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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Besserwerden in beiden Fürstenthümern sei, wird in den Ländern selbst durch¬
aus anerkannt, und selbst die, welche einer Vereinigung aus provinzieller
Beschränktheit oder im fremden Interesse entgegen sind, räumen solche Noth¬
wendigkeit für ihr Fürstenthum ein. Daß aber ein unabhängiges, erbliches
Regiment nur durch die Vereinigung der beiden kleinen Länder unter einem
Souverän aus fremdem Fürstengeschlecht durchzusetzen sei, bedarf für diese Län¬
der keines Beweises, da ihnen selbst ihre Hospodare nicht aus den Bojaren¬
familien , sondern aus griechischen Günstlingen der Pforte gesetzt wurden.

Allerdings wird ein rumänischer Staat, nicht ganz vier Millionen eines
schwachen und verkümmerten Volksstammes, noch keine kräftige Mittelmacht
werden, welche zwischen Oestreich und Rußland eine wirklich unabhängige
Politik behaupten kann. Kriegerischer Sinn, Disciplin und Intelligenz sind
schwer und langsam zu schaffen, und selbst die höchste Entwicklung der natio¬
nalen Kräfte würde gegen die großen eroberungslustigen Nachbarn keine Schutz¬
wehr sein. Aber ein widerstandsloser Vasall des russischen oder östreichischen
Einflusses wäre der neue Staat doch nicht, denn er ist den Flotten und Ar¬
meen auch der andern großen Mächte leicht erreichbar, und könnte auf solchen
Beistand hoffen. Zunächst nun würde er in den Fürstenthümern selbst einen
Zustand schaffen, der im Vergleich mit der Gegenwart glückselig genannt werden
könnte; denn bis jetzt ist das Land in der ruhigsten Zeit ein Tummelplatz
fremder Spione und Agenten gewesen, und in nicht langen Zwischenräumen
wurde die Herrschaft fremden Geldes durch die Tyrannei fremder Heere unter¬
brochen. Ein civilisirter Regent würde den fremden Einflüssen auch civilisirte
Formen bringen, schon daS wäre ein sehr werthvolles Geschenk. Er würde
ohne den Schutz Englands oder Frankreichs, oder beider zusammen -- und
ein Preuße darf hier die Hoffnung aussprechen, daß auch sein Staat wieder
in die Lage kommen wird, solchen Schutz zu gewähren -- sich wahrscheinlich
bald russischem, bald östreichischen Interesse zuneigen. Unter jenem Schutz
aber wird das Land aus seinen mittelalterlichen Verhältnissen heraustreten, der
Donauhandel wird die großen natürlichen Hilfsquellen schnell entwickeln, fremde
Capitalien werden einströmen und die europäische Cultur wird feste Wurzeln
schlagen. Daß ein besonders starker und tüchtiger Regent aus seiner Situation
noch mehr machen kann, und daß einem kräftigen Ehrgeiz grade dort ein
weites Terrain sich darbietet, darf mit in Rechnung gezogen werden.

Ob ein solcher Rumänenstaat, der nicht von einem russischen und nicht
von einem östreichischen Prinzen als ein Außenland dieser Staaten bewirth¬
schaftet wird, die Lebenskraft habe, sich auf die Dauer selbstständig in den
Stürmen der orientalischen Zukunft zu erhalten, das darf man jetzt weder für
sicher halten, noch in Abrede stellen. Im höchsten Interesse eines geknechte¬
ten Volksstammes aber ist es, diesem für jetzt eine politische Stellung zu geben,


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Besserwerden in beiden Fürstenthümern sei, wird in den Ländern selbst durch¬
aus anerkannt, und selbst die, welche einer Vereinigung aus provinzieller
Beschränktheit oder im fremden Interesse entgegen sind, räumen solche Noth¬
wendigkeit für ihr Fürstenthum ein. Daß aber ein unabhängiges, erbliches
Regiment nur durch die Vereinigung der beiden kleinen Länder unter einem
Souverän aus fremdem Fürstengeschlecht durchzusetzen sei, bedarf für diese Län¬
der keines Beweises, da ihnen selbst ihre Hospodare nicht aus den Bojaren¬
familien , sondern aus griechischen Günstlingen der Pforte gesetzt wurden.

