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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Zeremms Gotthelf und Leopold Schefer.
Albert Bitzius (Jeremtas Gotthelf), sein Leben und seine Schriften,
dargestellt von Dr. C. Manuel. Mit Jeremias Gotthelss Porträt in Stahl¬
stich und einem Facsimile. Berlin, Springer, 1837. --
Leopold Schefers ausgewählte Werke. Eilfter Theil. Leopold Schefers
Leben und Werke von W. v. Lüdemann. Nebst dem Bildniß Schefers
und einem Facsimile seiner Handschrift. Neue Ausgabe. Berlin, Veit
und Co. -I8S7. --

Die beiden Dichter haben auf die Entwicklung der deutschen Literatur
einen so bedeutenden Einfluß ausgeübt, und die Persönlichkeit, die uns aus
ihren Schriften entgegentritt, hat so viel Anziehendes, daß gewiß ein großer
Theil des Publicums den beiden Biographen Dank wissen wird, die uns über
die Details ihres innern und äußern Lebens unterrichte", manche Vermuthungen
bestätigen, Manches in ein klareres Licht stellen. Wenn uns die Biographie
von BitziuS bedeutend mehr interessirt, theils weil sie ausführlicher ist, theils
weil sie unbefangener zu Werke geht, so verdanken wir auch der andern manche
interessante Winke. Herr v. Lüdemann hätte besser gethan, statt der apolo¬
getischen Erörterungen, die bei Leopold Schefer wahrlich nicht nöthig sind, uns
etwas nähere Details über seine äußern Verhältnisse zu geben.

Einen so entschiedenen Gegensatz dem ersten Anschein nach die beiden
Dichter bilden, so finden sich doch verwandte Punkte. Beide lehnen sich an
Jean Paul, nicht blos in Bezug aus die Composttion, die alle Regel und
Ordnung vermissen läßt, sondern auch in der Art der Empfindung und Schil¬
derung. Wir könnten lange Stellen aus Gotthelf wie aus Schefer ausschrei¬
ben, die Jean Paul ebenso gearbeitet haben würde, wenn man auch bei
näherem Zusehn bei Gotthelf überall die stärkeren, festeren Striche, bei Schefer
ein unbestimmes Clairobscur herauöerkennt. In Bezug auf die Charakteristik
und die sittliche Haltung sind beide Dichter allerdings die entgegengesetzten Pole,
aber Pole, die wir in Jean Paul nebeneinander antreffen. -- Wir wenden uns
Zunächst zu Gotthelf.

Albert BitziuS stammt aus einer sehr alten berner Familie, die seit Jahr¬
hunderten wichtige Aemter in der Republik bekleidet hatte. Sein Großvater
und Vater waren Prediger. Albert wurde -1797 in Murten geboren, sein
Aater wurde 1804 zum Pfarrer in Utzensdorf gewählt und siedelte aus dem
städtischen Leben Murtenö in dieses große Dorf über. Nicht weit von der
>" breitem Bett der Aar zuströmenden Enne, zwischen den beiden Hauptstra¬
ße" mich Aarau und nach Solothur", von Bern etwa fünf Stunden entfernt,


Greujvolc" II. 1867. 47
Zeremms Gotthelf und Leopold Schefer.
Albert Bitzius (Jeremtas Gotthelf), sein Leben und seine Schriften,
dargestellt von Dr. C. Manuel. Mit Jeremias Gotthelss Porträt in Stahl¬
stich und einem Facsimile. Berlin, Springer, 1837. —
Leopold Schefers ausgewählte Werke. Eilfter Theil. Leopold Schefers
Leben und Werke von W. v. Lüdemann. Nebst dem Bildniß Schefers
und einem Facsimile seiner Handschrift. Neue Ausgabe. Berlin, Veit
und Co. -I8S7. —

Die beiden Dichter haben auf die Entwicklung der deutschen Literatur
einen so bedeutenden Einfluß ausgeübt, und die Persönlichkeit, die uns aus
ihren Schriften entgegentritt, hat so viel Anziehendes, daß gewiß ein großer
Theil des Publicums den beiden Biographen Dank wissen wird, die uns über
die Details ihres innern und äußern Lebens unterrichte», manche Vermuthungen
bestätigen, Manches in ein klareres Licht stellen. Wenn uns die Biographie
von BitziuS bedeutend mehr interessirt, theils weil sie ausführlicher ist, theils
weil sie unbefangener zu Werke geht, so verdanken wir auch der andern manche
interessante Winke. Herr v. Lüdemann hätte besser gethan, statt der apolo¬
getischen Erörterungen, die bei Leopold Schefer wahrlich nicht nöthig sind, uns
etwas nähere Details über seine äußern Verhältnisse zu geben.

