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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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den überlastet, die Steuerkraft -- wenigstens in den Städten -- bis aufs äußerste
angestrengt, Wissen und Bildung ist selbst in dem deutschen Theil, welcher jetzt
die Aufgabe hat zu herrschen und die fremden Stämme zu germanisiren, für diese
Aufgabe lange nicht ausreichend, und seit dem Concordat ist den Reformatoren
des Staats auch die Aussicht geschwunden, Unterricht und Erziehung anders
als nach der formalen und technischen Seite hin zu bessern. Bis jetzt reicht
die Kraft des deutschen Elements noch nicht aus, die weiten slawischen und
ungarischen Länderstrecken Oestreichs sich geistig zu unterwerfen. Galizien liegt
zehn Jahre nach der Jnsurrection von in Todtenschlaf, und so hoch die
Oestreicher den Fortschritt des unterworfenen Ungarns rühmen, wird es auch dort
noch lange Jahre dauern, bevor das große Land trotz Eisenbahnen und Stei¬
gerung der Güterpreise in einen Culturzustand kommt, an welchem die Volks-
stämme selbst arbeitsam und freudig Antheil nehmen. Wenn irgend ein Staat
ist Oestreich auf lange Ruhe und Frieden hingewiesen, kriegerische Rüstungen,
welche mehr als bloße Demonstrationen sind, bedrohen das Land selbst mit den
größten Gefahren. Unter solchen Umständen hat die eroberungslustige Politik
Oestreichs durchaus nicht die beste Berechtigung. Daß aber Oestreich jetzt auch
in Deutschland ver eroberungslustige Theil ist, haben Schleswig-Holstein und
der Zollverein bereits empfunden.

Es ist oft auch von der nichtöstreichischen Presse verkündigt worden, daß
die Occupation der Dvnaumündungen durch Oestreich von dem größten Vortheil
auch für Deutschland sein müsse, es werde dem deutschen Handel einen neuen
Aufschwung geben', die Herrschaft des deutschen Stammes bis an das schwarze
Meer ausdehnen u. s. w. Es wird gut sein, sich den innern Werth dieser
Behauptungen klar zu machen. Ob der Handel der Zollvereinsstaaten wesent¬
lich dadurch gefördert wird, wenn eine neue Bank zu Bukarest von wiener
Capitalisten statt von Leipzig oder Hamburg aus gegründet wird, und ob eS
vortheilhafter ist, wenn östreichische Spediteure und Firmen die Waaren der
leipziger Messe an die rumänischen Gutsbesitzer liefern, oder deutsche Häuser,
welche zu Jassy oder Bukarest ihre Commanditen einrichten, darüber mögen
Kaufleute urtheilen. Daß aber in den Donaufürstenthümern ein souveräner
Fürst aus deutschem Hause mehr dafür thun müßte, den Deutschen einen An¬
theil an dem geistigen und materiellen Verkehr in seinem Lande zu sichern, als
Oestreich im eignen Interesse thun dürfte, darf ohne Bedenken angenommen
werden.

Zwar hat man auch behauptet, es sei Preußens Vortheil, Oestreich zum Besitz
der Fürstenthümer zu verhelfen, weil diese Erwerbung die kaiserliche Politik von
Deutschland abziehe, und dem Gebiet zuwenden werde, auf welchem Oestreichs
Zukunft und höchste Aufgabe zu lösen sei. Wer im Ernste so spricht, gleicht
einem Mann, welcher Holzblöcke in die drohende Flamme wirft, um die Feuers-


den überlastet, die Steuerkraft — wenigstens in den Städten — bis aufs äußerste
angestrengt, Wissen und Bildung ist selbst in dem deutschen Theil, welcher jetzt
die Aufgabe hat zu herrschen und die fremden Stämme zu germanisiren, für diese
Aufgabe lange nicht ausreichend, und seit dem Concordat ist den Reformatoren
des Staats auch die Aussicht geschwunden, Unterricht und Erziehung anders
als nach der formalen und technischen Seite hin zu bessern. Bis jetzt reicht
die Kraft des deutschen Elements noch nicht aus, die weiten slawischen und
ungarischen Länderstrecken Oestreichs sich geistig zu unterwerfen. Galizien liegt
zehn Jahre nach der Jnsurrection von in Todtenschlaf, und so hoch die
Oestreicher den Fortschritt des unterworfenen Ungarns rühmen, wird es auch dort
noch lange Jahre dauern, bevor das große Land trotz Eisenbahnen und Stei¬
gerung der Güterpreise in einen Culturzustand kommt, an welchem die Volks-
stämme selbst arbeitsam und freudig Antheil nehmen. Wenn irgend ein Staat
ist Oestreich auf lange Ruhe und Frieden hingewiesen, kriegerische Rüstungen,
welche mehr als bloße Demonstrationen sind, bedrohen das Land selbst mit den
größten Gefahren. Unter solchen Umständen hat die eroberungslustige Politik
Oestreichs durchaus nicht die beste Berechtigung. Daß aber Oestreich jetzt auch
in Deutschland ver eroberungslustige Theil ist, haben Schleswig-Holstein und
der Zollverein bereits empfunden.

