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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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werden kann, ich also einen Krieg gegen das bonapartische Princip nur inso¬
fern statuire, als er erst recht angeht, erst recht gründlich und eines großen
Herzens würdig wird, wenn die Nominalherrschaft uns alle umfängt; daß es
kein calorisches Heraustreten aus einer solchen Sache gibt, für Christen näm¬
lich, daß jene Herrschaft uns deshalb immer näher auf den Leib treten muß,
damit wir sie noch besser kennen und aus andern als persönlichen, Gründen
hassen lernen, damit wir den Bonaparte, den wir in uns tragen,
überwinden lernen: dies alles ist meine feste Meinung, der letzte unter¬
strichene Satz'meine ganz individuelle, aus mir selbst geschöpfte Ueberzeugung,
das wehmüthige Resultat meiner Betrachtungen." (Juli 1806). Unter diesen
Umständen darf man sich nicht wundern, daß zwischen den beiden eine tiefe
Entfremdung eintrat. Gentz nahm keinen Anstand, gegen Müllers Lehren
seinen tiefsten Abscheu auszusprechen (21. März -1807). "Im Denken mag es
immerhin kein Absolutes geben, und in jedem Fall mag das Bestreben, das Ab¬
solute in ein System zu bringen, eitel und thöricht sein. Aber es gibt ein Ab¬
solutes, ein ewig Ruhendes und ewig Beruhigendes im Gemüth des Menschen.
Im Gegensatz mit dem Fortschreitenden, welches freilich den Begriff von Leben
charakterisiert, mögen Sie es Tod nennen; aber dieser Tod ist des Lebens Leben;
und ohne diesen Tod ist das Leben nur eine grenzenlose Qual. Jetzt habe
ich eS gefaßt, was Sie unter dem Flüssigen verstehen; über dies höllische
Wort ist mir endlich das Licht aufgegangen. . . In diesem Flüssigen und in
dem Frieden der Geschichte gehen alle meine Heiligthümer unter. Aber ich
will sie mir nicht rauben lassen. . . Ich bleibe bei der wahren Liebe, die nicht
ohne Ausschließung, bei der wahren Sittlichkeit, die nicht ohne Reue be¬
steht, bei dem -wahren Gotte, der etwas ganz Anderes, als ein Antigegensatz
Korresev rcilerens! -- sein muß, stehen." -- Man wundere sich nicht über
diese pathetische Moral bei einem eingefleischter Epikuräer. Einmal stand
seine kantische Erziehung doch zu fest, durch den mystischen Pantheismus
wurde nicht nur sein Rechtsgefühl, sondern auch sein gesunder Menschen¬
verstand verletzt; sodann hatte er jetzt in dem Kampf gegen Napoleon
den hohen Werth eines sittlichen Wollens kennen gelernt und sein Selbst¬
gefühl war gewachsen.

Adam Müller hatte mittlerweile einen engen Bund mit Heinrich von
Kleist geschlossen und gab mit demselben den Phöbus heraus , ein Journal,
welches gewissermaßen die Hören und das Athenäum fortsetzen sollte, nur
U'it größerer Beziehung auf das wirkliche Leben; die Antike und das Christen¬
thum, die religiöse Speculation und das moderne Leben sollten sich wieder¬
finden. Für dieselbe Idee wirkte Müller durch seine Vorlesungen in Dresden
^808, an denen Gen.ez zum großen Verdruß seines Freundes die liederliche
Torrn zu tadeln hatte. Aber trotz der fortwährenden, zuweilen sehr leiden-


werden kann, ich also einen Krieg gegen das bonapartische Princip nur inso¬
fern statuire, als er erst recht angeht, erst recht gründlich und eines großen
Herzens würdig wird, wenn die Nominalherrschaft uns alle umfängt; daß es
kein calorisches Heraustreten aus einer solchen Sache gibt, für Christen näm¬
lich, daß jene Herrschaft uns deshalb immer näher auf den Leib treten muß,
damit wir sie noch besser kennen und aus andern als persönlichen, Gründen
hassen lernen, damit wir den Bonaparte, den wir in uns tragen,
überwinden lernen: dies alles ist meine feste Meinung, der letzte unter¬
strichene Satz'meine ganz individuelle, aus mir selbst geschöpfte Ueberzeugung,
das wehmüthige Resultat meiner Betrachtungen." (Juli 1806). Unter diesen
Umständen darf man sich nicht wundern, daß zwischen den beiden eine tiefe
Entfremdung eintrat. Gentz nahm keinen Anstand, gegen Müllers Lehren
seinen tiefsten Abscheu auszusprechen (21. März -1807). „Im Denken mag es
immerhin kein Absolutes geben, und in jedem Fall mag das Bestreben, das Ab¬
solute in ein System zu bringen, eitel und thöricht sein. Aber es gibt ein Ab¬
solutes, ein ewig Ruhendes und ewig Beruhigendes im Gemüth des Menschen.
Im Gegensatz mit dem Fortschreitenden, welches freilich den Begriff von Leben
charakterisiert, mögen Sie es Tod nennen; aber dieser Tod ist des Lebens Leben;
und ohne diesen Tod ist das Leben nur eine grenzenlose Qual. Jetzt habe
ich eS gefaßt, was Sie unter dem Flüssigen verstehen; über dies höllische
Wort ist mir endlich das Licht aufgegangen. . . In diesem Flüssigen und in
dem Frieden der Geschichte gehen alle meine Heiligthümer unter. Aber ich
will sie mir nicht rauben lassen. . . Ich bleibe bei der wahren Liebe, die nicht
ohne Ausschließung, bei der wahren Sittlichkeit, die nicht ohne Reue be¬
steht, bei dem -wahren Gotte, der etwas ganz Anderes, als ein Antigegensatz
Korresev rcilerens! — sein muß, stehen." — Man wundere sich nicht über
diese pathetische Moral bei einem eingefleischter Epikuräer. Einmal stand
seine kantische Erziehung doch zu fest, durch den mystischen Pantheismus
wurde nicht nur sein Rechtsgefühl, sondern auch sein gesunder Menschen¬
verstand verletzt; sodann hatte er jetzt in dem Kampf gegen Napoleon
den hohen Werth eines sittlichen Wollens kennen gelernt und sein Selbst¬
gefühl war gewachsen.

