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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Republik getreten; schon damals gab es in vornehmen Häusern Kapellen und
Sängerchöre, von denen man sich selbst bei kleinen Reisen über Land begleiten
ließ, wie Milo auf jenem Ausflug nach seiner Villa in Gesellschaft seiner
Frau, auf dem er von Clodius angefallen wurde. Schon damals war Bajä
das besuchteste Lurusbad, das Rendezvous für die elegante Welt, der Sitz
der schwelgerischen Ueppigkeit und Ausgelassenheit. Bei den psrties eines die
hier auf buntbemalten Gondeln auf dem Golf gemacht wurden, fehlte neben
der wohlbesetzten Tafel, den ausgesuchten Weinen, den duftenden Rosen auch
die Musik nicht. Golf und Ufer hallten bis in die Nacht hinein von Gesängen
und Symphonien wieder, und nüchterne Badegäste wurden von Ständchen
aus dem Schlaf geweckt. Auch in dem Bade, welches'mit Bajä durch seine
Eleganz.wie seine Corruption rivalisirte, Canopus bei Alerandria, spielte die
Musik eine große Rolle. War doch Alerandrien ganz eigentlich der Sitz jener
weichlichen, lasciven, auf gemeinen Ohrenkitzel berechneten Musik, deren Ueber-
handnehmen von den Freunden einer ernsten Kunst so sehr beklagt wurde.
Gesang und Cither war für die Alexandriner die Panacee für jedes Uebel,
alle Geschäfte wurden unter Gesang abgemacht, und selbst die Straßenkrawalle
lösten sich in Chansons auf.

Wenn die Römer die Kunst zum Werkzeuge des Sinnengenusses herab-
'würdigten, so muß man ihnen wenigstens den Ruhm lassen, das Raffinement
dieses fo wie jedes andern Lurus vortrefflich verstanden zu haben. Mäcenas
ließ sich von entfernten Symphonien in Schlummer wiegen, Caligula unter
dem Schall von Chören und Instrumenten auf Prachtgaleeren von den sanften
Wellen des Golfs von Neapel schaukeln. Bor allem wollte man bei Tafel
mit allen Sinnen zugleich genießen; nicht blos der Gaumen sollte durch die
feinsten Leckerbissen gekitzelt werden, auch Ohr und Auge sollten gleichzeitig die
angenehmsten Eindrücke empfangen. Orchestermusik bei Tafel war schon unter
August gewöhnlich, und blieb es bis in die späteste Zeit. In den Zeiten
des culminirenden musikalischen Enthusiasmus konnte die unaufhörliche Musik
bei Tisch unerträglich werden. Ihr fragt, sagt Martial, wie ein Gastmahl
am"besten zu arrangiren sei? Indem man das Orchester fortläßt. Aber ganz
wollte auch er die Musik nicht entbehren. Er ladet einen Freund zu einem
äußerst frugalen Mahl. Gesalzener Thunfisch mit zerschnittenen Eiern, dam¬
pfende Broccoli, eine Wurst auf weißem Mehlbrei, Bohnen mit Speck, zum
Nachtisch Oliven, Kastanien und Obst, als Getränk ein mittelmäßiger Wein;
"ber dies bescheidene Mahl soll doch von der Musik einer kurzen Flöte be¬
gleitet werden. Der jüngere Plinius, ein Zeitgenosse des Dichters, that sich
etwas daraus zu gute, daß er den ausschweifenden TafelluruS der damaligen
eleganten Welt nicht mitmachte und nur intellectuelle Unterhaltungen zuließ;
"ber auch in seinem Palast ging die tägliche Mahlzeit ebensowenig ohne Musik


Grenzboten II. 18S7. , 42

Republik getreten; schon damals gab es in vornehmen Häusern Kapellen und
Sängerchöre, von denen man sich selbst bei kleinen Reisen über Land begleiten
ließ, wie Milo auf jenem Ausflug nach seiner Villa in Gesellschaft seiner
Frau, auf dem er von Clodius angefallen wurde. Schon damals war Bajä
das besuchteste Lurusbad, das Rendezvous für die elegante Welt, der Sitz
der schwelgerischen Ueppigkeit und Ausgelassenheit. Bei den psrties eines die
hier auf buntbemalten Gondeln auf dem Golf gemacht wurden, fehlte neben
der wohlbesetzten Tafel, den ausgesuchten Weinen, den duftenden Rosen auch
die Musik nicht. Golf und Ufer hallten bis in die Nacht hinein von Gesängen
und Symphonien wieder, und nüchterne Badegäste wurden von Ständchen
aus dem Schlaf geweckt. Auch in dem Bade, welches'mit Bajä durch seine
Eleganz.wie seine Corruption rivalisirte, Canopus bei Alerandria, spielte die
Musik eine große Rolle. War doch Alerandrien ganz eigentlich der Sitz jener
weichlichen, lasciven, auf gemeinen Ohrenkitzel berechneten Musik, deren Ueber-
handnehmen von den Freunden einer ernsten Kunst so sehr beklagt wurde.
Gesang und Cither war für die Alexandriner die Panacee für jedes Uebel,
alle Geschäfte wurden unter Gesang abgemacht, und selbst die Straßenkrawalle
lösten sich in Chansons auf.

