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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Die Gründe dieser plötzlichen Umwandlung liegen in Folgendem. Einmal
begann jetzt das Zeitalter der Congresse, in denen Gentz eine sehr wichtige
Rolle spielte, und von den Machthabern Europas mit Schmeicheleien überhäuft
wurde. Er fühlte sich nicht mehr blos als den Anwalt der guten Sache,
sondern als den Mitbesitzer der Macht, und die Angriffe der Demokraten er¬
schienen ihm als gegen ihn selbst gerichtet. -- Sodann hatte er die Sponta¬
neität, die in ihm lag, in dem Kampf gegen Napoleon vollständig ausgegeben ;
er wußte sich weiter keinen Rath, sein Skepticismus nahm eine immer wüstere
Farbe an, und die Schriften, die er infolge seiner Stellung nothgedrungen
lesen mußte, versetzten ihn in eine unauflösliche Verwirrung. "Die Vergangen¬
heit ekelt mich an, und die Zukunft fürchte ich." Er hätte alles Denken ge¬
waltsam unterdrücken mögen, da es ihn nur beunruhigte, wenigstens sollte
das Schreiben gehindert werden. Der ehemalige Anwalt der Preßfreiheit ist
nun ein Fanatiker für die Censur, und zwar in der verwegensten Bedeutung
dieses Worts, denn er spricht im vollsten Ernst den Wunsch aus, daß für eine
Reihe von Jahren aller Bücherdruck untersagt werde, mit Ausnahmen, welche
eine Behörde in Wien festzustellen habe. Aber das Wichtigste war die Er¬
mordung Kotzebues am 23. März 18-19. Gentz hatte Furcht für sein Leben,
und um sich vor dem politischen Meuchelmord zu sichern, wäre ihm jetzt auch
der Katholicismus vollkommen recht gewesen. Wir finden in einem spätern
Brief eine Stelle, vie wir nicht anders auslegen können, als daß ihm ein
Gedanke des Uebertritts wirklich wieder durch den Kopf ging. Indeß ist es bei
dem Gedanken geblieben. (-19. August 1824).

Müllers Schrift über die Nothwendigkeit einer theologischen Grundlage
der Staatswissenschaften (18-19) erregte seinen höchsten Enthusiasmus, wenn
es ihm auch bedenklich war, daß Müller die bestehenden Staatsformen mit so
großer Heftigkeit angreift. Dieser Gegensatz ist jetzt der Leitfaden in dem Ver¬
hältniß der beiden Freunde. Müller verlangt von den Staatslenkern eine
neue positive Schöpfung, und er handelt im besten Glauben. So absurd seine
Vorschläge aussehen, er ist von ihrer alleinseligmachenden Kraft fest überzeugt,
Gentz dagegen glaubt an nichts mehr; er will nur einen unausgesetzten Kampf
gegen die Jakobiner, im Uebrigen möge man die Staaten lassen, wie sie sind,
etwas Kluges werde doch nicht herauskommen. Müller selbst hatte mehrfach
Gelegenheit, die Uebelstände der Eensur an seiner eignen Thätigkeit wahrzu¬
nehmen. Hügels Werk über Spanien, das er dem Buchhändler empfohlen
hatte, wurde dann verboten, und seine eignen Artikel für den Beobachter wurden
von Gentz meistens bei Seite gelegt. Dennoch veranlaßte ihn Gentz, alö er
sich im März -1820 in Wien aufhielt, zu einer feierlichen Anerkennung der
Censur. Er fängt damit an, daß es für deu wohlgesinnten Katholiken eine
schwierige Gewissensfrage sei. "Erklärt er sich für die Staatscensur, so bekennt


Grenzboten. II. -I8L7, 38

Die Gründe dieser plötzlichen Umwandlung liegen in Folgendem. Einmal
begann jetzt das Zeitalter der Congresse, in denen Gentz eine sehr wichtige
Rolle spielte, und von den Machthabern Europas mit Schmeicheleien überhäuft
wurde. Er fühlte sich nicht mehr blos als den Anwalt der guten Sache,
sondern als den Mitbesitzer der Macht, und die Angriffe der Demokraten er¬
schienen ihm als gegen ihn selbst gerichtet. — Sodann hatte er die Sponta¬
neität, die in ihm lag, in dem Kampf gegen Napoleon vollständig ausgegeben ;
er wußte sich weiter keinen Rath, sein Skepticismus nahm eine immer wüstere
Farbe an, und die Schriften, die er infolge seiner Stellung nothgedrungen
lesen mußte, versetzten ihn in eine unauflösliche Verwirrung. „Die Vergangen¬
heit ekelt mich an, und die Zukunft fürchte ich." Er hätte alles Denken ge¬
waltsam unterdrücken mögen, da es ihn nur beunruhigte, wenigstens sollte
das Schreiben gehindert werden. Der ehemalige Anwalt der Preßfreiheit ist
nun ein Fanatiker für die Censur, und zwar in der verwegensten Bedeutung
dieses Worts, denn er spricht im vollsten Ernst den Wunsch aus, daß für eine
Reihe von Jahren aller Bücherdruck untersagt werde, mit Ausnahmen, welche
eine Behörde in Wien festzustellen habe. Aber das Wichtigste war die Er¬
mordung Kotzebues am 23. März 18-19. Gentz hatte Furcht für sein Leben,
und um sich vor dem politischen Meuchelmord zu sichern, wäre ihm jetzt auch
der Katholicismus vollkommen recht gewesen. Wir finden in einem spätern
Brief eine Stelle, vie wir nicht anders auslegen können, als daß ihm ein
Gedanke des Uebertritts wirklich wieder durch den Kopf ging. Indeß ist es bei
dem Gedanken geblieben. (-19. August 1824).

