Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.Energielosigkeit eines Stammes ohne große Erinnerungen, ohne selbstständige Die schlechte Gesetzgebung und Verwaltung aber, die elenden Communi- Daß ein erbliches, christliches Oberhaupt die erste Bedingung für das Energielosigkeit eines Stammes ohne große Erinnerungen, ohne selbstständige Die schlechte Gesetzgebung und Verwaltung aber, die elenden Communi- Daß ein erbliches, christliches Oberhaupt die erste Bedingung für das <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0370" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104037"/> <p xml:id="ID_1063" prev="#ID_1062"> Energielosigkeit eines Stammes ohne große Erinnerungen, ohne selbstständige<lb/> Fortbildung, ohne Selbstgefühl. Orientalische Sittenlosigkeit hat sie vielfach<lb/> berührt und eine schlechte Gesetzgebung und noch schlechtere Handhabung der<lb/> Gesetze hat in Sitte und Rechtsgefühl Vieles verkümmert. So gelten sie bei<lb/> den Nachbarn für den schwächsten Stamm in Europa. Aber eine Schätzung<lb/> der Völkerkraft nach den Eindrücken, welche das Volk dem fremden Besucher<lb/> macht, ist sehr mißlich. Sicher ist die Schwäche und Depression deö Volkes<lb/> nicht großer, als sie am Ende deS vorigeli Jahrhunderts in Polen war. Auch<lb/> bei den Rumänen werden die unerfreulichsten Beispiele von Sittenlosigkeit,<lb/> Feigheit, Bestechlichkeit aus den Städten und der Classe der Privilegirten ge¬<lb/> nommen. Dagegen ist die physische Lebenskraft des Volkes ungewöhnlich<lb/> groß, die zahlreichen und gesunden Kinder der Rumänen haben schon längst<lb/> die Besorgniß der Sachsen in Siebenbürgen erregt. Der Mangel an ArbeitS-<lb/> trieb endlich in einem sehr fruchtbaren, ja zum großen Theil üppigen Lande<lb/> ist bei einem Volk, welches allerdings nicht leibeigen ist, aber seit vielen<lb/> hundert Jahren der Willkür seiner Bojaren und fremder Eindringlinge unter¬<lb/> worfen war, so wenig zu verwundern, daß das Gegentheil befremdlich wäre.</p><lb/> <p xml:id="ID_1064"> Die schlechte Gesetzgebung und Verwaltung aber, die elenden Communi-<lb/> cationsmittel, der niedrige Zustand des bäuerlichen Ackerbaues, das schmuzige<lb/> und dürftige Aussehn der Landstädte, das alles hat in den Fürstentümern<lb/> vorzugsweise einen tief empfundenen und zuweilen leidenschaftlich beklagten<lb/> Grund, die Unsicherheit und den Wechsel der höchsten Autoritäten, der Hos'<lb/> podare und ihrer Günstlinge. Der gewissenlose Beamte findet unter den Fac-<lb/> tionen, welche um die Herrschaft streiten, bei dem häusigen Wechsel der Des¬<lb/> poten überreiche Gelegenheit sich Gönner zu erwerben und der Verantwortung<lb/> zu entgehen. Jede energische Administration wird bei solcher Unsicherheit un-<lb/> thunlich. Die öffentlichen Gebäude verfallen, die Straßen werden nicht ge¬<lb/> bessert, das Holz zu den Brücken wird angefahren und verfault am Wege,<lb/> bevor die Brücke gebaut ist. Alles systematische und planvolle Handeln, welches<lb/> erst in längerer Zeit Resultate haben kann, Reform der Gesetzgebung, Hebung<lb/> des Bauernstandes, Organisation der Volksschulen wird unmöglich. Wenn<lb/> irgend einem Lande, so thut den Fürstenthümern ein festes monarchisches Re¬<lb/> giment Noth, welches die Zügel straffer anzieht und welches der Rücksichten<lb/> und des Liebäugelnö mit fremden politischen Agenten und den unfähigen M'^<lb/> gliedern des Divans überhoben ist. ' Und nicht weniger Noth thut ihm das<lb/> gründliche Aufhören der factiösen Einmischungen in das Recht, die Verwaltung<lb/> und die Polizei, welche durch die fremden Consulate und deren Protections- und<lb/> Schutzrecht verursacht werden, eine immer rinnende Quelle von Händeln,<lb/> Gesetzübertretungen, Willkür und Parteilichkeiten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1065" next="#ID_1066"> Daß ein erbliches, christliches Oberhaupt die erste Bedingung für das</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0370]
