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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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nämlichen Tische kann man sowol in Speisewirthschaften wie in vielen Kaffee¬
häusern Schwarzröcke, Ladendiener, Künstler, französische Soldaten, Thürsteher
in herrschaftlicher Livree, oft mit Weib und Kind, Landleute im heimischen Auf¬
putze, friedlich beieinander sitzen und nach derselben Karte speisen sehen.

Im Speisehaus zum Lepre wird der junge Teutone, sofern ihn nicht eine
Ziemlich geschlossene Genossenschaft schreckt, sich an den Tisch im ersten Stock
begeben, wo die Habitues des gegenüberliegenden Cafe Greco daS Wort führen.
Es ist wahrscheinlich, daß eine Einkehr in das Cass Greco ihn schon darüber
belehrt hat, daß sich in Rom vaterländische Art und Weise nicht immer in
südliche Romantik umwandelt. In der That, einige wenige Mäntel abgerech¬
net, findet sich nichts Auffallendes unter den Speisegenossen der Oberstuben.
Dort sitzt Willers, der treffliche Wolkenschatten- und Sturmwindmaler aus
Oldenburg. Er ist für ihn das Abbild eines nordischen Erbförsters; der blonde
Knebel- und Kinnbart stimmen durchaus zu dem oldenburger Dialekt, der sich
mit Erfolg gegen die weichen Laute südlicher Sprache wehrt. Lehmann neben
>h>n, mit dem frühgrauen Kopf und dem jungen Gesicht, der gerngesehene
Gesellschafter des englisch-amerikanischen Viertels, hat keinen Hauch römischer
Art in seiner Erscheinung. Riedel ist ganz Baier, und Wagner, der
Nestor aus Villa Malta, protestirt schon durch seine hängende Unterlippe gegen
den Verdacht, er habe seiner bequemen fränkischen Mundart zu Gunsten ro¬
manischer Sprachgewandtheit Gewalt angethan. Lindau, der Stentor des
Cafe Greco, Hottenroth, der leidenschaftliche Campagnabewundrer, Törner,
glückliche Nacheiferer des Mieris, zu 2000 Scudi das Atlasgewand, sie
"lie sind und bleiben Sachsen, und unser Neuling subies mit Schmerz, auch
°r wird über die Alpen zurückkehren, ohne sich in einen Italiener echten Schla¬
ges umgewandelt zu haben.

Einstweilen bleibt ihm nichts übrig, als durch römische Kost den alten
am auszutreiben, verdankt doch die zahme Katze nach Moleschott ihre
>in Vergleich mit dem Urtypus ihres Geschlechts milden und feinen Sit¬
ten nur der veränderten Nahrung. Friedl machen rachsüchtig, heißt eS in
^allen; unser junger Künstler wird den Wink beherzigen. Eine gelinde Dosis
italienischer Nachsucht kann dem deutschen Gemüth nur lebhaftere Farbe geben.
Dem Oelgebackeuen spricht er deshalb mit Nachdruck zu, und an die ölgesalb-
Faustkämpser Roms denkend, schüttet er, zum Entsetzen des Cameriere
ganzen Inhalt der goldgelben Caraffe aus Lucca auf die zarte Latuga.
Die italienische Küche hat mit der südfranzösischen manche Ähnlichkeit. Bei
d°r Feinheit und Frische deS Oels gewöhnt man sich rasch an diesen Ersatz
d°r heimischen Butter. Die letztere war noch vor wenigen Jahren in Neapel
^um bekannt, ist jetzt aber dort wie auch in Rom in vorzüglicher Güte zu
^ben. Was die italienische Kost zu allen Jahreszeiten auszeichnet, das sindAd


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nämlichen Tische kann man sowol in Speisewirthschaften wie in vielen Kaffee¬
häusern Schwarzröcke, Ladendiener, Künstler, französische Soldaten, Thürsteher
in herrschaftlicher Livree, oft mit Weib und Kind, Landleute im heimischen Auf¬
putze, friedlich beieinander sitzen und nach derselben Karte speisen sehen.

Im Speisehaus zum Lepre wird der junge Teutone, sofern ihn nicht eine
Ziemlich geschlossene Genossenschaft schreckt, sich an den Tisch im ersten Stock
begeben, wo die Habitues des gegenüberliegenden Cafe Greco daS Wort führen.
Es ist wahrscheinlich, daß eine Einkehr in das Cass Greco ihn schon darüber
belehrt hat, daß sich in Rom vaterländische Art und Weise nicht immer in
südliche Romantik umwandelt. In der That, einige wenige Mäntel abgerech¬
net, findet sich nichts Auffallendes unter den Speisegenossen der Oberstuben.
Dort sitzt Willers, der treffliche Wolkenschatten- und Sturmwindmaler aus
Oldenburg. Er ist für ihn das Abbild eines nordischen Erbförsters; der blonde
Knebel- und Kinnbart stimmen durchaus zu dem oldenburger Dialekt, der sich
mit Erfolg gegen die weichen Laute südlicher Sprache wehrt. Lehmann neben
>h>n, mit dem frühgrauen Kopf und dem jungen Gesicht, der gerngesehene
Gesellschafter des englisch-amerikanischen Viertels, hat keinen Hauch römischer
Art in seiner Erscheinung. Riedel ist ganz Baier, und Wagner, der
Nestor aus Villa Malta, protestirt schon durch seine hängende Unterlippe gegen
den Verdacht, er habe seiner bequemen fränkischen Mundart zu Gunsten ro¬
manischer Sprachgewandtheit Gewalt angethan. Lindau, der Stentor des
Cafe Greco, Hottenroth, der leidenschaftliche Campagnabewundrer, Törner,
glückliche Nacheiferer des Mieris, zu 2000 Scudi das Atlasgewand, sie
"lie sind und bleiben Sachsen, und unser Neuling subies mit Schmerz, auch
°r wird über die Alpen zurückkehren, ohne sich in einen Italiener echten Schla¬
ges umgewandelt zu haben.

