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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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zwar durch brodlose Agenten, verspudelte Krämer und aller Grundsätze baare
Handlungsreisende. Die Zeitungsmacht ist bereits veraltet. Den meisten der
Leute ist eS zu beschwerlich, eine Viertelstunde etwas zu lesen. Aus diese
Cloaken einmal einen hellen, grellen Schein zu werfen, drängte es mich längst.
Eine Art vaterländischen Zornes hat also daS Buch erzeugt, um deswillen du
mir verzeihen mußt, wenn die Geißel zu hart geschwungen, die Worte gar zu
tief in Galle und Bitterkeit getaucht scheinen. Das Ding war dazu noch
zwischen den zwei Freischarenzügen geschrieben, als eben dieser WirthShaus-
lärm am größten war." -- Jacobs des Gesellen Wanderungen durch
die Schweiz (18i7) geben einen neuen Beweis von der Leichtigkeit des Ver¬
fassers, sich in ungewohnte und seinem Lebenskreise ferne liegende Zustände
einzuleben. Dies Mal galt die Satire dem Communismus in den Gesellen¬
vereinen. Der Held ist wieder ein Verwandter von Käser und Ali. Mit
Recht ruft ihm seine Großmutter zu, als er in die Welt geht: Jacob, du bist
ein Esel und bleibst ein Esel; aber es ist genug gesunder Kern in ihm, um
die Unreife des Charakters allmälig zu überwinden. -- Ein positives Ideal
gegen die Zerfahrenheit der Zeit ist: Kathi die Großmütter (18L7). Ohne
alle Sentimentalität, die oft bei innerer Kälte durch Schilderung der Zustände
des Armen nur Effect machen will, und zu diesem Zweck noch Uebertreibung
zu Hilfe nimmt, schildert Bitzius in dieser bescheidensten Hülle ein edles
Leben, das durch bittern Kampf hindurch sein ärmliches Fahrzeug steuert, nie
den Muth und den Glauben verliert und der nur am Glänzenden hängenden,
und nur im Glänzenden das Große suchenden Welt zeigt, daß der wahre
Werth in äußern Dingen nicht, sondern in der eigenen sittlichen Kraft und
in d,er Gesinnung liege, die den Grundton unseres Lebens ausmacht.
Vortrefflich ist die Charakterzeichnung in den Zwei Erbvettern (18i8). Was
Doctor Dorbach den Wühler betrifft (1848), die Schilderung des verkommenen
Literaten, serner die Käserei in der Vehfreude (1830), Hans Jacob und Heir"
oder die beiden Seidenweber (18S1), Zeitgeist und Bernergeist (18os), und
die Erlebnisse eines Schuldenbauers (18Si), so haben wir in diesen Blättern
unsere Ansicht schon ausführlich auseinandergesetzt. Von dem letzten Buch
sagt der Verfasser selbst, es sei geschrieben aus Erbarmen sür die Ehrlichen
und Fleißigen, und zwar mit Pein geschrieben, denn wohl werde eS einem
nicht in dieser trüben Luft. ES ist ihm in der That dies Mal nicht gelungen,
in ein verkümmertes Leben daS Licht der Poesie einzuführen. Noch vor dem
Druck des Werks starb er.

Wenn er in seinem Amt pflichteifrig und von unermüdlicher Thätigkeit
war, so blieb er bis an sein Lebensende der gute, treue Gesellschafter, die
Gastfreiheit seines Hauses war weitumsassend, und jeder ehrliche Mensch war
ihm willkommen. Reisen hat er wenig gemacht; es war ihm eigentlich nur


zwar durch brodlose Agenten, verspudelte Krämer und aller Grundsätze baare
Handlungsreisende. Die Zeitungsmacht ist bereits veraltet. Den meisten der
Leute ist eS zu beschwerlich, eine Viertelstunde etwas zu lesen. Aus diese
Cloaken einmal einen hellen, grellen Schein zu werfen, drängte es mich längst.
Eine Art vaterländischen Zornes hat also daS Buch erzeugt, um deswillen du
mir verzeihen mußt, wenn die Geißel zu hart geschwungen, die Worte gar zu
tief in Galle und Bitterkeit getaucht scheinen. Das Ding war dazu noch
zwischen den zwei Freischarenzügen geschrieben, als eben dieser WirthShaus-
lärm am größten war." — Jacobs des Gesellen Wanderungen durch
die Schweiz (18i7) geben einen neuen Beweis von der Leichtigkeit des Ver¬
fassers, sich in ungewohnte und seinem Lebenskreise ferne liegende Zustände
einzuleben. Dies Mal galt die Satire dem Communismus in den Gesellen¬
vereinen. Der Held ist wieder ein Verwandter von Käser und Ali. Mit
Recht ruft ihm seine Großmutter zu, als er in die Welt geht: Jacob, du bist
ein Esel und bleibst ein Esel; aber es ist genug gesunder Kern in ihm, um
die Unreife des Charakters allmälig zu überwinden. — Ein positives Ideal
gegen die Zerfahrenheit der Zeit ist: Kathi die Großmütter (18L7). Ohne
alle Sentimentalität, die oft bei innerer Kälte durch Schilderung der Zustände
des Armen nur Effect machen will, und zu diesem Zweck noch Uebertreibung
zu Hilfe nimmt, schildert Bitzius in dieser bescheidensten Hülle ein edles
Leben, das durch bittern Kampf hindurch sein ärmliches Fahrzeug steuert, nie
den Muth und den Glauben verliert und der nur am Glänzenden hängenden,
und nur im Glänzenden das Große suchenden Welt zeigt, daß der wahre
Werth in äußern Dingen nicht, sondern in der eigenen sittlichen Kraft und
in d,er Gesinnung liege, die den Grundton unseres Lebens ausmacht.
Vortrefflich ist die Charakterzeichnung in den Zwei Erbvettern (18i8). Was
Doctor Dorbach den Wühler betrifft (1848), die Schilderung des verkommenen
Literaten, serner die Käserei in der Vehfreude (1830), Hans Jacob und Heir«
oder die beiden Seidenweber (18S1), Zeitgeist und Bernergeist (18os), und
die Erlebnisse eines Schuldenbauers (18Si), so haben wir in diesen Blättern
unsere Ansicht schon ausführlich auseinandergesetzt. Von dem letzten Buch
sagt der Verfasser selbst, es sei geschrieben aus Erbarmen sür die Ehrlichen
und Fleißigen, und zwar mit Pein geschrieben, denn wohl werde eS einem
nicht in dieser trüben Luft. ES ist ihm in der That dies Mal nicht gelungen,
in ein verkümmertes Leben daS Licht der Poesie einzuführen. Noch vor dem
Druck des Werks starb er.

