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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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brannten, oft schönen, immer malerischen Gesicht, erleichtert das Euter derjenigen
Ziege, welche eben an der Reihe ist. Die andern lagern sich inzwischen, wo
sich Platz findet, und verwandeln Straße oder Markt in die natürlichste Trift.
Besonders gern wählen sie solche Stellen, wo ein Brunnen in der Nähe ist.
TrifftS sich nun gar, daß dieser Brunnen- antike Ueberbleibsel aufweist, daß
Frauen und Mädchen, mit dem schöngeformten Kupfergeschirr aus dem Kopfe,
gehen und kommen, oder daß wie in Venedig saubre Turlanerinnen, das
Krummholz auf der Achsel und den schwarzen, blumengeschmückten Männerhut
auf den Haarflechten, diese Gruppen beleben, so sieht sich das Künstlerauge
an dem immer wechselnden Bilde nicht satt.

Die Schmieden, bei uns so leicht einer malerischen Wirkung fähig, bieten
in Italien wunderbarerweise fast nirgend verwendbare Stoffe. Sie sind hier
meist außerordentlich sauber gehalten. Die Wände werden weiß getüncht und
Hufeisen, Nägel und Zangen in allerlei Arabeskensormen an ihnen aufgehängt.
Ebenfalls sehr schmuck und ordentlich in ihrer Ausstattung sind die offenen
Läden der Metzger, der Fruchthändler, der Pizzicagnoli. Blumen, Lorbecr-
büschel, Goldfähnchen und Lichter, vor allem bei hohen Festen, werden an¬
gebracht, wo nur ein Plätzchen frei ist. Die Metzger leiten übrigens ihre
Abkunft in gerader Linie von dem alten Rom ab. Die Seiler nicht minder.
In Neapel wird der bunte Aufputz und das Hinausverlegen deS Gewerbes
auf die Straße noch allgemeiner. In einer Seitengasse des Toledo hat sich
eine vollständige Buchdruckerei auf dem Lavapflaster etablirt. Während Weiber
mit ganzen Tuch- und Zeugläden aus dem Kopfe, halb nackte Männer mit
frisch gefangenen Triglien, Merluzzen und Sardellen in Körben oder Fässern,
Esel mit Feigen, Granatäpfeln, Melonen, Molignani, Cocuzzen und süßen
Mandarini beladen, die Straßen durchziehen und hundert Ausrufe die Luft
erfüllen, hockt der Setzer auf seinem Holzbock über Basilio Buotiö philolo¬
gischen Manuskripten oder entziffert mit Hilfe Vorübergehender Mellonis phy¬
sikalische Hieroglyphen oder beschneidet nach eignem Gutdünken die schon zum
Pasquellino verschrumpfte neapolitanische Ausgabe des Bocacciv. Nicht minder
ungestört flickt der Schneider neben ihm, arbeitet mit Ahle und Draht der
Schuster, klopft im Takte der Böttcher, -- jeder froh der frischen Luft und
der lustigen Umgebung, die ihn als beständigen Gratisznschauer duldet. Selbst
die Winkelschreiber, deren Verkehr unter dem Portal des Se. Carlotheaters
dem Genremaler stündlich eine Fülle malerischer Scenen bietet, haben sich nur
wenig auf die Seite geflüchtet und lassen sich kaum durch die Musikproben des
Theaterorchesters irre machen, welche unter Mercadantes Leitung mit Pauken
und Posaunengeschmetter in die offene Studirstube jener Herren von der Feder
hineinlärmen.

Nicht minder drastische Erscheinungen bieten die Quacksalber. Der Dol-


brannten, oft schönen, immer malerischen Gesicht, erleichtert das Euter derjenigen
Ziege, welche eben an der Reihe ist. Die andern lagern sich inzwischen, wo
sich Platz findet, und verwandeln Straße oder Markt in die natürlichste Trift.
Besonders gern wählen sie solche Stellen, wo ein Brunnen in der Nähe ist.
TrifftS sich nun gar, daß dieser Brunnen- antike Ueberbleibsel aufweist, daß
Frauen und Mädchen, mit dem schöngeformten Kupfergeschirr aus dem Kopfe,
gehen und kommen, oder daß wie in Venedig saubre Turlanerinnen, das
Krummholz auf der Achsel und den schwarzen, blumengeschmückten Männerhut
auf den Haarflechten, diese Gruppen beleben, so sieht sich das Künstlerauge
an dem immer wechselnden Bilde nicht satt.

