Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Röcke abwerfen, um in Purzelbäumen und Bockssprüngen den durchbrechenden
Jugendübermuth auszutoben, da kommen Unterkleider ans Tageslicht, deren
Heiterkeit selbst einem sehr melancholischen Temperamente die Wolken von der
Stirn zu scheuchen vermöchten.

Auch die bei Salerno, Florenz, in der Campagna und an vielen andern
Orten noch herrschende Sitte, daß Mädchen und Frauen vor oder hinter dem
Reiter mit aufsitzen, hat ihre malerische Seite. Nicht selten reiten sie selbst
nach Art der Männer, was zwar nicht immer graciös, doch häufig naiv genug
aussteht, um sich an rechter Stelle zur charakteristischen Staffage verwenden
zu lassen. Bei Velletri begegnete uns eine solche Reiterin; die Rechte hielt
einen Säugling, der sich durch die Bewegung deS Maulthiers von der Mutter¬
brust nicht wegstören ließ; die Linke zügelte das unfolgsame Thier.

Der Strickstrumpf in der Hand wandernder Bäuerinnen zwischen Siena und
Florenz hat für die Beurtheilung südländischen Fleißes Interesse, aber sein
malerischer Werth ist nicht groß. Dagegen schmückt die Spindel fast jede Hand,
und der Künstler wird glücklich sein, sie noch durch ganz Italien im Gebrauch
zu finden. Bei Corea sahen wir sogar einen alten Großvater mit seiner Spin¬
del im Freien umherwandeln. Man weiß, daß auf dem Lande überall die
Beschäftigungen nicht streng nach dem Geschlechte den männlichen oder weib¬
lichen Hausgenossen zugewiesen sind; der neunundachtzigjährige Stabhalter in
Lochmattten unweit Herrischried sitzt daheim am- Spinnrade, und keiner ehrt
ihn deshalb weniger.

Häufig gesellt sich zu den arbeitend Umherwandernden ein Hausthier und
zwar meist eins, das der Maler treu wiedergeben darf, ohne in die Rococo-
staffage bebänderter Lämmchen zurückzuversallen. Die gemüthlichen Begleiter
durch Feld und Flur sind gewöhnlich kleine Schweine; schwarze, mit kurzem,
büffelähnlichen Haar im Neapolitanischen, schwarzgelbe im Römischen und gelbe
in den nördlicheren Gegenden. Ein Hirte, der zugleich Soldat war und Lämmer
auftrieb, begegnete uns kurz vor Fondi; sein Gewehr hing ihm über die Achsel
und das anhängliche Thierchen mit der koketten Schwanzlocke schnupperte hin¬
ter ihm drein.

^ Nicht minder theilen Kühe, Esel, Ziegen die allgemeine Abneigung gegen
unnöthiges Verweilen unter Dach und Fach. In der Zeit, wo sie Milch
geben, werden sie Morgens den Kunden vors Haus geführt und sowol in
Se. Lucia in Neapel wie in andern Städten sahen wir den Milchhandel auf
die allerunmittelbarste Art vom Euter in die Kaffeeschale betrieben. Durch
Roms Straßen wandern in den letzten Frühlingsmonaten und dann wieder im
Spätsommer ganze Heerden langbärtiger Ziegen. Wo sie anhalten, kommen
die Milchbedürstigen mit Gläsern und Kannen herbei, und der halb in Fell
gekleidete Hirte mit dem braunen Spitzhut auf dem Kopf und dem sonnver-


Röcke abwerfen, um in Purzelbäumen und Bockssprüngen den durchbrechenden
Jugendübermuth auszutoben, da kommen Unterkleider ans Tageslicht, deren
Heiterkeit selbst einem sehr melancholischen Temperamente die Wolken von der
Stirn zu scheuchen vermöchten.

Auch die bei Salerno, Florenz, in der Campagna und an vielen andern
Orten noch herrschende Sitte, daß Mädchen und Frauen vor oder hinter dem
Reiter mit aufsitzen, hat ihre malerische Seite. Nicht selten reiten sie selbst
nach Art der Männer, was zwar nicht immer graciös, doch häufig naiv genug
aussteht, um sich an rechter Stelle zur charakteristischen Staffage verwenden
zu lassen. Bei Velletri begegnete uns eine solche Reiterin; die Rechte hielt
einen Säugling, der sich durch die Bewegung deS Maulthiers von der Mutter¬
brust nicht wegstören ließ; die Linke zügelte das unfolgsame Thier.