Wenn er in seinem Amt pflichteifrig und von unermüdlicher Thätigkeit
war, so blieb er bis an sein Lebensende der gute, treue Gesellschafter, die
Gastfreiheit seines Hauses war weitumsassend, und jeder ehrliche Mensch war
ihm willkommen. Reisen hat er wenig gemacht; es war ihm eigentlich nur


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[0386] zwar durch brodlose Agenten, verspudelte Krämer und aller Grundsätze baare Handlungsreisende. Die Zeitungsmacht ist bereits veraltet. Den meisten der Leute ist eS zu beschwerlich, eine Viertelstunde etwas zu lesen. Aus diese Cloaken einmal einen hellen, grellen Schein zu werfen, drängte es mich längst. Eine Art vaterländischen Zornes hat also daS Buch erzeugt, um deswillen du mir verzeihen mußt, wenn die Geißel zu hart geschwungen, die Worte gar zu tief in Galle und Bitterkeit getaucht scheinen. Das Ding war dazu noch zwischen den zwei Freischarenzügen geschrieben, als eben dieser WirthShaus- lärm am größten war." — Jacobs des Gesellen Wanderungen durch die Schweiz (18i7) geben einen neuen Beweis von der Leichtigkeit des Ver¬ fassers, sich in ungewohnte und seinem Lebenskreise ferne liegende Zustände einzuleben. Dies Mal galt die Satire dem Communismus in den Gesellen¬ vereinen. Der Held ist wieder ein Verwandter von Käser und Ali. Mit Recht ruft ihm seine Großmutter zu, als er in die Welt geht: Jacob, du bist ein Esel und bleibst ein Esel; aber es ist genug gesunder Kern in ihm, um die Unreife des Charakters allmälig zu überwinden. — Ein positives Ideal gegen die Zerfahrenheit der Zeit ist: Kathi die Großmütter (18L7). Ohne alle Sentimentalität, die oft bei innerer Kälte durch Schilderung der Zustände des Armen nur Effect machen will, und zu diesem Zweck noch Uebertreibung zu Hilfe nimmt, schildert Bitzius in dieser bescheidensten Hülle ein edles Leben, das durch bittern Kampf hindurch sein ärmliches Fahrzeug steuert, nie den Muth und den Glauben verliert und der nur am Glänzenden hängenden, und nur im Glänzenden das Große suchenden Welt zeigt, daß der wahre Werth in äußern Dingen nicht, sondern in der eigenen sittlichen Kraft und in d,er Gesinnung liege, die den Grundton unseres Lebens ausmacht. Vortrefflich ist die Charakterzeichnung in den Zwei Erbvettern (18i8). Was Doctor Dorbach den Wühler betrifft (1848), die Schilderung des verkommenen Literaten, serner die Käserei in der Vehfreude (1830), Hans Jacob und Heir« oder die beiden Seidenweber (18S1), Zeitgeist und Bernergeist (18os), und die Erlebnisse eines Schuldenbauers (18Si), so haben wir in diesen Blättern unsere Ansicht schon ausführlich auseinandergesetzt. Von dem letzten Buch sagt der Verfasser selbst, es sei geschrieben aus Erbarmen sür die Ehrlichen und Fleißigen, und zwar mit Pein geschrieben, denn wohl werde eS einem nicht in dieser trüben Luft. ES ist ihm in der That dies Mal nicht gelungen, in ein verkümmertes Leben daS Licht der Poesie einzuführen. Noch vor dem Druck des Werks starb er. Wenn er in seinem Amt pflichteifrig und von unermüdlicher Thätigkeit war, so blieb er bis an sein Lebensende der gute, treue Gesellschafter, die Gastfreiheit seines Hauses war weitumsassend, und jeder ehrliche Mensch war ihm willkommen. Reisen hat er wenig gemacht; es war ihm eigentlich nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/386>, abgerufen am 28.07.2024.