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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Die Zukunft der Donausürstenthnuler.

Die folgende Auffassung dieser großen europäischen Frage ist für die Ver¬
einigung der Moldau und Walachei, im Interesse der Fürstenthümer selbst, im
Interesse einer künftigen Lösung her orientalischen Wirren und vor allem im Inter¬
esse Preußens und Deutschlands. Wer bei Entscheidung dieser Frage irgendwie
thätig mitwirkt, der wird zunächst das Wohl der Länder selbst, dann die
Zukunft des Reiches, zu welchem sie jetzt noch gehören, endlich das Interesse
des eignen Staates in Erwägung ziehen. So zwar, daß für ihn der letzte
Gesichtspunkt maßgebend sein wird. Aber volle Befriedigung über die für ihn
nöthige Parteinahme wird er nur dann finden, wenn die Rücksicht auf den
Vortheil des eignen Staates ihm vergönnt, auch das für die Fürstenthümer
Vortheilhafteste zu wählen, und zugleich eine Disposition über die Zukunft der
Türkei in zweckmäßiger Weise vorzubereiten. Der preußische Staatsmann hat
die Freiheit, alle drei Interessen zu vereinen. Es bedarf wol nicht der Be¬
merkung, daß hier die preußische Politik gemeint ist, wie sie sein sollte.

Die Moldau und Walachei, die nördliche Seite der untern Donau und
seit den letzten russischen Abtretungen auch die Donaumündungen dominirend,
enthalten jetzt, noch zusammen ungefähr vier Millionen Menschen, ein Misch¬
volk aus römischen Colonisten des alten Dacieus und abgesprengten Trüm¬
mern zahlreicher Völker, welche nach dem Sturz des Römerreiches im untern
Donauland saßen. Dies Volk hat die alte Provinzialsprache in eigenthüm¬
licher Umbildung mit vielen eumanischen, slawischen und türkischen Wörtern
gemischt, sich erhalten, und außer der Sprache in Form, Haltung, Sitten so
viele Erinnerungen an das antike Leben, daß dasselbe unter den europäischen
Atischvölkern mit romanischer Zunge diesem Leben wol am nächsten steht, frei¬
lich nur dem wilden, halb barbarischen Leben eines Grenzlandes. Nicht von
der Pforte mit Waffen erobert, sondern durch Vertrag ein Schutzvolk derselben,
haben die Rumänen außer der griechischen Religion auch selbstständige Ad¬
ministration sich bewahrt. Seit uralter Zeit sind sie durch ein heilloses Miß-
regiment, in den letzten Jahrhunderten durch wüste Bojaren- und Hospodar-
wirthschaft politisch demoralisirt, und zeigen als Volk alle Schwäche und


Grenzboten II. <8!i7. 46
Die Zukunft der Donausürstenthnuler.

Die folgende Auffassung dieser großen europäischen Frage ist für die Ver¬
einigung der Moldau und Walachei, im Interesse der Fürstenthümer selbst, im
Interesse einer künftigen Lösung her orientalischen Wirren und vor allem im Inter¬
esse Preußens und Deutschlands. Wer bei Entscheidung dieser Frage irgendwie
thätig mitwirkt, der wird zunächst das Wohl der Länder selbst, dann die
Zukunft des Reiches, zu welchem sie jetzt noch gehören, endlich das Interesse
des eignen Staates in Erwägung ziehen. So zwar, daß für ihn der letzte
Gesichtspunkt maßgebend sein wird. Aber volle Befriedigung über die für ihn
nöthige Parteinahme wird er nur dann finden, wenn die Rücksicht auf den
Vortheil des eignen Staates ihm vergönnt, auch das für die Fürstenthümer
Vortheilhafteste zu wählen, und zugleich eine Disposition über die Zukunft der
Türkei in zweckmäßiger Weise vorzubereiten. Der preußische Staatsmann hat
die Freiheit, alle drei Interessen zu vereinen. Es bedarf wol nicht der Be¬
merkung, daß hier die preußische Politik gemeint ist, wie sie sein sollte.