Allerdings wird ein rumänischer Staat, nicht ganz vier Millionen eines
schwachen und verkümmerten Volksstammes, noch keine kräftige Mittelmacht
werden, welche zwischen Oestreich und Rußland eine wirklich unabhängige
Politik behaupten kann. Kriegerischer Sinn, Disciplin und Intelligenz sind
schwer und langsam zu schaffen, und selbst die höchste Entwicklung der natio¬
nalen Kräfte würde gegen die großen eroberungslustigen Nachbarn keine Schutz¬
wehr sein. Aber ein widerstandsloser Vasall des russischen oder östreichischen
Einflusses wäre der neue Staat doch nicht, denn er ist den Flotten und Ar¬
meen auch der andern großen Mächte leicht erreichbar, und könnte auf solchen
Beistand hoffen. Zunächst nun würde er in den Fürstenthümern selbst einen
Zustand schaffen, der im Vergleich mit der Gegenwart glückselig genannt werden
könnte; denn bis jetzt ist das Land in der ruhigsten Zeit ein Tummelplatz
fremder Spione und Agenten gewesen, und in nicht langen Zwischenräumen
wurde die Herrschaft fremden Geldes durch die Tyrannei fremder Heere unter¬
brochen. Ein civilisirter Regent würde den fremden Einflüssen auch civilisirte
Formen bringen, schon daS wäre ein sehr werthvolles Geschenk. Er würde
ohne den Schutz Englands oder Frankreichs, oder beider zusammen — und
ein Preuße darf hier die Hoffnung aussprechen, daß auch sein Staat wieder
in die Lage kommen wird, solchen Schutz zu gewähren — sich wahrscheinlich
bald russischem, bald östreichischen Interesse zuneigen. Unter jenem Schutz
aber wird das Land aus seinen mittelalterlichen Verhältnissen heraustreten, der
Donauhandel wird die großen natürlichen Hilfsquellen schnell entwickeln, fremde
Capitalien werden einströmen und die europäische Cultur wird feste Wurzeln
schlagen. Daß ein besonders starker und tüchtiger Regent aus seiner Situation
noch mehr machen kann, und daß einem kräftigen Ehrgeiz grade dort ein
weites Terrain sich darbietet, darf mit in Rechnung gezogen werden.

Ob ein solcher Rumänenstaat, der nicht von einem russischen und nicht
von einem östreichischen Prinzen als ein Außenland dieser Staaten bewirth¬
schaftet wird, die Lebenskraft habe, sich auf die Dauer selbstständig in den
Stürmen der orientalischen Zukunft zu erhalten, das darf man jetzt weder für
sicher halten, noch in Abrede stellen. Im höchsten Interesse eines geknechte¬
ten Volksstammes aber ist es, diesem für jetzt eine politische Stellung zu geben,


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[0371] Besserwerden in beiden Fürstenthümern sei, wird in den Ländern selbst durch¬ aus anerkannt, und selbst die, welche einer Vereinigung aus provinzieller Beschränktheit oder im fremden Interesse entgegen sind, räumen solche Noth¬ wendigkeit für ihr Fürstenthum ein. Daß aber ein unabhängiges, erbliches Regiment nur durch die Vereinigung der beiden kleinen Länder unter einem Souverän aus fremdem Fürstengeschlecht durchzusetzen sei, bedarf für diese Län¬ der keines Beweises, da ihnen selbst ihre Hospodare nicht aus den Bojaren¬ familien , sondern aus griechischen Günstlingen der Pforte gesetzt wurden. Allerdings wird ein rumänischer Staat, nicht ganz vier Millionen eines schwachen und verkümmerten Volksstammes, noch keine kräftige Mittelmacht werden, welche zwischen Oestreich und Rußland eine wirklich unabhängige Politik behaupten kann. Kriegerischer Sinn, Disciplin und Intelligenz sind schwer und langsam zu schaffen, und selbst die höchste Entwicklung der natio¬ nalen Kräfte würde gegen die großen eroberungslustigen Nachbarn keine Schutz¬ wehr sein. Aber ein widerstandsloser Vasall des russischen oder östreichischen Einflusses wäre der neue Staat doch nicht, denn er ist den Flotten und Ar¬ meen auch der andern großen Mächte leicht erreichbar, und könnte auf solchen Beistand hoffen. Zunächst nun würde er in den Fürstenthümern selbst einen Zustand schaffen, der im Vergleich mit der Gegenwart glückselig genannt werden könnte; denn bis jetzt ist das Land in der ruhigsten Zeit ein Tummelplatz fremder Spione und Agenten gewesen, und in nicht langen Zwischenräumen wurde die Herrschaft fremden Geldes durch die Tyrannei fremder Heere unter¬ brochen. Ein civilisirter Regent würde den fremden Einflüssen auch civilisirte Formen bringen, schon daS wäre ein sehr werthvolles Geschenk. Er würde ohne den Schutz Englands oder Frankreichs, oder beider zusammen — und ein Preuße darf hier die Hoffnung aussprechen, daß auch sein Staat wieder in die Lage kommen wird, solchen Schutz zu gewähren — sich wahrscheinlich bald russischem, bald östreichischen Interesse zuneigen. Unter jenem Schutz aber wird das Land aus seinen mittelalterlichen Verhältnissen heraustreten, der Donauhandel wird die großen natürlichen Hilfsquellen schnell entwickeln, fremde Capitalien werden einströmen und die europäische Cultur wird feste Wurzeln schlagen. Daß ein besonders starker und tüchtiger Regent aus seiner Situation noch mehr machen kann, und daß einem kräftigen Ehrgeiz grade dort ein weites Terrain sich darbietet, darf mit in Rechnung gezogen werden. Ob ein solcher Rumänenstaat, der nicht von einem russischen und nicht von einem östreichischen Prinzen als ein Außenland dieser Staaten bewirth¬ schaftet wird, die Lebenskraft habe, sich auf die Dauer selbstständig in den Stürmen der orientalischen Zukunft zu erhalten, das darf man jetzt weder für sicher halten, noch in Abrede stellen. Im höchsten Interesse eines geknechte¬ ten Volksstammes aber ist es, diesem für jetzt eine politische Stellung zu geben, 46*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/371>, abgerufen am 01.09.2024.