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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Griechenland getragen wird. Auf dem Corso, beiläufig einer Straße von echt
großstädtischer Belebtheit, mischt sich in das Gewühl von pariser Modeanzügen,
weißen Militärröckcn, Marineuniformen, Mönchskutten uno Matrosenjacken
nicht selten die faltenreiche Fustanella, und zwischen den lichtbraunen, mit schwar¬
zem, pelzartig gekräuseltem Wollenstoff gefütterten, mit grellrothen Besatz ver¬
zierten Kapuzenröcken der Facchini, den weißen, hinten in eine dreikantige
Spitzenecke auslaufenden Kopftüchern der Bäuerinnen von Serpvla und Pro-
secco, den hohen Pelzmützen und kurzen Kniehosen der männlichen Bevölkerung
dieser und anderer Nachbarorte schlottern häufig jene faltenreichen blauen Bein¬
kleider Dalmatiens hin, von denen man nicht weiß, ob man sie Unterröcke
oder Pantalons nennen soll. DaS rothe Fez des Türken ist nicht minder
häufig, und selbst Turban und Kaftan treten bisweilen mit der ihnen eignen
Gravität in die Scene herein. Der arabische Burnus endlich mit seiner gro¬
tesken Q-uastenzier wird oft auch von hier Gebornen getragen.

Unter den Frauen begegnet man öfter als im Norden regelmäßigen
Zügen und schönen ausdrucksvollen Augen, noch häufiger reichem Haar, welches
selbst von den niedern Ständen mit größter Sorgfalt gepflegt und selbst von
den höhern bisweilen auf der Straße unbedeckt getragen wird, eine Sitte, die
entschieden italienischen Charakters ist. Die nie leeren Kaffeehäuser, laut¬
schreiende Verkäufer von Süßigkeiten und gebratnen Aepfeln, die an kleine
Holzspieße gesteckt sind, Apfelsinenhändler, Höcker mit Maronen, die auf offner
Straße auf Kohlen geröstet werden, der Fischmarkt mit seinen vielen seltsamen,
oft wunderbaren Wasserthieren, Riesenaustern, Seeinsekten und andern Gaben
der südlichen Meere erinnern nicht weniger daran, daß der Reisende die Grenze
des Nordens hier überschritten hat.

Eine ausgeprägt italienische Physiognomie endlich haben die Trattorien
und Osterien, Garküchen und Schenken, wo der Mittelstand und der gemeine
Mann sich vergnügt. Die Deutschen geben dem Bier den Vorzug, und so
sind hier in den letzten Jahren verschiedene Gämbrinustempel entstanden, deren
Besuch den Wirthen nichts zu wünschen übrig läßt. Auch der eine und der
andere Italiener hat sich zum Cultus dieses nordischen Heroen bekehrt, vorzüg¬
lich seit infolge mehrer Mißernten eine erhebliche Vertheuerung des Weins ein¬
getreten ist. Die Mehrzahl jedoch hat sich noch nicht dazu entschließen können,
und während die bessern Stände nur die Kaffeehäuser besuchen, deren es hier
eine große Anzahl und darunter sehr elegant ausgestattete gibt, befriedigt der
Rest seinen Durst und seinen Trieb nach abendlicher Unterhaltung in der
Osteria, wo lediglich Wein geschenkt wird.

Diese Locale sind charakteristisch genug, um die Einfügung einer Zeich¬
nung nach der Natur zu rechtfertigen. Sie liegen vorzugsweise in der Alt¬
stadt, wo sie sich die engsten Gäßchen, die verstecktesten Winkel ausgesucht


Griechenland getragen wird. Auf dem Corso, beiläufig einer Straße von echt
großstädtischer Belebtheit, mischt sich in das Gewühl von pariser Modeanzügen,
weißen Militärröckcn, Marineuniformen, Mönchskutten uno Matrosenjacken
nicht selten die faltenreiche Fustanella, und zwischen den lichtbraunen, mit schwar¬
zem, pelzartig gekräuseltem Wollenstoff gefütterten, mit grellrothen Besatz ver¬
zierten Kapuzenröcken der Facchini, den weißen, hinten in eine dreikantige
Spitzenecke auslaufenden Kopftüchern der Bäuerinnen von Serpvla und Pro-
secco, den hohen Pelzmützen und kurzen Kniehosen der männlichen Bevölkerung
dieser und anderer Nachbarorte schlottern häufig jene faltenreichen blauen Bein¬
kleider Dalmatiens hin, von denen man nicht weiß, ob man sie Unterröcke
oder Pantalons nennen soll. DaS rothe Fez des Türken ist nicht minder
häufig, und selbst Turban und Kaftan treten bisweilen mit der ihnen eignen
Gravität in die Scene herein. Der arabische Burnus endlich mit seiner gro¬
tesken Q-uastenzier wird oft auch von hier Gebornen getragen.