Die Moldau und Walachei, die nördliche Seite der untern Donau und
seit den letzten russischen Abtretungen auch die Donaumündungen dominirend,
enthalten jetzt, noch zusammen ungefähr vier Millionen Menschen, ein Misch¬
volk aus römischen Colonisten des alten Dacieus und abgesprengten Trüm¬
mern zahlreicher Völker, welche nach dem Sturz des Römerreiches im untern
Donauland saßen. Dies Volk hat die alte Provinzialsprache in eigenthüm¬
licher Umbildung mit vielen eumanischen, slawischen und türkischen Wörtern
gemischt, sich erhalten, und außer der Sprache in Form, Haltung, Sitten so
viele Erinnerungen an das antike Leben, daß dasselbe unter den europäischen
Atischvölkern mit romanischer Zunge diesem Leben wol am nächsten steht, frei¬
lich nur dem wilden, halb barbarischen Leben eines Grenzlandes. Nicht von
der Pforte mit Waffen erobert, sondern durch Vertrag ein Schutzvolk derselben,
haben die Rumänen außer der griechischen Religion auch selbstständige Ad¬
ministration sich bewahrt. Seit uralter Zeit sind sie durch ein heilloses Miß-
regiment, in den letzten Jahrhunderten durch wüste Bojaren- und Hospodar-
wirthschaft politisch demoralisirt, und zeigen als Volk alle Schwäche und


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[0369] Die Zukunft der Donausürstenthnuler. Die folgende Auffassung dieser großen europäischen Frage ist für die Ver¬ einigung der Moldau und Walachei, im Interesse der Fürstenthümer selbst, im Interesse einer künftigen Lösung her orientalischen Wirren und vor allem im Inter¬ esse Preußens und Deutschlands. Wer bei Entscheidung dieser Frage irgendwie thätig mitwirkt, der wird zunächst das Wohl der Länder selbst, dann die Zukunft des Reiches, zu welchem sie jetzt noch gehören, endlich das Interesse des eignen Staates in Erwägung ziehen. So zwar, daß für ihn der letzte Gesichtspunkt maßgebend sein wird. Aber volle Befriedigung über die für ihn nöthige Parteinahme wird er nur dann finden, wenn die Rücksicht auf den Vortheil des eignen Staates ihm vergönnt, auch das für die Fürstenthümer Vortheilhafteste zu wählen, und zugleich eine Disposition über die Zukunft der Türkei in zweckmäßiger Weise vorzubereiten. Der preußische Staatsmann hat die Freiheit, alle drei Interessen zu vereinen. Es bedarf wol nicht der Be¬ merkung, daß hier die preußische Politik gemeint ist, wie sie sein sollte. Die Moldau und Walachei, die nördliche Seite der untern Donau und seit den letzten russischen Abtretungen auch die Donaumündungen dominirend, enthalten jetzt, noch zusammen ungefähr vier Millionen Menschen, ein Misch¬ volk aus römischen Colonisten des alten Dacieus und abgesprengten Trüm¬ mern zahlreicher Völker, welche nach dem Sturz des Römerreiches im untern Donauland saßen. Dies Volk hat die alte Provinzialsprache in eigenthüm¬ licher Umbildung mit vielen eumanischen, slawischen und türkischen Wörtern gemischt, sich erhalten, und außer der Sprache in Form, Haltung, Sitten so viele Erinnerungen an das antike Leben, daß dasselbe unter den europäischen Atischvölkern mit romanischer Zunge diesem Leben wol am nächsten steht, frei¬ lich nur dem wilden, halb barbarischen Leben eines Grenzlandes. Nicht von der Pforte mit Waffen erobert, sondern durch Vertrag ein Schutzvolk derselben, haben die Rumänen außer der griechischen Religion auch selbstständige Ad¬ ministration sich bewahrt. Seit uralter Zeit sind sie durch ein heilloses Miß- regiment, in den letzten Jahrhunderten durch wüste Bojaren- und Hospodar- wirthschaft politisch demoralisirt, und zeigen als Volk alle Schwäche und Grenzboten II. <8!i7. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/369>, abgerufen am 01.09.2024.