
hat er mich zugerichtet!" Er beklagte sich auch, daß diese Menschen, obwohl sie
wüßten, daß er nicht höre, dennoch nichts thäten, um sich ihm verständlich zu
machen. -- Es wurde dann ein Spaziergang ins schöne Helenenthal gemacht,


ein, wo er die Sommermonate zubrachte. Meinen Vater und uns zwei Töch¬
ter mit Karl. Obwohl unser Gastgeber von unserm Kommen unterrichtet war,
gewahrten wie bald, daß zu unserer Beherbergung keine Anstalt getroffen war.
B. ging Abends mit uns in einen Gasthof und da siel uns sehr aus, daß er
mit dem Kellner um jede Semmel rechnete, doch dies entsprang daher, daß
er wegen seines schlechten Gehöres von Dienstthuenden vielfach betrogen
worden war; denn damals schon mußte man ganz nahe am Ohr sein, um sich
ihm verständlich machen zu können, und ich erinnere mich, daß ich oft in
großer Verlegenheit sogar durch die graulichen Haare dringen mußte, welche
das Ohr verbargen; er sagte auch oft wol selbst: ich muß mir die Haare
schneiden lassen I Wenn man ihn so sah, glaubte man sie wären steif und
struppig, doch waren sie sehr sein und wie er hinein fuhr, blieben sie auch
stehen, was oft komisch aussah. (Einst kam er, als er den Ueberrock auszog,
bemerkten wir ein Loch am Ellbogen, er mußte sich dessen erinnert haben und
wollte ihn wieder anziehen, sagte aber lachend, indem er ihn vollends auszog:
„jetzt haben sich schon gesehen!")

Als wir nun Nachmittags in seiner Behausung angekommen waren,
wurde ein Spaziergang vorgeschlagen; doch unser Wirth wollte nicht mitgehen
und entschuldigte sich, daß er so viel zu thun habe; jedoch versprach er nach¬
zukommen, was auch geschah. Als wir Abends nach Hause kamen, war aber
auch keine Spur von Beherbergung zu sehen. B. murrte, ent-und beschuldigte
die damit beauftragten Personen, und half uns selbst einrichten; o wie in¬
teressant war es! mit seiner Hilfe ein leichtes Sofa weiter zu schaffen. Uns
Mädchen wurde ein ziemlich großes Zimmer, in welchem sein Clavier stand, zum
Schlafzimmer eingeräumt. Doch der Schlaf blieb in diesem musikalischen Heilig-
thum uns lang, ferne. Ja, und ich muß eS zu meiner Beschämung bekennen,
daß unsere Neu- und Wißbegierde einen großen runden Tisch, welcher sich darin
befand, unserer Untersuchung aussetzte. Namentlich war es ein Notizenbuch,
über das wir uns hermachten. Da war aber ein solcher „Durcheinander"
von wirthschaftlichen Angelegenheiten, auch vieles für uns nicht Leserliche, daß
es unser Staunen erregte; aber stehe da! einer Stelle erinnere ich mich —
da stand: „mein Herz strömt über beim Anblick der schönen Natur, — obschon
ohne sie!" — daS gab uns vieles zu denken. Des Morgens brachte uns ein
sehr prosaischer Lärm aus unserer poetischen Stimmung! B. erschien auch bald
mit zerkratzten Gesicht, und klagte uns, daß er mit seinem Bedienten, welcher
zum austretten war, einen Austritt gehabt habe, „sehen Sie, sagte er, so
hat er mich zugerichtet!" Er beklagte sich auch, daß diese Menschen, obwohl sie
wüßten, daß er nicht höre, dennoch nichts thäten, um sich ihm verständlich zu
machen. — Es wurde dann ein Spaziergang ins schöne Helenenthal gemacht,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/40>, abgerufen am 28.07.2024.