Unter den Frauen begegnet man öfter als im Norden regelmäßigen
Zügen und schönen ausdrucksvollen Augen, noch häufiger reichem Haar, welches
selbst von den niedern Ständen mit größter Sorgfalt gepflegt und selbst von
den höhern bisweilen auf der Straße unbedeckt getragen wird, eine Sitte, die
entschieden italienischen Charakters ist. Die nie leeren Kaffeehäuser, laut¬
schreiende Verkäufer von Süßigkeiten und gebratnen Aepfeln, die an kleine
Holzspieße gesteckt sind, Apfelsinenhändler, Höcker mit Maronen, die auf offner
Straße auf Kohlen geröstet werden, der Fischmarkt mit seinen vielen seltsamen,
oft wunderbaren Wasserthieren, Riesenaustern, Seeinsekten und andern Gaben
der südlichen Meere erinnern nicht weniger daran, daß der Reisende die Grenze
des Nordens hier überschritten hat.

Eine ausgeprägt italienische Physiognomie endlich haben die Trattorien
und Osterien, Garküchen und Schenken, wo der Mittelstand und der gemeine
Mann sich vergnügt. Die Deutschen geben dem Bier den Vorzug, und so
sind hier in den letzten Jahren verschiedene Gämbrinustempel entstanden, deren
Besuch den Wirthen nichts zu wünschen übrig läßt. Auch der eine und der
andere Italiener hat sich zum Cultus dieses nordischen Heroen bekehrt, vorzüg¬
lich seit infolge mehrer Mißernten eine erhebliche Vertheuerung des Weins ein¬
getreten ist. Die Mehrzahl jedoch hat sich noch nicht dazu entschließen können,
und während die bessern Stände nur die Kaffeehäuser besuchen, deren es hier
eine große Anzahl und darunter sehr elegant ausgestattete gibt, befriedigt der
Rest seinen Durst und seinen Trieb nach abendlicher Unterhaltung in der
Osteria, wo lediglich Wein geschenkt wird.

Diese Locale sind charakteristisch genug, um die Einfügung einer Zeich¬
nung nach der Natur zu rechtfertigen. Sie liegen vorzugsweise in der Alt¬
stadt, wo sie sich die engsten Gäßchen, die verstecktesten Winkel ausgesucht


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[0348] Griechenland getragen wird. Auf dem Corso, beiläufig einer Straße von echt großstädtischer Belebtheit, mischt sich in das Gewühl von pariser Modeanzügen, weißen Militärröckcn, Marineuniformen, Mönchskutten uno Matrosenjacken nicht selten die faltenreiche Fustanella, und zwischen den lichtbraunen, mit schwar¬ zem, pelzartig gekräuseltem Wollenstoff gefütterten, mit grellrothen Besatz ver¬ zierten Kapuzenröcken der Facchini, den weißen, hinten in eine dreikantige Spitzenecke auslaufenden Kopftüchern der Bäuerinnen von Serpvla und Pro- secco, den hohen Pelzmützen und kurzen Kniehosen der männlichen Bevölkerung dieser und anderer Nachbarorte schlottern häufig jene faltenreichen blauen Bein¬ kleider Dalmatiens hin, von denen man nicht weiß, ob man sie Unterröcke oder Pantalons nennen soll. DaS rothe Fez des Türken ist nicht minder häufig, und selbst Turban und Kaftan treten bisweilen mit der ihnen eignen Gravität in die Scene herein. Der arabische Burnus endlich mit seiner gro¬ tesken Q-uastenzier wird oft auch von hier Gebornen getragen. Unter den Frauen begegnet man öfter als im Norden regelmäßigen Zügen und schönen ausdrucksvollen Augen, noch häufiger reichem Haar, welches selbst von den niedern Ständen mit größter Sorgfalt gepflegt und selbst von den höhern bisweilen auf der Straße unbedeckt getragen wird, eine Sitte, die entschieden italienischen Charakters ist. Die nie leeren Kaffeehäuser, laut¬ schreiende Verkäufer von Süßigkeiten und gebratnen Aepfeln, die an kleine Holzspieße gesteckt sind, Apfelsinenhändler, Höcker mit Maronen, die auf offner Straße auf Kohlen geröstet werden, der Fischmarkt mit seinen vielen seltsamen, oft wunderbaren Wasserthieren, Riesenaustern, Seeinsekten und andern Gaben der südlichen Meere erinnern nicht weniger daran, daß der Reisende die Grenze des Nordens hier überschritten hat. Eine ausgeprägt italienische Physiognomie endlich haben die Trattorien und Osterien, Garküchen und Schenken, wo der Mittelstand und der gemeine Mann sich vergnügt. Die Deutschen geben dem Bier den Vorzug, und so sind hier in den letzten Jahren verschiedene Gämbrinustempel entstanden, deren Besuch den Wirthen nichts zu wünschen übrig läßt. Auch der eine und der andere Italiener hat sich zum Cultus dieses nordischen Heroen bekehrt, vorzüg¬ lich seit infolge mehrer Mißernten eine erhebliche Vertheuerung des Weins ein¬ getreten ist. Die Mehrzahl jedoch hat sich noch nicht dazu entschließen können, und während die bessern Stände nur die Kaffeehäuser besuchen, deren es hier eine große Anzahl und darunter sehr elegant ausgestattete gibt, befriedigt der Rest seinen Durst und seinen Trieb nach abendlicher Unterhaltung in der Osteria, wo lediglich Wein geschenkt wird. Diese Locale sind charakteristisch genug, um die Einfügung einer Zeich¬ nung nach der Natur zu rechtfertigen. Sie liegen vorzugsweise in der Alt¬ stadt, wo sie sich die engsten Gäßchen, die verstecktesten Winkel ausgesucht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/348>, abgerufen am 01.09.2024.