Einstweilen bleibt ihm nichts übrig, als durch römische Kost den alten
am auszutreiben, verdankt doch die zahme Katze nach Moleschott ihre
>in Vergleich mit dem Urtypus ihres Geschlechts milden und feinen Sit¬
ten nur der veränderten Nahrung. Friedl machen rachsüchtig, heißt eS in
^allen; unser junger Künstler wird den Wink beherzigen. Eine gelinde Dosis
italienischer Nachsucht kann dem deutschen Gemüth nur lebhaftere Farbe geben.
Dem Oelgebackeuen spricht er deshalb mit Nachdruck zu, und an die ölgesalb-
Faustkämpser Roms denkend, schüttet er, zum Entsetzen des Cameriere
ganzen Inhalt der goldgelben Caraffe aus Lucca auf die zarte Latuga.
Die italienische Küche hat mit der südfranzösischen manche Ähnlichkeit. Bei
d°r Feinheit und Frische deS Oels gewöhnt man sich rasch an diesen Ersatz
d°r heimischen Butter. Die letztere war noch vor wenigen Jahren in Neapel
^um bekannt, ist jetzt aber dort wie auch in Rom in vorzüglicher Güte zu
^ben. Was die italienische Kost zu allen Jahreszeiten auszeichnet, das sindAd


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[0315] nämlichen Tische kann man sowol in Speisewirthschaften wie in vielen Kaffee¬ häusern Schwarzröcke, Ladendiener, Künstler, französische Soldaten, Thürsteher in herrschaftlicher Livree, oft mit Weib und Kind, Landleute im heimischen Auf¬ putze, friedlich beieinander sitzen und nach derselben Karte speisen sehen. Im Speisehaus zum Lepre wird der junge Teutone, sofern ihn nicht eine Ziemlich geschlossene Genossenschaft schreckt, sich an den Tisch im ersten Stock begeben, wo die Habitues des gegenüberliegenden Cafe Greco daS Wort führen. Es ist wahrscheinlich, daß eine Einkehr in das Cass Greco ihn schon darüber belehrt hat, daß sich in Rom vaterländische Art und Weise nicht immer in südliche Romantik umwandelt. In der That, einige wenige Mäntel abgerech¬ net, findet sich nichts Auffallendes unter den Speisegenossen der Oberstuben. Dort sitzt Willers, der treffliche Wolkenschatten- und Sturmwindmaler aus Oldenburg. Er ist für ihn das Abbild eines nordischen Erbförsters; der blonde Knebel- und Kinnbart stimmen durchaus zu dem oldenburger Dialekt, der sich mit Erfolg gegen die weichen Laute südlicher Sprache wehrt. Lehmann neben >h>n, mit dem frühgrauen Kopf und dem jungen Gesicht, der gerngesehene Gesellschafter des englisch-amerikanischen Viertels, hat keinen Hauch römischer Art in seiner Erscheinung. Riedel ist ganz Baier, und Wagner, der Nestor aus Villa Malta, protestirt schon durch seine hängende Unterlippe gegen den Verdacht, er habe seiner bequemen fränkischen Mundart zu Gunsten ro¬ manischer Sprachgewandtheit Gewalt angethan. Lindau, der Stentor des Cafe Greco, Hottenroth, der leidenschaftliche Campagnabewundrer, Törner, glückliche Nacheiferer des Mieris, zu 2000 Scudi das Atlasgewand, sie "lie sind und bleiben Sachsen, und unser Neuling subies mit Schmerz, auch °r wird über die Alpen zurückkehren, ohne sich in einen Italiener echten Schla¬ ges umgewandelt zu haben. Einstweilen bleibt ihm nichts übrig, als durch römische Kost den alten am auszutreiben, verdankt doch die zahme Katze nach Moleschott ihre >in Vergleich mit dem Urtypus ihres Geschlechts milden und feinen Sit¬ ten nur der veränderten Nahrung. Friedl machen rachsüchtig, heißt eS in ^allen; unser junger Künstler wird den Wink beherzigen. Eine gelinde Dosis italienischer Nachsucht kann dem deutschen Gemüth nur lebhaftere Farbe geben. Dem Oelgebackeuen spricht er deshalb mit Nachdruck zu, und an die ölgesalb- Faustkämpser Roms denkend, schüttet er, zum Entsetzen des Cameriere ganzen Inhalt der goldgelben Caraffe aus Lucca auf die zarte Latuga. Die italienische Küche hat mit der südfranzösischen manche Ähnlichkeit. Bei d°r Feinheit und Frische deS Oels gewöhnt man sich rasch an diesen Ersatz d°r heimischen Butter. Die letztere war noch vor wenigen Jahren in Neapel ^um bekannt, ist jetzt aber dort wie auch in Rom in vorzüglicher Güte zu ^ben. Was die italienische Kost zu allen Jahreszeiten auszeichnet, das sindAd 39*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/315>, abgerufen am 01.09.2024.