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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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lien nicht ebenso oft den blauen Himmel als Zuschauer gefallen ließe, wie bei
uns die vier Wände der Kammer. Das Säugen der Kinder gehört dazu und
nimmt einen um so breitern Raum ein, als man nicht selten Kinder von drei
Jahren noch auf diese Nahrungsquelle angewiesen sieht. Das frühe Verblühen
der Italienerinnen darf zum großen Theil dieser Gewohnheit zugeschrieben
werden.

Je tiefer der Genremaler nach Süden vordringt, desto reichlicher fließt
ihm der Stoff zu, und wenn er Neapel, Amalfi, Capri, Pästum, Terracina
durchstreift hat, wird sein Skizzenbuch bald nicht mehr für das Gesammelte
ausreichen.

Schon die Costüme sind an den meisten Orten sehr malerisch. ES ist
wahr, sie sangen an zu verschwinden, wie denn in aller Welt der Geschmack
der Pariser bestimmt scheint, die nationale Tracht zu verdrängen. Die Donna
von Sonino in rothem Atlas vom Rocksaum bis zur Halskrause ist eine sel¬
ten gewordene Erscheinung. Das griechische Weibercostüm der Insel Procida
wird immer unvolksthümlicher, und die mit echten Costümen von der gewesenen
Prinzessin Albrecht von Preußen beschenkten Insulanerinnen hatten nichts
rascher zu thun, als den schmucken Putz an Maler wieder zu verzetteln. Auch
die früher so reich gekleideten, stolzen Trasteveranerinnen sind gleich den Rö¬
merinnen vom andern Ufer ihrer stattlichen Nationaltracht meist abtrünnig
geworden. Doch sieht man namentlich bei Festen im Neapolitanischen noch
immer Weibertrachten reich mit Gold verbrämt und glühend von Farbe. Ein
gutbesetztes neapolitanisches Caricolo mit seinem buntgeschirrten Maulthier oder
Pferd, seinen zwei hohen hcllbemalten Rädern, den goldnen Verzierungen rechts
und links, dem grellleuchtenden Conterfei seines Schutzpatrons, seinem fast am
Boden hinschleppenden Netz mit kleinen, blinden Passagieren, seinem gemischten
Inhalt von Mönchen, Soldaten, Weibern, Pfaffen, schönen Mädchen und
lustigen Burschen, ein solches oft zwölf bis sechzehn Personen haltendes Wäg¬
lein spottet der reichsten Palette eines nordischen Malers und widerlegt die
Besorgnis), der Süden werde mit den nationalen Eostümen auch dereinst den
Geschmack an bunter Farbenpracht verlieren. In der That, so lange der große
Bär nicht im Süden steht, ist keine Gefahr, daß Italien eintönig werde.

Zu den fröhlichen Staffagen italienischer Natur zählen auch die berittenen
Geistlichen. Man ist gewohnt, alles an ihrer Kleidung von schwarzer Farbe
Zu sehen. Beim Reiten aber verräth sich auch bei ihnen der südliche Hang
nach bunten Stoffen. Unter dem schwarzen Priesterrock kommen Hosen zum
Vorschein, so schreiend von Farbe und so überaus lustigen Aussehens, als
gelte eS, die äußere Monotonie durch übertriebene Buntscheckigkeit von Innen
zu überstimmen. Wenn sich die Propagandaschüler an Nachmittagen in ei¬
nem Winkel des borghestschen Gartens unbewacht glauben und plötzlich ihre


lien nicht ebenso oft den blauen Himmel als Zuschauer gefallen ließe, wie bei
uns die vier Wände der Kammer. Das Säugen der Kinder gehört dazu und
nimmt einen um so breitern Raum ein, als man nicht selten Kinder von drei
Jahren noch auf diese Nahrungsquelle angewiesen sieht. Das frühe Verblühen
der Italienerinnen darf zum großen Theil dieser Gewohnheit zugeschrieben
werden.

Je tiefer der Genremaler nach Süden vordringt, desto reichlicher fließt
ihm der Stoff zu, und wenn er Neapel, Amalfi, Capri, Pästum, Terracina
durchstreift hat, wird sein Skizzenbuch bald nicht mehr für das Gesammelte
ausreichen.

Schon die Costüme sind an den meisten Orten sehr malerisch. ES ist
wahr, sie sangen an zu verschwinden, wie denn in aller Welt der Geschmack
der Pariser bestimmt scheint, die nationale Tracht zu verdrängen. Die Donna
von Sonino in rothem Atlas vom Rocksaum bis zur Halskrause ist eine sel¬
ten gewordene Erscheinung. Das griechische Weibercostüm der Insel Procida
wird immer unvolksthümlicher, und die mit echten Costümen von der gewesenen
Prinzessin Albrecht von Preußen beschenkten Insulanerinnen hatten nichts
rascher zu thun, als den schmucken Putz an Maler wieder zu verzetteln. Auch
die früher so reich gekleideten, stolzen Trasteveranerinnen sind gleich den Rö¬
merinnen vom andern Ufer ihrer stattlichen Nationaltracht meist abtrünnig
geworden. Doch sieht man namentlich bei Festen im Neapolitanischen noch
immer Weibertrachten reich mit Gold verbrämt und glühend von Farbe. Ein
gutbesetztes neapolitanisches Caricolo mit seinem buntgeschirrten Maulthier oder
Pferd, seinen zwei hohen hcllbemalten Rädern, den goldnen Verzierungen rechts
und links, dem grellleuchtenden Conterfei seines Schutzpatrons, seinem fast am
Boden hinschleppenden Netz mit kleinen, blinden Passagieren, seinem gemischten
Inhalt von Mönchen, Soldaten, Weibern, Pfaffen, schönen Mädchen und
lustigen Burschen, ein solches oft zwölf bis sechzehn Personen haltendes Wäg¬
lein spottet der reichsten Palette eines nordischen Malers und widerlegt die
Besorgnis), der Süden werde mit den nationalen Eostümen auch dereinst den
Geschmack an bunter Farbenpracht verlieren. In der That, so lange der große
Bär nicht im Süden steht, ist keine Gefahr, daß Italien eintönig werde.

Zu den fröhlichen Staffagen italienischer Natur zählen auch die berittenen
Geistlichen. Man ist gewohnt, alles an ihrer Kleidung von schwarzer Farbe
Zu sehen. Beim Reiten aber verräth sich auch bei ihnen der südliche Hang
nach bunten Stoffen. Unter dem schwarzen Priesterrock kommen Hosen zum
Vorschein, so schreiend von Farbe und so überaus lustigen Aussehens, als
gelte eS, die äußere Monotonie durch übertriebene Buntscheckigkeit von Innen
zu überstimmen. Wenn sich die Propagandaschüler an Nachmittagen in ei¬
nem Winkel des borghestschen Gartens unbewacht glauben und plötzlich ihre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/317>, abgerufen am 01.09.2024.