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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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die frischen Gemüse: Broceoli, Blumenkohl, Artischocken, Paradiesäpfel, Salate
aller Art lösen einander ab, wogegen Kartoffeln selten auf den Tisch kommen.
Vögel sind nicht reichlich vorhanden, weil die junge Brut nirgend geschont
wird und man namentlich in der Campagna aus nationaler Jagdliebhaberei
einen Vertilgungskrieg gegen sie führt. Das Fleisch ist gut, wird aber sehr
zur Suppe ausgekocht. Mit dem Käse zum Nachtisch findet sich weder Messer
noch Gabel ein.

Der Wein war gut und billig; eine hübsche Foglietta voll des goldnen
Getränks nur sechs Bajocchi, da läßt sich schon einen Tag um den andern die
kleine Ausschweifung rechtfertigen.

Nun aber hat der Cameriere auf der Rückseite der Speisekarte die unent¬
zifferbare Hieroglyphencolonne seiner Rechnung ausgezeichnet. Der Noviz zieht
eine jener Fünfscudonoten hervor, die ihm der wohlwollende römische Bankier
für pari überließ und welche nur gegen schweres Kupfergeld umsetzbar sind.
Nach einer Viertelstunde erscheint der dienstbare Geist von neuem, beladen mit
einer Menge Papierrollen, welche die Kupfervaluta des in Zahlung gegebenen
Papiers enthalten. Mit seiner Ladung Kupfer verläßt er Novize die berühmte
Trattoria. Es kann sich ereignen, daß sein deutscher Schneider auf diese
Taschenüberladung keine Rechnung machte; für diesen Fall werden etliche Nähte
den Folgen des römischen Silbermangels erliegen, was wiederum den Beschä¬
digtem zu irgend einer Bewohnerin der spanischen Treppe in Beziehung bringt,
deren schwache Nadelfertigkeit grade ausreicht, dem Fremden aus der Straße
die Tasche zu flicken.

Dieser Zufall macht den jungen Maler auf das eigenthümliche Straßen¬
leben Roms aufmerksam. Denn zu Rom und mehr noch zu Neapel sind solche
vertrauliche Hilfsleistungen nichts Seltenes. Auch der Haarschneider und der
Barbier treiben unter freiem Himmel ihre Hantirung und in den volkreichste"
Vierteln flicht vor der Hausthüre eine Römerin der andern die Haare. D>e
nämliche Dienstleistung macht einen großen Theil der italienischen Landschafts¬
und Straßenstaffage aus. Die Venetianerinnen, bei denen die Sitte des
falschen Haars zu lange bestanden hat, um je ganz wieder zu verschwinden,
helfen sich durch nachgemachte Haarzöpfe, die sie zum vielfädigen Netze auf dem
Hinterkopf vereinigen. Dennoch gibts genug zu flechten, da sie das wirkliche
Haar gern in filigranartig feine Stränge sondern. Mit wenigen Ausnahmen
sieht man sonst in ganz Italien schön gepflegtes eignes Haar auf den Köpfe"
der Weiber und Jungfrauen. Ein nordisches Gemüth hat Mühe, sich in die
Oeffentlichkeit jener Toilettenverrichtung hineinzufinden, und noch naiver neh¬
men sich die Jagdscenen aus, die von den Fingern sorgsamer Mütter ebenfalls
vor offner Thüre, in den Wildnissen ungekannter Kinderköpfe aufgeführt wer¬
den. Ueberhaupt ist unter den Geschäften des Tages nichts, waS sich in IM-


die frischen Gemüse: Broceoli, Blumenkohl, Artischocken, Paradiesäpfel, Salate
aller Art lösen einander ab, wogegen Kartoffeln selten auf den Tisch kommen.
Vögel sind nicht reichlich vorhanden, weil die junge Brut nirgend geschont
wird und man namentlich in der Campagna aus nationaler Jagdliebhaberei
einen Vertilgungskrieg gegen sie führt. Das Fleisch ist gut, wird aber sehr
zur Suppe ausgekocht. Mit dem Käse zum Nachtisch findet sich weder Messer
noch Gabel ein.

Der Wein war gut und billig; eine hübsche Foglietta voll des goldnen
Getränks nur sechs Bajocchi, da läßt sich schon einen Tag um den andern die
kleine Ausschweifung rechtfertigen.

Nun aber hat der Cameriere auf der Rückseite der Speisekarte die unent¬
zifferbare Hieroglyphencolonne seiner Rechnung ausgezeichnet. Der Noviz zieht
eine jener Fünfscudonoten hervor, die ihm der wohlwollende römische Bankier
für pari überließ und welche nur gegen schweres Kupfergeld umsetzbar sind.
Nach einer Viertelstunde erscheint der dienstbare Geist von neuem, beladen mit
einer Menge Papierrollen, welche die Kupfervaluta des in Zahlung gegebenen
Papiers enthalten. Mit seiner Ladung Kupfer verläßt er Novize die berühmte
Trattoria. Es kann sich ereignen, daß sein deutscher Schneider auf diese
Taschenüberladung keine Rechnung machte; für diesen Fall werden etliche Nähte
den Folgen des römischen Silbermangels erliegen, was wiederum den Beschä¬
digtem zu irgend einer Bewohnerin der spanischen Treppe in Beziehung bringt,
deren schwache Nadelfertigkeit grade ausreicht, dem Fremden aus der Straße
die Tasche zu flicken.

Dieser Zufall macht den jungen Maler auf das eigenthümliche Straßen¬
leben Roms aufmerksam. Denn zu Rom und mehr noch zu Neapel sind solche
vertrauliche Hilfsleistungen nichts Seltenes. Auch der Haarschneider und der
Barbier treiben unter freiem Himmel ihre Hantirung und in den volkreichste»
Vierteln flicht vor der Hausthüre eine Römerin der andern die Haare. D>e
nämliche Dienstleistung macht einen großen Theil der italienischen Landschafts¬
und Straßenstaffage aus. Die Venetianerinnen, bei denen die Sitte des
falschen Haars zu lange bestanden hat, um je ganz wieder zu verschwinden,
helfen sich durch nachgemachte Haarzöpfe, die sie zum vielfädigen Netze auf dem
Hinterkopf vereinigen. Dennoch gibts genug zu flechten, da sie das wirkliche
Haar gern in filigranartig feine Stränge sondern. Mit wenigen Ausnahmen
sieht man sonst in ganz Italien schön gepflegtes eignes Haar auf den Köpfe»
der Weiber und Jungfrauen. Ein nordisches Gemüth hat Mühe, sich in die
Oeffentlichkeit jener Toilettenverrichtung hineinzufinden, und noch naiver neh¬
men sich die Jagdscenen aus, die von den Fingern sorgsamer Mütter ebenfalls
vor offner Thüre, in den Wildnissen ungekannter Kinderköpfe aufgeführt wer¬
den. Ueberhaupt ist unter den Geschäften des Tages nichts, waS sich in IM-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/316>, abgerufen am 01.09.2024.