Die Schmieden, bei uns so leicht einer malerischen Wirkung fähig, bieten
in Italien wunderbarerweise fast nirgend verwendbare Stoffe. Sie sind hier
meist außerordentlich sauber gehalten. Die Wände werden weiß getüncht und
Hufeisen, Nägel und Zangen in allerlei Arabeskensormen an ihnen aufgehängt.
Ebenfalls sehr schmuck und ordentlich in ihrer Ausstattung sind die offenen
Läden der Metzger, der Fruchthändler, der Pizzicagnoli. Blumen, Lorbecr-
büschel, Goldfähnchen und Lichter, vor allem bei hohen Festen, werden an¬
gebracht, wo nur ein Plätzchen frei ist. Die Metzger leiten übrigens ihre
Abkunft in gerader Linie von dem alten Rom ab. Die Seiler nicht minder.
In Neapel wird der bunte Aufputz und das Hinausverlegen deS Gewerbes
auf die Straße noch allgemeiner. In einer Seitengasse des Toledo hat sich
eine vollständige Buchdruckerei auf dem Lavapflaster etablirt. Während Weiber
mit ganzen Tuch- und Zeugläden aus dem Kopfe, halb nackte Männer mit
frisch gefangenen Triglien, Merluzzen und Sardellen in Körben oder Fässern,
Esel mit Feigen, Granatäpfeln, Melonen, Molignani, Cocuzzen und süßen
Mandarini beladen, die Straßen durchziehen und hundert Ausrufe die Luft
erfüllen, hockt der Setzer auf seinem Holzbock über Basilio Buotiö philolo¬
gischen Manuskripten oder entziffert mit Hilfe Vorübergehender Mellonis phy¬
sikalische Hieroglyphen oder beschneidet nach eignem Gutdünken die schon zum
Pasquellino verschrumpfte neapolitanische Ausgabe des Bocacciv. Nicht minder
ungestört flickt der Schneider neben ihm, arbeitet mit Ahle und Draht der
Schuster, klopft im Takte der Böttcher, — jeder froh der frischen Luft und
der lustigen Umgebung, die ihn als beständigen Gratisznschauer duldet. Selbst
die Winkelschreiber, deren Verkehr unter dem Portal des Se. Carlotheaters
dem Genremaler stündlich eine Fülle malerischer Scenen bietet, haben sich nur
wenig auf die Seite geflüchtet und lassen sich kaum durch die Musikproben des
Theaterorchesters irre machen, welche unter Mercadantes Leitung mit Pauken
und Posaunengeschmetter in die offene Studirstube jener Herren von der Feder
hineinlärmen.

Nicht minder drastische Erscheinungen bieten die Quacksalber. Der Dol-


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[0319] brannten, oft schönen, immer malerischen Gesicht, erleichtert das Euter derjenigen Ziege, welche eben an der Reihe ist. Die andern lagern sich inzwischen, wo sich Platz findet, und verwandeln Straße oder Markt in die natürlichste Trift. Besonders gern wählen sie solche Stellen, wo ein Brunnen in der Nähe ist. TrifftS sich nun gar, daß dieser Brunnen- antike Ueberbleibsel aufweist, daß Frauen und Mädchen, mit dem schöngeformten Kupfergeschirr aus dem Kopfe, gehen und kommen, oder daß wie in Venedig saubre Turlanerinnen, das Krummholz auf der Achsel und den schwarzen, blumengeschmückten Männerhut auf den Haarflechten, diese Gruppen beleben, so sieht sich das Künstlerauge an dem immer wechselnden Bilde nicht satt. Die Schmieden, bei uns so leicht einer malerischen Wirkung fähig, bieten in Italien wunderbarerweise fast nirgend verwendbare Stoffe. Sie sind hier meist außerordentlich sauber gehalten. Die Wände werden weiß getüncht und Hufeisen, Nägel und Zangen in allerlei Arabeskensormen an ihnen aufgehängt. Ebenfalls sehr schmuck und ordentlich in ihrer Ausstattung sind die offenen Läden der Metzger, der Fruchthändler, der Pizzicagnoli. Blumen, Lorbecr- büschel, Goldfähnchen und Lichter, vor allem bei hohen Festen, werden an¬ gebracht, wo nur ein Plätzchen frei ist. Die Metzger leiten übrigens ihre Abkunft in gerader Linie von dem alten Rom ab. Die Seiler nicht minder. In Neapel wird der bunte Aufputz und das Hinausverlegen deS Gewerbes auf die Straße noch allgemeiner. In einer Seitengasse des Toledo hat sich eine vollständige Buchdruckerei auf dem Lavapflaster etablirt. Während Weiber mit ganzen Tuch- und Zeugläden aus dem Kopfe, halb nackte Männer mit frisch gefangenen Triglien, Merluzzen und Sardellen in Körben oder Fässern, Esel mit Feigen, Granatäpfeln, Melonen, Molignani, Cocuzzen und süßen Mandarini beladen, die Straßen durchziehen und hundert Ausrufe die Luft erfüllen, hockt der Setzer auf seinem Holzbock über Basilio Buotiö philolo¬ gischen Manuskripten oder entziffert mit Hilfe Vorübergehender Mellonis phy¬ sikalische Hieroglyphen oder beschneidet nach eignem Gutdünken die schon zum Pasquellino verschrumpfte neapolitanische Ausgabe des Bocacciv. Nicht minder ungestört flickt der Schneider neben ihm, arbeitet mit Ahle und Draht der Schuster, klopft im Takte der Böttcher, — jeder froh der frischen Luft und der lustigen Umgebung, die ihn als beständigen Gratisznschauer duldet. Selbst die Winkelschreiber, deren Verkehr unter dem Portal des Se. Carlotheaters dem Genremaler stündlich eine Fülle malerischer Scenen bietet, haben sich nur wenig auf die Seite geflüchtet und lassen sich kaum durch die Musikproben des Theaterorchesters irre machen, welche unter Mercadantes Leitung mit Pauken und Posaunengeschmetter in die offene Studirstube jener Herren von der Feder hineinlärmen. Nicht minder drastische Erscheinungen bieten die Quacksalber. Der Dol-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/319>, abgerufen am 01.09.2024.