Wenn die Römer die Kunst zum Werkzeuge des Sinnengenusses herab-
'würdigten, so muß man ihnen wenigstens den Ruhm lassen, das Raffinement
dieses fo wie jedes andern Lurus vortrefflich verstanden zu haben. Mäcenas
ließ sich von entfernten Symphonien in Schlummer wiegen, Caligula unter
dem Schall von Chören und Instrumenten auf Prachtgaleeren von den sanften
Wellen des Golfs von Neapel schaukeln. Bor allem wollte man bei Tafel
mit allen Sinnen zugleich genießen; nicht blos der Gaumen sollte durch die
feinsten Leckerbissen gekitzelt werden, auch Ohr und Auge sollten gleichzeitig die
angenehmsten Eindrücke empfangen. Orchestermusik bei Tafel war schon unter
August gewöhnlich, und blieb es bis in die späteste Zeit. In den Zeiten
des culminirenden musikalischen Enthusiasmus konnte die unaufhörliche Musik
bei Tisch unerträglich werden. Ihr fragt, sagt Martial, wie ein Gastmahl
am«besten zu arrangiren sei? Indem man das Orchester fortläßt. Aber ganz
wollte auch er die Musik nicht entbehren. Er ladet einen Freund zu einem
äußerst frugalen Mahl. Gesalzener Thunfisch mit zerschnittenen Eiern, dam¬
pfende Broccoli, eine Wurst auf weißem Mehlbrei, Bohnen mit Speck, zum
Nachtisch Oliven, Kastanien und Obst, als Getränk ein mittelmäßiger Wein;
"ber dies bescheidene Mahl soll doch von der Musik einer kurzen Flöte be¬
gleitet werden. Der jüngere Plinius, ein Zeitgenosse des Dichters, that sich
etwas daraus zu gute, daß er den ausschweifenden TafelluruS der damaligen
eleganten Welt nicht mitmachte und nur intellectuelle Unterhaltungen zuließ;
"ber auch in seinem Palast ging die tägliche Mahlzeit ebensowenig ohne Musik


Grenzboten II. 18S7. , 42
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[0337] Republik getreten; schon damals gab es in vornehmen Häusern Kapellen und Sängerchöre, von denen man sich selbst bei kleinen Reisen über Land begleiten ließ, wie Milo auf jenem Ausflug nach seiner Villa in Gesellschaft seiner Frau, auf dem er von Clodius angefallen wurde. Schon damals war Bajä das besuchteste Lurusbad, das Rendezvous für die elegante Welt, der Sitz der schwelgerischen Ueppigkeit und Ausgelassenheit. Bei den psrties eines die hier auf buntbemalten Gondeln auf dem Golf gemacht wurden, fehlte neben der wohlbesetzten Tafel, den ausgesuchten Weinen, den duftenden Rosen auch die Musik nicht. Golf und Ufer hallten bis in die Nacht hinein von Gesängen und Symphonien wieder, und nüchterne Badegäste wurden von Ständchen aus dem Schlaf geweckt. Auch in dem Bade, welches'mit Bajä durch seine Eleganz.wie seine Corruption rivalisirte, Canopus bei Alerandria, spielte die Musik eine große Rolle. War doch Alerandrien ganz eigentlich der Sitz jener weichlichen, lasciven, auf gemeinen Ohrenkitzel berechneten Musik, deren Ueber- handnehmen von den Freunden einer ernsten Kunst so sehr beklagt wurde. Gesang und Cither war für die Alexandriner die Panacee für jedes Uebel, alle Geschäfte wurden unter Gesang abgemacht, und selbst die Straßenkrawalle lösten sich in Chansons auf. Wenn die Römer die Kunst zum Werkzeuge des Sinnengenusses herab- 'würdigten, so muß man ihnen wenigstens den Ruhm lassen, das Raffinement dieses fo wie jedes andern Lurus vortrefflich verstanden zu haben. Mäcenas ließ sich von entfernten Symphonien in Schlummer wiegen, Caligula unter dem Schall von Chören und Instrumenten auf Prachtgaleeren von den sanften Wellen des Golfs von Neapel schaukeln. Bor allem wollte man bei Tafel mit allen Sinnen zugleich genießen; nicht blos der Gaumen sollte durch die feinsten Leckerbissen gekitzelt werden, auch Ohr und Auge sollten gleichzeitig die angenehmsten Eindrücke empfangen. Orchestermusik bei Tafel war schon unter August gewöhnlich, und blieb es bis in die späteste Zeit. In den Zeiten des culminirenden musikalischen Enthusiasmus konnte die unaufhörliche Musik bei Tisch unerträglich werden. Ihr fragt, sagt Martial, wie ein Gastmahl am«besten zu arrangiren sei? Indem man das Orchester fortläßt. Aber ganz wollte auch er die Musik nicht entbehren. Er ladet einen Freund zu einem äußerst frugalen Mahl. Gesalzener Thunfisch mit zerschnittenen Eiern, dam¬ pfende Broccoli, eine Wurst auf weißem Mehlbrei, Bohnen mit Speck, zum Nachtisch Oliven, Kastanien und Obst, als Getränk ein mittelmäßiger Wein; "ber dies bescheidene Mahl soll doch von der Musik einer kurzen Flöte be¬ gleitet werden. Der jüngere Plinius, ein Zeitgenosse des Dichters, that sich etwas daraus zu gute, daß er den ausschweifenden TafelluruS der damaligen eleganten Welt nicht mitmachte und nur intellectuelle Unterhaltungen zuließ; "ber auch in seinem Palast ging die tägliche Mahlzeit ebensowenig ohne Musik Grenzboten II. 18S7. , 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/337>, abgerufen am 01.09.2024.