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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Bezug auf den Unterricht der Knaben waren die Ansichten getheilt, doch auch
die Gegner der Musik waren nicht gegen ein Studium der musikalischen Theo¬
rie, und selbst die praktischen Uebungen konnten zu untadligen Zwecken ver¬
werthet werden. Obwol es damals kein öffentliches Leben mehr gab, so war
doch noch immer die Fähigkeit öffentlich zu reden im Senat, vor Gericht und
sonst unentbehrlich. Die formellen Ansprüche, die an einen guten Vortrag
gemacht wurden, waren sehr groß, man verlangte nicht blos rhythmische Glie¬
derung und musikalischen Tonfall der Rede, sondern auch Wohllaut, Fülle
und Stärke des Organs und kunstvolle Modulation; deshalb machten die¬
jenigen, die sich zu Rednern ausbilden wollten, eine mehr oder minder voll¬
ständige Schule der Stimmbildung durch. Wie ganz der Vortrag des antiken
Redners von dem modernen verschieden war, wie sehr sich seine Modulation der
musikalischen näherte, sind wir nicht im Stande uns vorzustellen. Cajus
Grachus, der leidenschaftlichste Redner des römischen Alterthums, stellte, wenn
er öffentlich auftrat, einen Musiker hinter sich, mit einem Instrument, sagt
Plutarch, mit dem sie in der Stimmschule die hohen Töne herabstimmen d.h.
ohne Zweifel, den Redenden das Zeichen dazu geben. Verfiel nun Grachus,
was in der Regel geschah, wenn er in Leidenschaft geriet!), in schrille und
scharfe Töne, so gab jener einen tiefern Ton auf seinem Instrument an, und
GrachuS ging in die entsprechende Tonlage herunter.

War musikalische Bildung in der Kaiserzeit sehr ausgebreitet, so war auch
die Sitte, durch Gesang, Spiel und Tanz zur gesellschaftlichen Unterhaltung
beizutragen allgemein, und die Dilettanten begnügten sich nicht mit dem Vor¬
tragen fremder Musik, sondern componirter häusig selbst. Salondamen sangen
beliebte Theaterarien und alerandrinische Melodien, und begleiteten sich auf
der Cither, aber auch selbstgesetzte Gedichte. Plinius der jüngere rühmt von
seiner Frau, daß sie seine eignen lyrischen Versuche componirt habe, ohne einen
andern Lehrer als die Liebe; vermuthlich verlangte man von solchen Compositio-
nen nicht sehr viel. In eleganten Boudoirs sah man kostbare, mit Edelsteinen
besetzte Instrumente verschiedener Art; reiche Dilettantinnen besaßen Elfenbein¬
stäbchen, mit denen berühmte Virtuosen die Saiten geschlagen hatten, und
drückten Küsse auf diese kostbaren Reliquien. Die leidenschaftlichen Musiklieb¬
haber, welche den ganzen Tag mit Hören, Singen und Componiren zubrachten
Und unablässige Stimmübungen anstellten, konnten es auch in Gesellschaft nicht
lassen, fortwährend mit den Fingern den Takt zu Melodien zu schlagen, die sie
"n Kopfe hatten, und auch bei ernsten, ja traurigen Veranlassungen im Stillen
eine Arie zu summen. Musikalisches Talent verschaffte mitunter Zutritt in
vornehme Gesellschaft. Der Dilettantismus war bis in die höchsten Zirkel
verbreitet. Wenn noch Cornelius Nepos geschrieben hatte, daß nach römischen
Begriffen Singen sich für einen Mann nicht schicke, der den ersten Platz im


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Bezug auf den Unterricht der Knaben waren die Ansichten getheilt, doch auch
die Gegner der Musik waren nicht gegen ein Studium der musikalischen Theo¬
rie, und selbst die praktischen Uebungen konnten zu untadligen Zwecken ver¬
werthet werden. Obwol es damals kein öffentliches Leben mehr gab, so war
doch noch immer die Fähigkeit öffentlich zu reden im Senat, vor Gericht und
sonst unentbehrlich. Die formellen Ansprüche, die an einen guten Vortrag
gemacht wurden, waren sehr groß, man verlangte nicht blos rhythmische Glie¬
derung und musikalischen Tonfall der Rede, sondern auch Wohllaut, Fülle
und Stärke des Organs und kunstvolle Modulation; deshalb machten die¬
jenigen, die sich zu Rednern ausbilden wollten, eine mehr oder minder voll¬
ständige Schule der Stimmbildung durch. Wie ganz der Vortrag des antiken
Redners von dem modernen verschieden war, wie sehr sich seine Modulation der
musikalischen näherte, sind wir nicht im Stande uns vorzustellen. Cajus
Grachus, der leidenschaftlichste Redner des römischen Alterthums, stellte, wenn
er öffentlich auftrat, einen Musiker hinter sich, mit einem Instrument, sagt
Plutarch, mit dem sie in der Stimmschule die hohen Töne herabstimmen d.h.
ohne Zweifel, den Redenden das Zeichen dazu geben. Verfiel nun Grachus,
was in der Regel geschah, wenn er in Leidenschaft geriet!), in schrille und
scharfe Töne, so gab jener einen tiefern Ton auf seinem Instrument an, und
GrachuS ging in die entsprechende Tonlage herunter.