Es ist oft auch von der nichtöstreichischen Presse verkündigt worden, daß
die Occupation der Dvnaumündungen durch Oestreich von dem größten Vortheil
auch für Deutschland sein müsse, es werde dem deutschen Handel einen neuen
Aufschwung geben', die Herrschaft des deutschen Stammes bis an das schwarze
Meer ausdehnen u. s. w. Es wird gut sein, sich den innern Werth dieser
Behauptungen klar zu machen. Ob der Handel der Zollvereinsstaaten wesent¬
lich dadurch gefördert wird, wenn eine neue Bank zu Bukarest von wiener
Capitalisten statt von Leipzig oder Hamburg aus gegründet wird, und ob eS
vortheilhafter ist, wenn östreichische Spediteure und Firmen die Waaren der
leipziger Messe an die rumänischen Gutsbesitzer liefern, oder deutsche Häuser,
welche zu Jassy oder Bukarest ihre Commanditen einrichten, darüber mögen
Kaufleute urtheilen. Daß aber in den Donaufürstenthümern ein souveräner
Fürst aus deutschem Hause mehr dafür thun müßte, den Deutschen einen An¬
theil an dem geistigen und materiellen Verkehr in seinem Lande zu sichern, als
Oestreich im eignen Interesse thun dürfte, darf ohne Bedenken angenommen
werden.

Zwar hat man auch behauptet, es sei Preußens Vortheil, Oestreich zum Besitz
der Fürstenthümer zu verhelfen, weil diese Erwerbung die kaiserliche Politik von
Deutschland abziehe, und dem Gebiet zuwenden werde, auf welchem Oestreichs
Zukunft und höchste Aufgabe zu lösen sei. Wer im Ernste so spricht, gleicht
einem Mann, welcher Holzblöcke in die drohende Flamme wirft, um die Feuers-


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[0375] den überlastet, die Steuerkraft — wenigstens in den Städten — bis aufs äußerste angestrengt, Wissen und Bildung ist selbst in dem deutschen Theil, welcher jetzt die Aufgabe hat zu herrschen und die fremden Stämme zu germanisiren, für diese Aufgabe lange nicht ausreichend, und seit dem Concordat ist den Reformatoren des Staats auch die Aussicht geschwunden, Unterricht und Erziehung anders als nach der formalen und technischen Seite hin zu bessern. Bis jetzt reicht die Kraft des deutschen Elements noch nicht aus, die weiten slawischen und ungarischen Länderstrecken Oestreichs sich geistig zu unterwerfen. Galizien liegt zehn Jahre nach der Jnsurrection von in Todtenschlaf, und so hoch die Oestreicher den Fortschritt des unterworfenen Ungarns rühmen, wird es auch dort noch lange Jahre dauern, bevor das große Land trotz Eisenbahnen und Stei¬ gerung der Güterpreise in einen Culturzustand kommt, an welchem die Volks- stämme selbst arbeitsam und freudig Antheil nehmen. Wenn irgend ein Staat ist Oestreich auf lange Ruhe und Frieden hingewiesen, kriegerische Rüstungen, welche mehr als bloße Demonstrationen sind, bedrohen das Land selbst mit den größten Gefahren. Unter solchen Umständen hat die eroberungslustige Politik Oestreichs durchaus nicht die beste Berechtigung. Daß aber Oestreich jetzt auch in Deutschland ver eroberungslustige Theil ist, haben Schleswig-Holstein und der Zollverein bereits empfunden. Es ist oft auch von der nichtöstreichischen Presse verkündigt worden, daß die Occupation der Dvnaumündungen durch Oestreich von dem größten Vortheil auch für Deutschland sein müsse, es werde dem deutschen Handel einen neuen Aufschwung geben', die Herrschaft des deutschen Stammes bis an das schwarze Meer ausdehnen u. s. w. Es wird gut sein, sich den innern Werth dieser Behauptungen klar zu machen. Ob der Handel der Zollvereinsstaaten wesent¬ lich dadurch gefördert wird, wenn eine neue Bank zu Bukarest von wiener Capitalisten statt von Leipzig oder Hamburg aus gegründet wird, und ob eS vortheilhafter ist, wenn östreichische Spediteure und Firmen die Waaren der leipziger Messe an die rumänischen Gutsbesitzer liefern, oder deutsche Häuser, welche zu Jassy oder Bukarest ihre Commanditen einrichten, darüber mögen Kaufleute urtheilen. Daß aber in den Donaufürstenthümern ein souveräner Fürst aus deutschem Hause mehr dafür thun müßte, den Deutschen einen An¬ theil an dem geistigen und materiellen Verkehr in seinem Lande zu sichern, als Oestreich im eignen Interesse thun dürfte, darf ohne Bedenken angenommen werden. Zwar hat man auch behauptet, es sei Preußens Vortheil, Oestreich zum Besitz der Fürstenthümer zu verhelfen, weil diese Erwerbung die kaiserliche Politik von Deutschland abziehe, und dem Gebiet zuwenden werde, auf welchem Oestreichs Zukunft und höchste Aufgabe zu lösen sei. Wer im Ernste so spricht, gleicht einem Mann, welcher Holzblöcke in die drohende Flamme wirft, um die Feuers-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/375>, abgerufen am 01.09.2024.