Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.vorüber, wie jenes frugale Fest des Dichters, der im dritten Stock zur Miethe Wie sollte eine so lebhafte, durch alle Schichten der Gesellschaft verbreitete vorüber, wie jenes frugale Fest des Dichters, der im dritten Stock zur Miethe Wie sollte eine so lebhafte, durch alle Schichten der Gesellschaft verbreitete <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0338" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104005"/> <p xml:id="ID_965" prev="#ID_964"> vorüber, wie jenes frugale Fest des Dichters, der im dritten Stock zur Miethe<lb/> wohnte. Selbst wenn er mit seiner Frau allein speiste, gab eS zum Dessert<lb/> eine Lustspielscene oder Lautenspiel. Zu üppigen Festen dagegen gehörten<lb/> rauschende Orchester und Chöre, zuweilen nur als Begleitung der Castagnetten¬<lb/> tänze schöner Andalusierinnen.</p><lb/> <p xml:id="ID_966" next="#ID_967"> Wie sollte eine so lebhafte, durch alle Schichten der Gesellschaft verbreitete<lb/> Empfänglichkeit für Musik nicht zu einem ausübenden Dilettantismus geführt<lb/> haben? Allerdings sträubte sich das römische Vorurtheil lange dagegen. Zwar<lb/> hatten seit uralter Zeit Knaben und Männer bei Festmahlzeiten Lieder von<lb/> den Thaten alter Helden mit und ohne Flötenspiel gesungen, aber die ernste<lb/> Feierlichkeit, der patriotische Inhalt, ohne Zweifel auch die kunstlose Einfachheit<lb/> der traditionellen Melodien, schützte diese Gesänge vor dem Vorwurf einer<lb/> frivolen Unterhaltung ebensowohl wie vor dem einer professionellen Fertigkeit.<lb/> Beides galt nach römischen Begriffen als unanständig für den Frei- und Edel-<lb/> gebornen, für den Gentleman. Doch mit dem steigenden Einfluß griechischer<lb/> Cultur und griechischer Umgangsformen machte die alte Strenge einer immer<lb/> weiter ausgedehnten Toleranz Platz. Der kunstmäßige Unterricht in Musik<lb/> und Tanz fand trotz der heftigsten Opposition schon in der grachischen Zeit<lb/> in die Erziehung Aufnahme. Schon damals gingen Knaben und Mädchen<lb/> von guter Abkunft in die Tanzschule und lernten singen, was nach den An-"<lb/> sichten der Vorfahren für schimpflich gegolten hatte. „Als mir dies jemand<lb/> erzählte," sagt der jüngere Scipio in einem zufällig erhaltenen Fragment einer<lb/> Rede, „konnte ich nicht glauben, daß adlige Familien ihre Kinder solche Dinge<lb/> lernen lassen; aber als ich in eine Tanzschule geführt ward, sah ich bei meiner<lb/> Ehre mehr als fünfhundert Knaben und Mädchen in dieser Schule, und (wo¬<lb/> bei mich der tiefste Schmerz um den Staat ergriff) einen Knaben, den Sohn<lb/> eines Mannes, der sich um ein Amt bewirbt, nicht jünger als zwölf Jahr,<lb/> einen Castagnettentanz tanzen, den ein nichtswürdiger, liederlicher, verworfener<lb/> Sklave anständigerweise nicht tanzen könnte." Wenn es damals noch all¬<lb/> gemein für einen Mann vom Stande als höchst ungeziemend galt, zu singen<lb/> und zu tanzen, so setzte sich schon Sulla mit seinem „donjuantschen" Ueber¬<lb/> muth über alle Vorschriften der altrömischen Convenienz hinweg, indem er<lb/> Schauspieler, Sänger und Tänzer in seinen Umgang zog und den Ruhm<lb/> nicht verschmähte, selbst ein guter Sänger zu sein. Schon in der letzten Zeit<lb/> der Republik wurde die Musik zu den Unterrichtsgegcnständen gezählt, welche<lb/> den Grund zu einer allgemeinen Bildung legen sollten, und im Anfang der<lb/> Kaiserzeit waren gute Gesang- und Tanzlehrer bereits sehr gesucht. Zu einer<lb/> vollständigen weiblichen Erziehung im modernen Sinne gehörte fortan die<lb/> Erwerbung einiger Fertigkeit im Gesang, Tanz und auf der Laute, nur gewisse<lb/> griechische Saiteninstrumente blieben für wohlerzogene Mädchen verpönt; w</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0338]
vorüber, wie jenes frugale Fest des Dichters, der im dritten Stock zur Miethe
wohnte. Selbst wenn er mit seiner Frau allein speiste, gab eS zum Dessert
eine Lustspielscene oder Lautenspiel. Zu üppigen Festen dagegen gehörten
rauschende Orchester und Chöre, zuweilen nur als Begleitung der Castagnetten¬
tänze schöner Andalusierinnen.