War musikalische Bildung in der Kaiserzeit sehr ausgebreitet, so war auch
die Sitte, durch Gesang, Spiel und Tanz zur gesellschaftlichen Unterhaltung
beizutragen allgemein, und die Dilettanten begnügten sich nicht mit dem Vor¬
tragen fremder Musik, sondern componirter häusig selbst. Salondamen sangen
beliebte Theaterarien und alerandrinische Melodien, und begleiteten sich auf
der Cither, aber auch selbstgesetzte Gedichte. Plinius der jüngere rühmt von
seiner Frau, daß sie seine eignen lyrischen Versuche componirt habe, ohne einen
andern Lehrer als die Liebe; vermuthlich verlangte man von solchen Compositio-
nen nicht sehr viel. In eleganten Boudoirs sah man kostbare, mit Edelsteinen
besetzte Instrumente verschiedener Art; reiche Dilettantinnen besaßen Elfenbein¬
stäbchen, mit denen berühmte Virtuosen die Saiten geschlagen hatten, und
drückten Küsse auf diese kostbaren Reliquien. Die leidenschaftlichen Musiklieb¬
haber, welche den ganzen Tag mit Hören, Singen und Componiren zubrachten
Und unablässige Stimmübungen anstellten, konnten es auch in Gesellschaft nicht
lassen, fortwährend mit den Fingern den Takt zu Melodien zu schlagen, die sie
"n Kopfe hatten, und auch bei ernsten, ja traurigen Veranlassungen im Stillen
eine Arie zu summen. Musikalisches Talent verschaffte mitunter Zutritt in
vornehme Gesellschaft. Der Dilettantismus war bis in die höchsten Zirkel
verbreitet. Wenn noch Cornelius Nepos geschrieben hatte, daß nach römischen
Begriffen Singen sich für einen Mann nicht schicke, der den ersten Platz im


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[0339] Bezug auf den Unterricht der Knaben waren die Ansichten getheilt, doch auch die Gegner der Musik waren nicht gegen ein Studium der musikalischen Theo¬ rie, und selbst die praktischen Uebungen konnten zu untadligen Zwecken ver¬ werthet werden. Obwol es damals kein öffentliches Leben mehr gab, so war doch noch immer die Fähigkeit öffentlich zu reden im Senat, vor Gericht und sonst unentbehrlich. Die formellen Ansprüche, die an einen guten Vortrag gemacht wurden, waren sehr groß, man verlangte nicht blos rhythmische Glie¬ derung und musikalischen Tonfall der Rede, sondern auch Wohllaut, Fülle und Stärke des Organs und kunstvolle Modulation; deshalb machten die¬ jenigen, die sich zu Rednern ausbilden wollten, eine mehr oder minder voll¬ ständige Schule der Stimmbildung durch. Wie ganz der Vortrag des antiken Redners von dem modernen verschieden war, wie sehr sich seine Modulation der musikalischen näherte, sind wir nicht im Stande uns vorzustellen. Cajus Grachus, der leidenschaftlichste Redner des römischen Alterthums, stellte, wenn er öffentlich auftrat, einen Musiker hinter sich, mit einem Instrument, sagt Plutarch, mit dem sie in der Stimmschule die hohen Töne herabstimmen d.h. ohne Zweifel, den Redenden das Zeichen dazu geben. Verfiel nun Grachus, was in der Regel geschah, wenn er in Leidenschaft geriet!), in schrille und scharfe Töne, so gab jener einen tiefern Ton auf seinem Instrument an, und GrachuS ging in die entsprechende Tonlage herunter. War musikalische Bildung in der Kaiserzeit sehr ausgebreitet, so war auch die Sitte, durch Gesang, Spiel und Tanz zur gesellschaftlichen Unterhaltung beizutragen allgemein, und die Dilettanten begnügten sich nicht mit dem Vor¬ tragen fremder Musik, sondern componirter häusig selbst. Salondamen sangen beliebte Theaterarien und alerandrinische Melodien, und begleiteten sich auf der Cither, aber auch selbstgesetzte Gedichte. Plinius der jüngere rühmt von seiner Frau, daß sie seine eignen lyrischen Versuche componirt habe, ohne einen andern Lehrer als die Liebe; vermuthlich verlangte man von solchen Compositio- nen nicht sehr viel. In eleganten Boudoirs sah man kostbare, mit Edelsteinen besetzte Instrumente verschiedener Art; reiche Dilettantinnen besaßen Elfenbein¬ stäbchen, mit denen berühmte Virtuosen die Saiten geschlagen hatten, und drückten Küsse auf diese kostbaren Reliquien. Die leidenschaftlichen Musiklieb¬ haber, welche den ganzen Tag mit Hören, Singen und Componiren zubrachten Und unablässige Stimmübungen anstellten, konnten es auch in Gesellschaft nicht lassen, fortwährend mit den Fingern den Takt zu Melodien zu schlagen, die sie "n Kopfe hatten, und auch bei ernsten, ja traurigen Veranlassungen im Stillen eine Arie zu summen. Musikalisches Talent verschaffte mitunter Zutritt in vornehme Gesellschaft. Der Dilettantismus war bis in die höchsten Zirkel verbreitet. Wenn noch Cornelius Nepos geschrieben hatte, daß nach römischen Begriffen Singen sich für einen Mann nicht schicke, der den ersten Platz im 42*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/339>, abgerufen am 01.09.2024.