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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Beethovens Neffe verblieb nur zwei Jahre im Institut meines Vaters;
vom Februar 1816 bis 1818. Dann wollte er ihn, für uns so unerwartet,
daß wir glaubten, es sei ihm etwas mißfällig gewesen, zu sich selbst nehmen;
die wahre Ursache war, daß er ihn wegen der Musik unter den Augen haben
wollte, ich glaube, daß er den Gedanken hatte, ihn gründlich für dieselbe aus¬
zubilden. Wir waren sehr betrübt über diesen Vorfall, und so aus aller
Verbindung mit ihm zu kommen. -- Doch nicht lange währte es, und er mühte
einsehen, daß es bei ihm so nicht fortgehen konnte, und eines Tages kam
B. in 'großer Aufregung, suchte Rath und Hilfe bei meinem Vater und
klagte, daß ihm Karl davon gelaufen wäre! Bei dieser Gelegenheit erinnere
ich mich, daß er unter unserm großen und innigem Mitgefühl weinend ausrief:
"er schämt sich meiner'." Nachdem Karl wieder aufgefunden, bat B. meinen
Vater, den Delinquenten in Gewahrsam zu nehmen, bis auf weitere Entschlie¬
ßung. So geschah es, daß er einige Wochen auf diese Weise in unserm Haus
verweilte; da wurde dem Onkel das Herz schwer, er brachte, mehre Klagen vor,
eS sei in dem Zimmer Karls zu kalt gewesen, in. -- und er nahm ihn wieder
zu sich. Er wollte ihn später wieder ins Institut geben, aber trotz unserm
Flehen, dies Mal blieb unser Vater unerbittlich und nahm ihn nicht mehr.
Wir hörten dann, daß B. ihn in ein anderes Institut, dessen Inhaber
Blöchlinger hieß, gegeben hatt?. -- B--s Neffe hatte einst bei uns eine Ope¬
ration zu bestehen, und da konnte man seines Oheims reges Dankgefühl er¬
kennen. In einem seiner Briefe an meinen Vater wird darüber abgehandelt und
besonders erwähnte er meiner Mutter, die dabei hilfreich und ausdauernd zugegen
war. Wenn er, nachdem die Verbindung durch seinen Neffen abgebrochen
war, meiner Mutter begegnete, sagte er, indem er ihr so kräftig die Hand
schüttelte, daß sie noch lange daran denken mußte, "ich weiß eS, ich soll
Sie besuchen'."

Umstände und traurige Lebensverhältnisse auch unserer Familie brachten
uns mit Beethoven so auseinander, daß wir zuletzt gar wenig von ihm hörten.
Ich klagte dies nach seinem Tode einem guten Bekannten von ihm, der während
seiner letzten Krankheit oft bei ihm war, ich sagte ihm auch, wie wehe es mir
wäre, daß wir ihn in seiner Krankheit nicht einmal besucht hätten, da meinte
jener Herr aber, das solle mir gar nicht leid thun; denn B. habe während der
Zeit eine große Scheu vor weiblichen Besuchen gehabt; so daß er, als er
einmal glaubte, es käme eine Dame, sich sehr ängstlich und abwehrend äußerte.
Derselbe cherr erzählte mir, daß er in früherer Zeit öfter in engerem Zirkel
der Aufführung von Musiken von Beethoven beiwohnte, wo auch er zugegen
war, da konnte man fortwährend seine Selbstgespräche beobachten, so sagte er
einmal: "jetzt kommt der ungerathene Sohn'."

Als sein Neffe noch bei uns war, lud uns B. einmal zu sich nach Baden


Beethovens Neffe verblieb nur zwei Jahre im Institut meines Vaters;
vom Februar 1816 bis 1818. Dann wollte er ihn, für uns so unerwartet,
daß wir glaubten, es sei ihm etwas mißfällig gewesen, zu sich selbst nehmen;
die wahre Ursache war, daß er ihn wegen der Musik unter den Augen haben
wollte, ich glaube, daß er den Gedanken hatte, ihn gründlich für dieselbe aus¬
zubilden. Wir waren sehr betrübt über diesen Vorfall, und so aus aller
Verbindung mit ihm zu kommen. — Doch nicht lange währte es, und er mühte
einsehen, daß es bei ihm so nicht fortgehen konnte, und eines Tages kam
B. in 'großer Aufregung, suchte Rath und Hilfe bei meinem Vater und
klagte, daß ihm Karl davon gelaufen wäre! Bei dieser Gelegenheit erinnere
ich mich, daß er unter unserm großen und innigem Mitgefühl weinend ausrief:
„er schämt sich meiner'." Nachdem Karl wieder aufgefunden, bat B. meinen
Vater, den Delinquenten in Gewahrsam zu nehmen, bis auf weitere Entschlie¬
ßung. So geschah es, daß er einige Wochen auf diese Weise in unserm Haus
verweilte; da wurde dem Onkel das Herz schwer, er brachte, mehre Klagen vor,
eS sei in dem Zimmer Karls zu kalt gewesen, in. — und er nahm ihn wieder
zu sich. Er wollte ihn später wieder ins Institut geben, aber trotz unserm
Flehen, dies Mal blieb unser Vater unerbittlich und nahm ihn nicht mehr.
Wir hörten dann, daß B. ihn in ein anderes Institut, dessen Inhaber
Blöchlinger hieß, gegeben hatt?. — B—s Neffe hatte einst bei uns eine Ope¬
ration zu bestehen, und da konnte man seines Oheims reges Dankgefühl er¬
kennen. In einem seiner Briefe an meinen Vater wird darüber abgehandelt und
besonders erwähnte er meiner Mutter, die dabei hilfreich und ausdauernd zugegen
war. Wenn er, nachdem die Verbindung durch seinen Neffen abgebrochen
war, meiner Mutter begegnete, sagte er, indem er ihr so kräftig die Hand
schüttelte, daß sie noch lange daran denken mußte, „ich weiß eS, ich soll
Sie besuchen'."