Der Strickstrumpf in der Hand wandernder Bäuerinnen zwischen Siena und
Florenz hat für die Beurtheilung südländischen Fleißes Interesse, aber sein
malerischer Werth ist nicht groß. Dagegen schmückt die Spindel fast jede Hand,
und der Künstler wird glücklich sein, sie noch durch ganz Italien im Gebrauch
zu finden. Bei Corea sahen wir sogar einen alten Großvater mit seiner Spin¬
del im Freien umherwandeln. Man weiß, daß auf dem Lande überall die
Beschäftigungen nicht streng nach dem Geschlechte den männlichen oder weib¬
lichen Hausgenossen zugewiesen sind; der neunundachtzigjährige Stabhalter in
Lochmattten unweit Herrischried sitzt daheim am- Spinnrade, und keiner ehrt
ihn deshalb weniger.

Häufig gesellt sich zu den arbeitend Umherwandernden ein Hausthier und
zwar meist eins, das der Maler treu wiedergeben darf, ohne in die Rococo-
staffage bebänderter Lämmchen zurückzuversallen. Die gemüthlichen Begleiter
durch Feld und Flur sind gewöhnlich kleine Schweine; schwarze, mit kurzem,
büffelähnlichen Haar im Neapolitanischen, schwarzgelbe im Römischen und gelbe
in den nördlicheren Gegenden. Ein Hirte, der zugleich Soldat war und Lämmer
auftrieb, begegnete uns kurz vor Fondi; sein Gewehr hing ihm über die Achsel
und das anhängliche Thierchen mit der koketten Schwanzlocke schnupperte hin¬
ter ihm drein.