Adam Müller hatte mittlerweile einen engen Bund mit Heinrich von
Kleist geschlossen und gab mit demselben den Phöbus heraus , ein Journal,
welches gewissermaßen die Hören und das Athenäum fortsetzen sollte, nur
U'it größerer Beziehung auf das wirkliche Leben; die Antike und das Christen¬
thum, die religiöse Speculation und das moderne Leben sollten sich wieder¬
finden. Für dieselbe Idee wirkte Müller durch seine Vorlesungen in Dresden
^808, an denen Gen.ez zum großen Verdruß seines Freundes die liederliche
Torrn zu tadeln hatte. Aber trotz der fortwährenden, zuweilen sehr leiden-


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[0295] werden kann, ich also einen Krieg gegen das bonapartische Princip nur inso¬ fern statuire, als er erst recht angeht, erst recht gründlich und eines großen Herzens würdig wird, wenn die Nominalherrschaft uns alle umfängt; daß es kein calorisches Heraustreten aus einer solchen Sache gibt, für Christen näm¬ lich, daß jene Herrschaft uns deshalb immer näher auf den Leib treten muß, damit wir sie noch besser kennen und aus andern als persönlichen, Gründen hassen lernen, damit wir den Bonaparte, den wir in uns tragen, überwinden lernen: dies alles ist meine feste Meinung, der letzte unter¬ strichene Satz'meine ganz individuelle, aus mir selbst geschöpfte Ueberzeugung, das wehmüthige Resultat meiner Betrachtungen." (Juli 1806). Unter diesen Umständen darf man sich nicht wundern, daß zwischen den beiden eine tiefe Entfremdung eintrat. Gentz nahm keinen Anstand, gegen Müllers Lehren seinen tiefsten Abscheu auszusprechen (21. März -1807). „Im Denken mag es immerhin kein Absolutes geben, und in jedem Fall mag das Bestreben, das Ab¬ solute in ein System zu bringen, eitel und thöricht sein. Aber es gibt ein Ab¬ solutes, ein ewig Ruhendes und ewig Beruhigendes im Gemüth des Menschen. Im Gegensatz mit dem Fortschreitenden, welches freilich den Begriff von Leben charakterisiert, mögen Sie es Tod nennen; aber dieser Tod ist des Lebens Leben; und ohne diesen Tod ist das Leben nur eine grenzenlose Qual. Jetzt habe ich eS gefaßt, was Sie unter dem Flüssigen verstehen; über dies höllische Wort ist mir endlich das Licht aufgegangen. . . In diesem Flüssigen und in dem Frieden der Geschichte gehen alle meine Heiligthümer unter. Aber ich will sie mir nicht rauben lassen. . . Ich bleibe bei der wahren Liebe, die nicht ohne Ausschließung, bei der wahren Sittlichkeit, die nicht ohne Reue be¬ steht, bei dem -wahren Gotte, der etwas ganz Anderes, als ein Antigegensatz Korresev rcilerens! — sein muß, stehen." — Man wundere sich nicht über diese pathetische Moral bei einem eingefleischter Epikuräer. Einmal stand seine kantische Erziehung doch zu fest, durch den mystischen Pantheismus wurde nicht nur sein Rechtsgefühl, sondern auch sein gesunder Menschen¬ verstand verletzt; sodann hatte er jetzt in dem Kampf gegen Napoleon den hohen Werth eines sittlichen Wollens kennen gelernt und sein Selbst¬ gefühl war gewachsen. Adam Müller hatte mittlerweile einen engen Bund mit Heinrich von Kleist geschlossen und gab mit demselben den Phöbus heraus , ein Journal, welches gewissermaßen die Hören und das Athenäum fortsetzen sollte, nur U'it größerer Beziehung auf das wirkliche Leben; die Antike und das Christen¬ thum, die religiöse Speculation und das moderne Leben sollten sich wieder¬ finden. Für dieselbe Idee wirkte Müller durch seine Vorlesungen in Dresden ^808, an denen Gen.ez zum großen Verdruß seines Freundes die liederliche Torrn zu tadeln hatte. Aber trotz der fortwährenden, zuweilen sehr leiden-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/295>, abgerufen am 28.07.2024.