Umstände und traurige Lebensverhältnisse auch unserer Familie brachten
uns mit Beethoven so auseinander, daß wir zuletzt gar wenig von ihm hörten.
Ich klagte dies nach seinem Tode einem guten Bekannten von ihm, der während
seiner letzten Krankheit oft bei ihm war, ich sagte ihm auch, wie wehe es mir
wäre, daß wir ihn in seiner Krankheit nicht einmal besucht hätten, da meinte
jener Herr aber, das solle mir gar nicht leid thun; denn B. habe während der
Zeit eine große Scheu vor weiblichen Besuchen gehabt; so daß er, als er
einmal glaubte, es käme eine Dame, sich sehr ängstlich und abwehrend äußerte.
Derselbe cherr erzählte mir, daß er in früherer Zeit öfter in engerem Zirkel
der Aufführung von Musiken von Beethoven beiwohnte, wo auch er zugegen
war, da konnte man fortwährend seine Selbstgespräche beobachten, so sagte er
einmal: „jetzt kommt der ungerathene Sohn'."

Als sein Neffe noch bei uns war, lud uns B. einmal zu sich nach Baden


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[0039] Beethovens Neffe verblieb nur zwei Jahre im Institut meines Vaters; vom Februar 1816 bis 1818. Dann wollte er ihn, für uns so unerwartet, daß wir glaubten, es sei ihm etwas mißfällig gewesen, zu sich selbst nehmen; die wahre Ursache war, daß er ihn wegen der Musik unter den Augen haben wollte, ich glaube, daß er den Gedanken hatte, ihn gründlich für dieselbe aus¬ zubilden. Wir waren sehr betrübt über diesen Vorfall, und so aus aller Verbindung mit ihm zu kommen. — Doch nicht lange währte es, und er mühte einsehen, daß es bei ihm so nicht fortgehen konnte, und eines Tages kam B. in 'großer Aufregung, suchte Rath und Hilfe bei meinem Vater und klagte, daß ihm Karl davon gelaufen wäre! Bei dieser Gelegenheit erinnere ich mich, daß er unter unserm großen und innigem Mitgefühl weinend ausrief: „er schämt sich meiner'." Nachdem Karl wieder aufgefunden, bat B. meinen Vater, den Delinquenten in Gewahrsam zu nehmen, bis auf weitere Entschlie¬ ßung. So geschah es, daß er einige Wochen auf diese Weise in unserm Haus verweilte; da wurde dem Onkel das Herz schwer, er brachte, mehre Klagen vor, eS sei in dem Zimmer Karls zu kalt gewesen, in. — und er nahm ihn wieder zu sich. Er wollte ihn später wieder ins Institut geben, aber trotz unserm Flehen, dies Mal blieb unser Vater unerbittlich und nahm ihn nicht mehr. Wir hörten dann, daß B. ihn in ein anderes Institut, dessen Inhaber Blöchlinger hieß, gegeben hatt?. — B—s Neffe hatte einst bei uns eine Ope¬ ration zu bestehen, und da konnte man seines Oheims reges Dankgefühl er¬ kennen. In einem seiner Briefe an meinen Vater wird darüber abgehandelt und besonders erwähnte er meiner Mutter, die dabei hilfreich und ausdauernd zugegen war. Wenn er, nachdem die Verbindung durch seinen Neffen abgebrochen war, meiner Mutter begegnete, sagte er, indem er ihr so kräftig die Hand schüttelte, daß sie noch lange daran denken mußte, „ich weiß eS, ich soll Sie besuchen'." Umstände und traurige Lebensverhältnisse auch unserer Familie brachten uns mit Beethoven so auseinander, daß wir zuletzt gar wenig von ihm hörten. Ich klagte dies nach seinem Tode einem guten Bekannten von ihm, der während seiner letzten Krankheit oft bei ihm war, ich sagte ihm auch, wie wehe es mir wäre, daß wir ihn in seiner Krankheit nicht einmal besucht hätten, da meinte jener Herr aber, das solle mir gar nicht leid thun; denn B. habe während der Zeit eine große Scheu vor weiblichen Besuchen gehabt; so daß er, als er einmal glaubte, es käme eine Dame, sich sehr ängstlich und abwehrend äußerte. Derselbe cherr erzählte mir, daß er in früherer Zeit öfter in engerem Zirkel der Aufführung von Musiken von Beethoven beiwohnte, wo auch er zugegen war, da konnte man fortwährend seine Selbstgespräche beobachten, so sagte er einmal: „jetzt kommt der ungerathene Sohn'." Als sein Neffe noch bei uns war, lud uns B. einmal zu sich nach Baden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/39>, abgerufen am 28.07.2024.