^ Nicht minder theilen Kühe, Esel, Ziegen die allgemeine Abneigung gegen
unnöthiges Verweilen unter Dach und Fach. In der Zeit, wo sie Milch
geben, werden sie Morgens den Kunden vors Haus geführt und sowol in
Se. Lucia in Neapel wie in andern Städten sahen wir den Milchhandel auf
die allerunmittelbarste Art vom Euter in die Kaffeeschale betrieben. Durch
Roms Straßen wandern in den letzten Frühlingsmonaten und dann wieder im
Spätsommer ganze Heerden langbärtiger Ziegen. Wo sie anhalten, kommen
die Milchbedürstigen mit Gläsern und Kannen herbei, und der halb in Fell
gekleidete Hirte mit dem braunen Spitzhut auf dem Kopf und dem sonnver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0318" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103985"/>
          <p xml:id="ID_911" prev="#ID_910"> Röcke abwerfen, um in Purzelbäumen und Bockssprüngen den durchbrechenden<lb/>
Jugendübermuth auszutoben, da kommen Unterkleider ans Tageslicht, deren<lb/>
Heiterkeit selbst einem sehr melancholischen Temperamente die Wolken von der<lb/>
Stirn zu scheuchen vermöchten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_912"> Auch die bei Salerno, Florenz, in der Campagna und an vielen andern<lb/>
Orten noch herrschende Sitte, daß Mädchen und Frauen vor oder hinter dem<lb/>
Reiter mit aufsitzen, hat ihre malerische Seite. Nicht selten reiten sie selbst<lb/>
nach Art der Männer, was zwar nicht immer graciös, doch häufig naiv genug<lb/>
aussteht, um sich an rechter Stelle zur charakteristischen Staffage verwenden<lb/>
zu lassen. Bei Velletri begegnete uns eine solche Reiterin; die Rechte hielt<lb/>
einen Säugling, der sich durch die Bewegung deS Maulthiers von der Mutter¬<lb/>
brust nicht wegstören ließ; die Linke zügelte das unfolgsame Thier.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_913"> Der Strickstrumpf in der Hand wandernder Bäuerinnen zwischen Siena und<lb/>
Florenz hat für die Beurtheilung südländischen Fleißes Interesse, aber sein<lb/>
malerischer Werth ist nicht groß. Dagegen schmückt die Spindel fast jede Hand,<lb/>
und der Künstler wird glücklich sein, sie noch durch ganz Italien im Gebrauch<lb/>
zu finden. Bei Corea sahen wir sogar einen alten Großvater mit seiner Spin¬<lb/>
del im Freien umherwandeln. Man weiß, daß auf dem Lande überall die<lb/>
Beschäftigungen nicht streng nach dem Geschlechte den männlichen oder weib¬<lb/>
lichen Hausgenossen zugewiesen sind; der neunundachtzigjährige Stabhalter in<lb/>
Lochmattten unweit Herrischried sitzt daheim am- Spinnrade, und keiner ehrt<lb/>
ihn deshalb weniger.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_914"> Häufig gesellt sich zu den arbeitend Umherwandernden ein Hausthier und<lb/>
zwar meist eins, das der Maler treu wiedergeben darf, ohne in die Rococo-<lb/>
staffage bebänderter Lämmchen zurückzuversallen. Die gemüthlichen Begleiter<lb/>
durch Feld und Flur sind gewöhnlich kleine Schweine; schwarze, mit kurzem,<lb/>
büffelähnlichen Haar im Neapolitanischen, schwarzgelbe im Römischen und gelbe<lb/>
in den nördlicheren Gegenden. Ein Hirte, der zugleich Soldat war und Lämmer<lb/>
auftrieb, begegnete uns kurz vor Fondi; sein Gewehr hing ihm über die Achsel<lb/>
und das anhängliche Thierchen mit der koketten Schwanzlocke schnupperte hin¬<lb/>
ter ihm drein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_915" next="#ID_916"> ^ Nicht minder theilen Kühe, Esel, Ziegen die allgemeine Abneigung gegen<lb/>
unnöthiges Verweilen unter Dach und Fach. In der Zeit, wo sie Milch<lb/>
geben, werden sie Morgens den Kunden vors Haus geführt und sowol in<lb/>
Se. Lucia in Neapel wie in andern Städten sahen wir den Milchhandel auf<lb/>
die allerunmittelbarste Art vom Euter in die Kaffeeschale betrieben. Durch<lb/>
Roms Straßen wandern in den letzten Frühlingsmonaten und dann wieder im<lb/>
Spätsommer ganze Heerden langbärtiger Ziegen. Wo sie anhalten, kommen<lb/>
die Milchbedürstigen mit Gläsern und Kannen herbei, und der halb in Fell<lb/>
gekleidete Hirte mit dem braunen Spitzhut auf dem Kopf und dem sonnver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0318] Röcke abwerfen, um in Purzelbäumen und Bockssprüngen den durchbrechenden Jugendübermuth auszutoben, da kommen Unterkleider ans Tageslicht, deren Heiterkeit selbst einem sehr melancholischen Temperamente die Wolken von der Stirn zu scheuchen vermöchten. Auch die bei Salerno, Florenz, in der Campagna und an vielen andern Orten noch herrschende Sitte, daß Mädchen und Frauen vor oder hinter dem Reiter mit aufsitzen, hat ihre malerische Seite. Nicht selten reiten sie selbst nach Art der Männer, was zwar nicht immer graciös, doch häufig naiv genug aussteht, um sich an rechter Stelle zur charakteristischen Staffage verwenden zu lassen. Bei Velletri begegnete uns eine solche Reiterin; die Rechte hielt einen Säugling, der sich durch die Bewegung deS Maulthiers von der Mutter¬ brust nicht wegstören ließ; die Linke zügelte das unfolgsame Thier. Der Strickstrumpf in der Hand wandernder Bäuerinnen zwischen Siena und Florenz hat für die Beurtheilung südländischen Fleißes Interesse, aber sein malerischer Werth ist nicht groß. Dagegen schmückt die Spindel fast jede Hand, und der Künstler wird glücklich sein, sie noch durch ganz Italien im Gebrauch zu finden. Bei Corea sahen wir sogar einen alten Großvater mit seiner Spin¬ del im Freien umherwandeln. Man weiß, daß auf dem Lande überall die Beschäftigungen nicht streng nach dem Geschlechte den männlichen oder weib¬ lichen Hausgenossen zugewiesen sind; der neunundachtzigjährige Stabhalter in Lochmattten unweit Herrischried sitzt daheim am- Spinnrade, und keiner ehrt ihn deshalb weniger. Häufig gesellt sich zu den arbeitend Umherwandernden ein Hausthier und zwar meist eins, das der Maler treu wiedergeben darf, ohne in die Rococo- staffage bebänderter Lämmchen zurückzuversallen. Die gemüthlichen Begleiter durch Feld und Flur sind gewöhnlich kleine Schweine; schwarze, mit kurzem, büffelähnlichen Haar im Neapolitanischen, schwarzgelbe im Römischen und gelbe in den nördlicheren Gegenden. Ein Hirte, der zugleich Soldat war und Lämmer auftrieb, begegnete uns kurz vor Fondi; sein Gewehr hing ihm über die Achsel und das anhängliche Thierchen mit der koketten Schwanzlocke schnupperte hin¬ ter ihm drein. ^ Nicht minder theilen Kühe, Esel, Ziegen die allgemeine Abneigung gegen unnöthiges Verweilen unter Dach und Fach. In der Zeit, wo sie Milch geben, werden sie Morgens den Kunden vors Haus geführt und sowol in Se. Lucia in Neapel wie in andern Städten sahen wir den Milchhandel auf die allerunmittelbarste Art vom Euter in die Kaffeeschale betrieben. Durch Roms Straßen wandern in den letzten Frühlingsmonaten und dann wieder im Spätsommer ganze Heerden langbärtiger Ziegen. Wo sie anhalten, kommen die Milchbedürstigen mit Gläsern und Kannen herbei, und der halb in Fell gekleidete Hirte mit dem braunen Spitzhut auf dem Kopf und dem sonnver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/318
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/318>, abgerufen am 01.09.2024.