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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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haben. Ein grüner Kranz vor der Thür kündigt an, daß hier der Saft Vater
Noahs zu haben ist. Im Innern sind gewöhnlich Speisezimmer, Trinkstube,
Küche und Keller in einem Raume vereinigt. An den Wänden, die einfach
weiß getüncht sind, stehen in langer Reihe mächtige Fässer, auf welchen
Man in großen Ziffern die Preise ihres Inhalts liest. Zwischen ihnen sind
auf dem Steinboden die Tische, Bänke und Sessel aufgestellt. Im Hinter¬
grunde flackert auf berußten Herde die gelb und rothe Flamme des Kochfeuers
um Topf und Tiegel. In der Nachbarschaft trägt eine lange Tafel die Pro-
ducte der Köchin, die mit dem Messer dahinter steht, bereit, nach Verlangen
abzuschneiden. Um den Herd hängen Schinken, Würste, gerupftes Geflügel
und die in Italien unvermeidlichen Zwiebelkränze, und an den Wänden fun¬
kelt im Schein des Feuers ein Rüstzeug blankgescheuerter Kupfergeschirre.
Fischer, Matrosen, Facchini und istrianer Landleute bilden das Publicum, zu
dem auch die mittlere Schicht der Gesellschaft ihr Contingent liefert, sofern
ste es nicht vorzieht, ihren "Schwarzen" (d. i. ihren Rothwein) daheim
zu trinken.

Der Wein, in weißen Steingutkännchen credenzt, die mit dem Namen
Bozza bezeichnet werden, und aus kleinen Gläsern ohne Fuß getrunken, ist
ein Gewächs der Umgegend, sehr dunkel, ziemlich feurig und auf alle Fälle
trinkbarer, als der Essig, den die Ganymede Wiens und Triests in der Regel
dem beklagenswerthen Gaste unter dem Namen des einen oder des andern
östreichischen Weins zu genießen geben. Wirthe, die auf ein gutes Getränk
halten, haben stets ein volles Haus, und oft muß der späterkommende seine
Knie zum Tische nehmen. Die Gäste unterhalten sich mit südlicher Lebhaf¬
tigkeit und südlichem Minen- und Geberdenspiel. Bisweilen sieht man noch
eine Gruppe von Moraspielern, in den meisten Osterien jedoch verbittet sich
der Wirth dieses Vergnügen durch einen gedruckten Anschlag. Dagegen ist
ein anderes charakteristisches Merkmal dieser Schenken, ein kleines buntange¬
putztes, von Blumen umgebenes Bild der Mutter Gottes mit dem Jesuskinde
auf einer Art Altar, vor dem eine Lampe brennt, noch in allen zu finden.

Zwischen den Gästen läuft, da eine Bozza, dort eine Mezza-Bozza brin¬
gend, der Kellner, hier zum Unterschied vom Kaffeehauskellner, welcher auf
dem Namen Camericre hört, Bottega genannt, wandelt, dem einen Branzin,
diesem eine Sfoglia, jenem eine Schnitte in Oel gebratenen Kalbfleisches
servirend, die ewig lächelnde Cuca, schreiten Maroncnverkäuser und Bursche,
welche geröstete Haselnüsse anbieten, umher. Das Halbdunkel, welches über
den Raum ausgegossen ist und mitleidig manchen Schmuzfleck auf Tisch und
Wand und manchen zerrissenen Jackenärmel bedeckt, das prasselnde Feuer,
die Düfte siedenden Baumöls, die den Kesseln auf dem Herde entsteigen, die
warkirten Gesichter der verschiedenen Gruppen, das Marienbild mit seinem


haben. Ein grüner Kranz vor der Thür kündigt an, daß hier der Saft Vater
Noahs zu haben ist. Im Innern sind gewöhnlich Speisezimmer, Trinkstube,
Küche und Keller in einem Raume vereinigt. An den Wänden, die einfach
weiß getüncht sind, stehen in langer Reihe mächtige Fässer, auf welchen
Man in großen Ziffern die Preise ihres Inhalts liest. Zwischen ihnen sind
auf dem Steinboden die Tische, Bänke und Sessel aufgestellt. Im Hinter¬
grunde flackert auf berußten Herde die gelb und rothe Flamme des Kochfeuers
um Topf und Tiegel. In der Nachbarschaft trägt eine lange Tafel die Pro-
ducte der Köchin, die mit dem Messer dahinter steht, bereit, nach Verlangen
abzuschneiden. Um den Herd hängen Schinken, Würste, gerupftes Geflügel
und die in Italien unvermeidlichen Zwiebelkränze, und an den Wänden fun¬
kelt im Schein des Feuers ein Rüstzeug blankgescheuerter Kupfergeschirre.
Fischer, Matrosen, Facchini und istrianer Landleute bilden das Publicum, zu
dem auch die mittlere Schicht der Gesellschaft ihr Contingent liefert, sofern
ste es nicht vorzieht, ihren „Schwarzen" (d. i. ihren Rothwein) daheim
zu trinken.

Der Wein, in weißen Steingutkännchen credenzt, die mit dem Namen
Bozza bezeichnet werden, und aus kleinen Gläsern ohne Fuß getrunken, ist
ein Gewächs der Umgegend, sehr dunkel, ziemlich feurig und auf alle Fälle
trinkbarer, als der Essig, den die Ganymede Wiens und Triests in der Regel
dem beklagenswerthen Gaste unter dem Namen des einen oder des andern
östreichischen Weins zu genießen geben. Wirthe, die auf ein gutes Getränk
halten, haben stets ein volles Haus, und oft muß der späterkommende seine
Knie zum Tische nehmen. Die Gäste unterhalten sich mit südlicher Lebhaf¬
tigkeit und südlichem Minen- und Geberdenspiel. Bisweilen sieht man noch
eine Gruppe von Moraspielern, in den meisten Osterien jedoch verbittet sich
der Wirth dieses Vergnügen durch einen gedruckten Anschlag. Dagegen ist
ein anderes charakteristisches Merkmal dieser Schenken, ein kleines buntange¬
putztes, von Blumen umgebenes Bild der Mutter Gottes mit dem Jesuskinde
auf einer Art Altar, vor dem eine Lampe brennt, noch in allen zu finden.

Zwischen den Gästen läuft, da eine Bozza, dort eine Mezza-Bozza brin¬
gend, der Kellner, hier zum Unterschied vom Kaffeehauskellner, welcher auf
dem Namen Camericre hört, Bottega genannt, wandelt, dem einen Branzin,
diesem eine Sfoglia, jenem eine Schnitte in Oel gebratenen Kalbfleisches
servirend, die ewig lächelnde Cuca, schreiten Maroncnverkäuser und Bursche,
welche geröstete Haselnüsse anbieten, umher. Das Halbdunkel, welches über
den Raum ausgegossen ist und mitleidig manchen Schmuzfleck auf Tisch und
Wand und manchen zerrissenen Jackenärmel bedeckt, das prasselnde Feuer,
die Düfte siedenden Baumöls, die den Kesseln auf dem Herde entsteigen, die
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/349>, abgerufen am 01.09.2024.