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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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er sich zu dem verruchten Princip der Centralisation aller menschlichen Dinge
in der StaatSsouveränetät; erklärt er sich für die Preßfreiheit, so huldigt er
dem verderblichen Princip der Unabhängigkeit der menschlichen Vernunft von
aller Autorität. Es fragt sich also nur, welche von den beiden Grundfesten
der Wahrheit und Ordnung auf Erden den Vorrang verdiene: ob der Grund¬
satz der Unabhängigkeit der kirchlichen Autorität von aller weltlichen Macht,
oder der Grundsatz der Abhängigkeit der menschlichen Vernunft von höheren,
äußeren, gegebenen und geoffenbarten Autoritäten, Lehren und Gewalten? ... -
Aber die nothwendige Abhängigkeit der menschlichen Vernunft, die absolute
irdische Hilflosigkeit, in die sie durch ihre Sündhaftigkeit verfallen ist, und dem¬
nach der Gehorsam, ist die eigentliche Grundlage aller Religion; die Thatsache
des Falles unseres Geschlechts ist älter als die seiner Rettung .... Wenn
also, wie jetzt, das ganze menschliche Leben und Wirken in anarchischer Zer¬
rüttung darniederliegt, und es sich um Rettung und Wiederherstellung nicht
nur der kirchlichen, sondern aller, auch der bürgerlichen Ordnung handelt, so
wird dieses große und gute Werk, wie alles Große und Gute, mit einem Acte
der unbedingten Demüthigung anfangen, und zuerst und vor allen Dingen der
Grundsatz des Gehorsams gegen die gegebene Obrigkeit überhaupt (gleichviel
ob weltliche oder geistliche) anerkannt werden müssen. Demnach erkläre ich
mich gegen die Preßfreiheit u. s. w." -- Man sieht," daß es dem Ultramon¬
tanismus nicht an Gründen fehlt, wenn eS darauf ankommt, eine freiheits¬
feindliche Maßregel zu unterstützen.

Uebrigens waren die Ansichten Müllers grade in Beziehung auf Oestreich
nicht ohne Bedenken. Er war ein entschiedener Feind der administrativen
Centralisation, ein Feind des finanziellen Schwindelsystems, ein Anhänger der
alten Föderalverfassung. "Oestreich war ein europäischer, christlicher, wohlfeiler
Föderalstaat, wie ich ihn meine; und die Leute, die josephinischen, die vom
Zeitgeist geblendeten, von der Allregierungswuth bethörten, haben ihn zu einem
unerschwinglich theuern Geldstaat gemacht. Einige Emancipation der Pro¬
vinzen, einige Selbstvertheilung der Lasten, einige Herstellung alter, nicht
todter, nur schlafender, ständischer Rechte, eine weise Begründung eines guten
NaturalprästationSsystems, Hinrichtung aller Bankmaschinerien des Staats
auf den einen Zweck des unerschütterlich festen Courses der Einlösungsscheine,
und dann ein Staatsrath, wie er sein soll, um den Herrn her, der den Bund
nicht nur repräsentirt, sondern, gehörig berathe", der Bund selbst sein wird
bis ans Ende -- so, scheint mir, könnte sich der Adler verjüngen, und in
Jugendfrische allen andern europäischen Staaten vorangehen, die aus allen
politischen Stürmen zuletzt nichts retten werden, als die ursprüngliche föderale
Gestalt, von der sie abgefallen sind. Und hier reiche ich meinem Freunde
Maistre die Hand; dann wird die Nothwendigkeit der geistlichen Macht, des


er sich zu dem verruchten Princip der Centralisation aller menschlichen Dinge
in der StaatSsouveränetät; erklärt er sich für die Preßfreiheit, so huldigt er
dem verderblichen Princip der Unabhängigkeit der menschlichen Vernunft von
aller Autorität. Es fragt sich also nur, welche von den beiden Grundfesten
der Wahrheit und Ordnung auf Erden den Vorrang verdiene: ob der Grund¬
satz der Unabhängigkeit der kirchlichen Autorität von aller weltlichen Macht,
oder der Grundsatz der Abhängigkeit der menschlichen Vernunft von höheren,
äußeren, gegebenen und geoffenbarten Autoritäten, Lehren und Gewalten? ... -
Aber die nothwendige Abhängigkeit der menschlichen Vernunft, die absolute
irdische Hilflosigkeit, in die sie durch ihre Sündhaftigkeit verfallen ist, und dem¬
nach der Gehorsam, ist die eigentliche Grundlage aller Religion; die Thatsache
des Falles unseres Geschlechts ist älter als die seiner Rettung .... Wenn
also, wie jetzt, das ganze menschliche Leben und Wirken in anarchischer Zer¬
rüttung darniederliegt, und es sich um Rettung und Wiederherstellung nicht
nur der kirchlichen, sondern aller, auch der bürgerlichen Ordnung handelt, so
wird dieses große und gute Werk, wie alles Große und Gute, mit einem Acte
der unbedingten Demüthigung anfangen, und zuerst und vor allen Dingen der
Grundsatz des Gehorsams gegen die gegebene Obrigkeit überhaupt (gleichviel
ob weltliche oder geistliche) anerkannt werden müssen. Demnach erkläre ich
mich gegen die Preßfreiheit u. s. w." — Man sieht," daß es dem Ultramon¬
tanismus nicht an Gründen fehlt, wenn eS darauf ankommt, eine freiheits¬
feindliche Maßregel zu unterstützen.