Müllers Schrift über die Nothwendigkeit einer theologischen Grundlage
der Staatswissenschaften (18-19) erregte seinen höchsten Enthusiasmus, wenn
es ihm auch bedenklich war, daß Müller die bestehenden Staatsformen mit so
großer Heftigkeit angreift. Dieser Gegensatz ist jetzt der Leitfaden in dem Ver¬
hältniß der beiden Freunde. Müller verlangt von den Staatslenkern eine
neue positive Schöpfung, und er handelt im besten Glauben. So absurd seine
Vorschläge aussehen, er ist von ihrer alleinseligmachenden Kraft fest überzeugt,
Gentz dagegen glaubt an nichts mehr; er will nur einen unausgesetzten Kampf
gegen die Jakobiner, im Uebrigen möge man die Staaten lassen, wie sie sind,
etwas Kluges werde doch nicht herauskommen. Müller selbst hatte mehrfach
Gelegenheit, die Uebelstände der Eensur an seiner eignen Thätigkeit wahrzu¬
nehmen. Hügels Werk über Spanien, das er dem Buchhändler empfohlen
hatte, wurde dann verboten, und seine eignen Artikel für den Beobachter wurden
von Gentz meistens bei Seite gelegt. Dennoch veranlaßte ihn Gentz, alö er
sich im März -1820 in Wien aufhielt, zu einer feierlichen Anerkennung der
Censur. Er fängt damit an, daß es für deu wohlgesinnten Katholiken eine
schwierige Gewissensfrage sei. „Erklärt er sich für die Staatscensur, so bekennt


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[0305] Die Gründe dieser plötzlichen Umwandlung liegen in Folgendem. Einmal begann jetzt das Zeitalter der Congresse, in denen Gentz eine sehr wichtige Rolle spielte, und von den Machthabern Europas mit Schmeicheleien überhäuft wurde. Er fühlte sich nicht mehr blos als den Anwalt der guten Sache, sondern als den Mitbesitzer der Macht, und die Angriffe der Demokraten er¬ schienen ihm als gegen ihn selbst gerichtet. — Sodann hatte er die Sponta¬ neität, die in ihm lag, in dem Kampf gegen Napoleon vollständig ausgegeben ; er wußte sich weiter keinen Rath, sein Skepticismus nahm eine immer wüstere Farbe an, und die Schriften, die er infolge seiner Stellung nothgedrungen lesen mußte, versetzten ihn in eine unauflösliche Verwirrung. „Die Vergangen¬ heit ekelt mich an, und die Zukunft fürchte ich." Er hätte alles Denken ge¬ waltsam unterdrücken mögen, da es ihn nur beunruhigte, wenigstens sollte das Schreiben gehindert werden. Der ehemalige Anwalt der Preßfreiheit ist nun ein Fanatiker für die Censur, und zwar in der verwegensten Bedeutung dieses Worts, denn er spricht im vollsten Ernst den Wunsch aus, daß für eine Reihe von Jahren aller Bücherdruck untersagt werde, mit Ausnahmen, welche eine Behörde in Wien festzustellen habe. Aber das Wichtigste war die Er¬ mordung Kotzebues am 23. März 18-19. Gentz hatte Furcht für sein Leben, und um sich vor dem politischen Meuchelmord zu sichern, wäre ihm jetzt auch der Katholicismus vollkommen recht gewesen. Wir finden in einem spätern Brief eine Stelle, vie wir nicht anders auslegen können, als daß ihm ein Gedanke des Uebertritts wirklich wieder durch den Kopf ging. Indeß ist es bei dem Gedanken geblieben. (-19. August 1824). Müllers Schrift über die Nothwendigkeit einer theologischen Grundlage der Staatswissenschaften (18-19) erregte seinen höchsten Enthusiasmus, wenn es ihm auch bedenklich war, daß Müller die bestehenden Staatsformen mit so großer Heftigkeit angreift. Dieser Gegensatz ist jetzt der Leitfaden in dem Ver¬ hältniß der beiden Freunde. Müller verlangt von den Staatslenkern eine neue positive Schöpfung, und er handelt im besten Glauben. So absurd seine Vorschläge aussehen, er ist von ihrer alleinseligmachenden Kraft fest überzeugt, Gentz dagegen glaubt an nichts mehr; er will nur einen unausgesetzten Kampf gegen die Jakobiner, im Uebrigen möge man die Staaten lassen, wie sie sind, etwas Kluges werde doch nicht herauskommen. Müller selbst hatte mehrfach Gelegenheit, die Uebelstände der Eensur an seiner eignen Thätigkeit wahrzu¬ nehmen. Hügels Werk über Spanien, das er dem Buchhändler empfohlen hatte, wurde dann verboten, und seine eignen Artikel für den Beobachter wurden von Gentz meistens bei Seite gelegt. Dennoch veranlaßte ihn Gentz, alö er sich im März -1820 in Wien aufhielt, zu einer feierlichen Anerkennung der Censur. Er fängt damit an, daß es für deu wohlgesinnten Katholiken eine schwierige Gewissensfrage sei. „Erklärt er sich für die Staatscensur, so bekennt Grenzboten. II. -I8L7, 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/305>, abgerufen am 01.09.2024.