Wie sollte eine so lebhafte, durch alle Schichten der Gesellschaft verbreitete
Empfänglichkeit für Musik nicht zu einem ausübenden Dilettantismus geführt
haben? Allerdings sträubte sich das römische Vorurtheil lange dagegen. Zwar
hatten seit uralter Zeit Knaben und Männer bei Festmahlzeiten Lieder von
den Thaten alter Helden mit und ohne Flötenspiel gesungen, aber die ernste
Feierlichkeit, der patriotische Inhalt, ohne Zweifel auch die kunstlose Einfachheit
der traditionellen Melodien, schützte diese Gesänge vor dem Vorwurf einer
frivolen Unterhaltung ebensowohl wie vor dem einer professionellen Fertigkeit.
Beides galt nach römischen Begriffen als unanständig für den Frei- und Edel-
gebornen, für den Gentleman. Doch mit dem steigenden Einfluß griechischer
Cultur und griechischer Umgangsformen machte die alte Strenge einer immer
weiter ausgedehnten Toleranz Platz. Der kunstmäßige Unterricht in Musik
und Tanz fand trotz der heftigsten Opposition schon in der grachischen Zeit
in die Erziehung Aufnahme. Schon damals gingen Knaben und Mädchen
von guter Abkunft in die Tanzschule und lernten singen, was nach den An-"
sichten der Vorfahren für schimpflich gegolten hatte. „Als mir dies jemand
erzählte," sagt der jüngere Scipio in einem zufällig erhaltenen Fragment einer
Rede, „konnte ich nicht glauben, daß adlige Familien ihre Kinder solche Dinge
lernen lassen; aber als ich in eine Tanzschule geführt ward, sah ich bei meiner
Ehre mehr als fünfhundert Knaben und Mädchen in dieser Schule, und (wo¬
bei mich der tiefste Schmerz um den Staat ergriff) einen Knaben, den Sohn
eines Mannes, der sich um ein Amt bewirbt, nicht jünger als zwölf Jahr,
einen Castagnettentanz tanzen, den ein nichtswürdiger, liederlicher, verworfener
Sklave anständigerweise nicht tanzen könnte." Wenn es damals noch all¬
gemein für einen Mann vom Stande als höchst ungeziemend galt, zu singen
und zu tanzen, so setzte sich schon Sulla mit seinem „donjuantschen" Ueber¬
muth über alle Vorschriften der altrömischen Convenienz hinweg, indem er
Schauspieler, Sänger und Tänzer in seinen Umgang zog und den Ruhm
nicht verschmähte, selbst ein guter Sänger zu sein. Schon in der letzten Zeit
der Republik wurde die Musik zu den Unterrichtsgegcnständen gezählt, welche
den Grund zu einer allgemeinen Bildung legen sollten, und im Anfang der
Kaiserzeit waren gute Gesang- und Tanzlehrer bereits sehr gesucht. Zu einer
vollständigen weiblichen Erziehung im modernen Sinne gehörte fortan die
Erwerbung einiger Fertigkeit im Gesang, Tanz und auf der Laute, nur gewisse
griechische Saiteninstrumente blieben für wohlerzogene Mädchen verpönt; w
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