Uebrigens waren die Ansichten Müllers grade in Beziehung auf Oestreich
nicht ohne Bedenken. Er war ein entschiedener Feind der administrativen
Centralisation, ein Feind des finanziellen Schwindelsystems, ein Anhänger der
alten Föderalverfassung. „Oestreich war ein europäischer, christlicher, wohlfeiler
Föderalstaat, wie ich ihn meine; und die Leute, die josephinischen, die vom
Zeitgeist geblendeten, von der Allregierungswuth bethörten, haben ihn zu einem
unerschwinglich theuern Geldstaat gemacht. Einige Emancipation der Pro¬
vinzen, einige Selbstvertheilung der Lasten, einige Herstellung alter, nicht
todter, nur schlafender, ständischer Rechte, eine weise Begründung eines guten
NaturalprästationSsystems, Hinrichtung aller Bankmaschinerien des Staats
auf den einen Zweck des unerschütterlich festen Courses der Einlösungsscheine,
und dann ein Staatsrath, wie er sein soll, um den Herrn her, der den Bund
nicht nur repräsentirt, sondern, gehörig berathe», der Bund selbst sein wird
bis ans Ende — so, scheint mir, könnte sich der Adler verjüngen, und in
Jugendfrische allen andern europäischen Staaten vorangehen, die aus allen
politischen Stürmen zuletzt nichts retten werden, als die ursprüngliche föderale
Gestalt, von der sie abgefallen sind. Und hier reiche ich meinem Freunde
Maistre die Hand; dann wird die Nothwendigkeit der geistlichen Macht, des


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[0306] er sich zu dem verruchten Princip der Centralisation aller menschlichen Dinge in der StaatSsouveränetät; erklärt er sich für die Preßfreiheit, so huldigt er dem verderblichen Princip der Unabhängigkeit der menschlichen Vernunft von aller Autorität. Es fragt sich also nur, welche von den beiden Grundfesten der Wahrheit und Ordnung auf Erden den Vorrang verdiene: ob der Grund¬ satz der Unabhängigkeit der kirchlichen Autorität von aller weltlichen Macht, oder der Grundsatz der Abhängigkeit der menschlichen Vernunft von höheren, äußeren, gegebenen und geoffenbarten Autoritäten, Lehren und Gewalten? ... - Aber die nothwendige Abhängigkeit der menschlichen Vernunft, die absolute irdische Hilflosigkeit, in die sie durch ihre Sündhaftigkeit verfallen ist, und dem¬ nach der Gehorsam, ist die eigentliche Grundlage aller Religion; die Thatsache des Falles unseres Geschlechts ist älter als die seiner Rettung .... Wenn also, wie jetzt, das ganze menschliche Leben und Wirken in anarchischer Zer¬ rüttung darniederliegt, und es sich um Rettung und Wiederherstellung nicht nur der kirchlichen, sondern aller, auch der bürgerlichen Ordnung handelt, so wird dieses große und gute Werk, wie alles Große und Gute, mit einem Acte der unbedingten Demüthigung anfangen, und zuerst und vor allen Dingen der Grundsatz des Gehorsams gegen die gegebene Obrigkeit überhaupt (gleichviel ob weltliche oder geistliche) anerkannt werden müssen. Demnach erkläre ich mich gegen die Preßfreiheit u. s. w." — Man sieht," daß es dem Ultramon¬ tanismus nicht an Gründen fehlt, wenn eS darauf ankommt, eine freiheits¬ feindliche Maßregel zu unterstützen. Uebrigens waren die Ansichten Müllers grade in Beziehung auf Oestreich nicht ohne Bedenken. Er war ein entschiedener Feind der administrativen Centralisation, ein Feind des finanziellen Schwindelsystems, ein Anhänger der alten Föderalverfassung. „Oestreich war ein europäischer, christlicher, wohlfeiler Föderalstaat, wie ich ihn meine; und die Leute, die josephinischen, die vom Zeitgeist geblendeten, von der Allregierungswuth bethörten, haben ihn zu einem unerschwinglich theuern Geldstaat gemacht. Einige Emancipation der Pro¬ vinzen, einige Selbstvertheilung der Lasten, einige Herstellung alter, nicht todter, nur schlafender, ständischer Rechte, eine weise Begründung eines guten NaturalprästationSsystems, Hinrichtung aller Bankmaschinerien des Staats auf den einen Zweck des unerschütterlich festen Courses der Einlösungsscheine, und dann ein Staatsrath, wie er sein soll, um den Herrn her, der den Bund nicht nur repräsentirt, sondern, gehörig berathe», der Bund selbst sein wird bis ans Ende — so, scheint mir, könnte sich der Adler verjüngen, und in Jugendfrische allen andern europäischen Staaten vorangehen, die aus allen politischen Stürmen zuletzt nichts retten werden, als die ursprüngliche föderale Gestalt, von der sie abgefallen sind. Und hier reiche ich meinem Freunde Maistre die Hand; dann wird die Nothwendigkeit der geistlichen Macht, des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/306>, abgerufen am 01.09.2024.