Einen so entschiedenen Gegensatz dem ersten Anschein nach die beiden
Dichter bilden, so finden sich doch verwandte Punkte. Beide lehnen sich an
Jean Paul, nicht blos in Bezug aus die Composttion, die alle Regel und
Ordnung vermissen läßt, sondern auch in der Art der Empfindung und Schil¬
derung. Wir könnten lange Stellen aus Gotthelf wie aus Schefer ausschrei¬
ben, die Jean Paul ebenso gearbeitet haben würde, wenn man auch bei
näherem Zusehn bei Gotthelf überall die stärkeren, festeren Striche, bei Schefer
ein unbestimmes Clairobscur herauöerkennt. In Bezug auf die Charakteristik
und die sittliche Haltung sind beide Dichter allerdings die entgegengesetzten Pole,
aber Pole, die wir in Jean Paul nebeneinander antreffen. — Wir wenden uns
Zunächst zu Gotthelf.

Albert BitziuS stammt aus einer sehr alten berner Familie, die seit Jahr¬
hunderten wichtige Aemter in der Republik bekleidet hatte. Sein Großvater
und Vater waren Prediger. Albert wurde -1797 in Murten geboren, sein
Aater wurde 1804 zum Pfarrer in Utzensdorf gewählt und siedelte aus dem
städtischen Leben Murtenö in dieses große Dorf über. Nicht weit von der
>" breitem Bett der Aar zuströmenden Enne, zwischen den beiden Hauptstra¬
ße» mich Aarau und nach Solothur», von Bern etwa fünf Stunden entfernt,


Greujvolc» II. 1867. 47
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[0377] Zeremms Gotthelf und Leopold Schefer. Albert Bitzius (Jeremtas Gotthelf), sein Leben und seine Schriften, dargestellt von Dr. C. Manuel. Mit Jeremias Gotthelss Porträt in Stahl¬ stich und einem Facsimile. Berlin, Springer, 1837. — Leopold Schefers ausgewählte Werke. Eilfter Theil. Leopold Schefers Leben und Werke von W. v. Lüdemann. Nebst dem Bildniß Schefers und einem Facsimile seiner Handschrift. Neue Ausgabe. Berlin, Veit und Co. -I8S7. — Die beiden Dichter haben auf die Entwicklung der deutschen Literatur einen so bedeutenden Einfluß ausgeübt, und die Persönlichkeit, die uns aus ihren Schriften entgegentritt, hat so viel Anziehendes, daß gewiß ein großer Theil des Publicums den beiden Biographen Dank wissen wird, die uns über die Details ihres innern und äußern Lebens unterrichte», manche Vermuthungen bestätigen, Manches in ein klareres Licht stellen. Wenn uns die Biographie von BitziuS bedeutend mehr interessirt, theils weil sie ausführlicher ist, theils weil sie unbefangener zu Werke geht, so verdanken wir auch der andern manche interessante Winke. Herr v. Lüdemann hätte besser gethan, statt der apolo¬ getischen Erörterungen, die bei Leopold Schefer wahrlich nicht nöthig sind, uns etwas nähere Details über seine äußern Verhältnisse zu geben. Einen so entschiedenen Gegensatz dem ersten Anschein nach die beiden Dichter bilden, so finden sich doch verwandte Punkte. Beide lehnen sich an Jean Paul, nicht blos in Bezug aus die Composttion, die alle Regel und Ordnung vermissen läßt, sondern auch in der Art der Empfindung und Schil¬ derung. Wir könnten lange Stellen aus Gotthelf wie aus Schefer ausschrei¬ ben, die Jean Paul ebenso gearbeitet haben würde, wenn man auch bei näherem Zusehn bei Gotthelf überall die stärkeren, festeren Striche, bei Schefer ein unbestimmes Clairobscur herauöerkennt. In Bezug auf die Charakteristik und die sittliche Haltung sind beide Dichter allerdings die entgegengesetzten Pole, aber Pole, die wir in Jean Paul nebeneinander antreffen. — Wir wenden uns Zunächst zu Gotthelf. Albert BitziuS stammt aus einer sehr alten berner Familie, die seit Jahr¬ hunderten wichtige Aemter in der Republik bekleidet hatte. Sein Großvater und Vater waren Prediger. Albert wurde -1797 in Murten geboren, sein Aater wurde 1804 zum Pfarrer in Utzensdorf gewählt und siedelte aus dem städtischen Leben Murtenö in dieses große Dorf über. Nicht weit von der >" breitem Bett der Aar zuströmenden Enne, zwischen den beiden Hauptstra¬ ße» mich Aarau und nach Solothur», von Bern etwa fünf Stunden entfernt, Greujvolc» II. 1867. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/377>, abgerufen am 27.07.2024.