Energielosigkeit eines Stammes ohne große Erinnerungen, ohne selbstständige
Fortbildung, ohne Selbstgefühl. Orientalische Sittenlosigkeit hat sie vielfach
berührt und eine schlechte Gesetzgebung und noch schlechtere Handhabung der
Gesetze hat in Sitte und Rechtsgefühl Vieles verkümmert. So gelten sie bei
den Nachbarn für den schwächsten Stamm in Europa. Aber eine Schätzung
der Völkerkraft nach den Eindrücken, welche das Volk dem fremden Besucher
macht, ist sehr mißlich. Sicher ist die Schwäche und Depression deö Volkes
nicht großer, als sie am Ende deS vorigeli Jahrhunderts in Polen war. Auch
bei den Rumänen werden die unerfreulichsten Beispiele von Sittenlosigkeit,
Feigheit, Bestechlichkeit aus den Städten und der Classe der Privilegirten ge¬
nommen. Dagegen ist die physische Lebenskraft des Volkes ungewöhnlich
groß, die zahlreichen und gesunden Kinder der Rumänen haben schon längst
die Besorgniß der Sachsen in Siebenbürgen erregt. Der Mangel an ArbeitS-
trieb endlich in einem sehr fruchtbaren, ja zum großen Theil üppigen Lande
ist bei einem Volk, welches allerdings nicht leibeigen ist, aber seit vielen
hundert Jahren der Willkür seiner Bojaren und fremder Eindringlinge unter¬
worfen war, so wenig zu verwundern, daß das Gegentheil befremdlich wäre.
Die schlechte Gesetzgebung und Verwaltung aber, die elenden Communi-
cationsmittel, der niedrige Zustand des bäuerlichen Ackerbaues, das schmuzige
und dürftige Aussehn der Landstädte, das alles hat in den Fürstentümern
vorzugsweise einen tief empfundenen und zuweilen leidenschaftlich beklagten
Grund, die Unsicherheit und den Wechsel der höchsten Autoritäten, der Hos'
podare und ihrer Günstlinge. Der gewissenlose Beamte findet unter den Fac-
tionen, welche um die Herrschaft streiten, bei dem häusigen Wechsel der Des¬
poten überreiche Gelegenheit sich Gönner zu erwerben und der Verantwortung
zu entgehen. Jede energische Administration wird bei solcher Unsicherheit un-
thunlich. Die öffentlichen Gebäude verfallen, die Straßen werden nicht ge¬
bessert, das Holz zu den Brücken wird angefahren und verfault am Wege,
bevor die Brücke gebaut ist. Alles systematische und planvolle Handeln, welches
erst in längerer Zeit Resultate haben kann, Reform der Gesetzgebung, Hebung
des Bauernstandes, Organisation der Volksschulen wird unmöglich. Wenn
irgend einem Lande, so thut den Fürstenthümern ein festes monarchisches Re¬
giment Noth, welches die Zügel straffer anzieht und welches der Rücksichten
und des Liebäugelnö mit fremden politischen Agenten und den unfähigen M'^
gliedern des Divans überhoben ist. ' Und nicht weniger Noth thut ihm das
gründliche Aufhören der factiösen Einmischungen in das Recht, die Verwaltung
und die Polizei, welche durch die fremden Consulate und deren Protections- und
Schutzrecht verursacht werden, eine immer rinnende Quelle von Händeln,
Gesetzübertretungen, Willkür und Parteilichkeiten.
Daß ein erbliches, christliches Oberhaupt die erste Bedingung für das
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