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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Gentz war kein MetaPhysiker von Professton, und die geschichtsphilosophische
Construction des Gegensatzes würde ihn gewiß nicht so heftig afficirt Habens wenn
nicht eine sehr bedenkliche Nutzanwendung nahe.gelegen hätte. In dem Mißfallen
gegen die Revolution und gegen das wüste bonapartistische Eroberungsystein waren
damals alle Gutgesinnten einig, aber während die Entschlossenen in einem rück¬
sichtslosen, alle Mittel aufbietenden Widerstand die einzige Rettung Deutschlands
sahen, tauchten schon damals einige Weltweise auf, die in der Zertümmerung
der alten Welt durch Napoleon den Keim einer neuen großen Zukunft sahen.
Die katholische Kirche war wenigstens auf Augenblicke geneigt, in dem neuen
Cäsar ihren Wiederhersteller zu begrüßen. Johannes von Müller, mit dem
Gentz die edle Verschwörung der Patrioten hatte organisiren wollen, hatte
schon damals Augenblicke der Schwäche, und Adam Müller neigte sich nach sei¬
ner Philosophie, daß jede Sünde bis zum Aeußersten durchgeführt werden muß,
um als Contrast das Bessere hervorzubringen, dem Frieden mit dem Kaiser zu.
Eine solche Sophistik mußte Gentz empören, dem man zur Ehre nachsagen
muß, daß er in dem Haß gegen Napoleon keinen Augenblick geschwankt, daß
er alle Kräfte seines Geistes aufgeboten hat, um die Deutschen zum Kampf
gegen den gemeinsamen Feind zu einigen. Als daher nach der Schlacht bei
Austerlitz die beiden Freunde sich im Januar 1806 in Dresden mit Wiesel
wieder zusammenfanden, brach der Krieg zwischen ihnen mit verstärkter Heftig¬
keit aus. "Zwischen die Niederträchtigkeit der gemeinen activen Welt und die
phantastischen Ansichten und Constructionen der wenigen Bessern eingeklemmt,"
gerieth Gentz in Verzweiflung. Müller belehrte ihn, daß sich der Glaube in
seiner ganzen Reinheit conserviren lasse, "auch selbst wenn man Belial lange
und ruhig ins Gesicht sieht, und das Wachsen in der Erkenntniß des Teufels
auch Gott dienen hieß." "Es wird kein neuer Zustand der Dinge kommen,
wie Wiesel meint, aber Neues und Altes werden sich in einem echt katholischen
Bund vereinigen." Ja er ging in seinen Geständnissen noch weiter. "Daß
ein Interregnum von Universalmonarchie, das sich nun einmal nicht vermeiden
läßt, der heiligsten Sache des Christenthums kein Hinderniß in den Weg legen
kann, vielmehr sie indirect befördern muß, ist meine innerste Meinung, ob ich
gleich jedes andere Mittel, was mir gezeigt würde, vorziehen und mit dem
Herzen ergreifen würde. Ferner, daß es keine absolute Epoche oder Grenze
gibt, wo die Herrschaft des Bösen als vollständig triumphirend betrachtet


drückt sich über Goethes heidnische Gesinnung sehr scharf aus. "Die Aufsätze über Winkel-
mann sind gottlos. Einen so bittern, tücktscheü Haß gegen das Christenthum hatte ich Goe¬
the" nie zugetraut, ob ich gleich von dieser Seite längst viel Böses von ihm ahndete. Welche
unanständige, cynische, faunenartige Freude er bet der glorwürdigen Entdeckung, daß W- ei¬
gentlich ein geborner Heide, und darum gegen alle christlichen Religionsparteien so gleichgiMg
gewesen sei, empfunden zu haben scheint!" (13- Juli -I80S),

Gentz war kein MetaPhysiker von Professton, und die geschichtsphilosophische
Construction des Gegensatzes würde ihn gewiß nicht so heftig afficirt Habens wenn
nicht eine sehr bedenkliche Nutzanwendung nahe.gelegen hätte. In dem Mißfallen
gegen die Revolution und gegen das wüste bonapartistische Eroberungsystein waren
damals alle Gutgesinnten einig, aber während die Entschlossenen in einem rück¬
sichtslosen, alle Mittel aufbietenden Widerstand die einzige Rettung Deutschlands
sahen, tauchten schon damals einige Weltweise auf, die in der Zertümmerung
der alten Welt durch Napoleon den Keim einer neuen großen Zukunft sahen.
Die katholische Kirche war wenigstens auf Augenblicke geneigt, in dem neuen
Cäsar ihren Wiederhersteller zu begrüßen. Johannes von Müller, mit dem
Gentz die edle Verschwörung der Patrioten hatte organisiren wollen, hatte
schon damals Augenblicke der Schwäche, und Adam Müller neigte sich nach sei¬
ner Philosophie, daß jede Sünde bis zum Aeußersten durchgeführt werden muß,
um als Contrast das Bessere hervorzubringen, dem Frieden mit dem Kaiser zu.
Eine solche Sophistik mußte Gentz empören, dem man zur Ehre nachsagen
muß, daß er in dem Haß gegen Napoleon keinen Augenblick geschwankt, daß
er alle Kräfte seines Geistes aufgeboten hat, um die Deutschen zum Kampf
gegen den gemeinsamen Feind zu einigen. Als daher nach der Schlacht bei
Austerlitz die beiden Freunde sich im Januar 1806 in Dresden mit Wiesel
wieder zusammenfanden, brach der Krieg zwischen ihnen mit verstärkter Heftig¬
keit aus. „Zwischen die Niederträchtigkeit der gemeinen activen Welt und die
phantastischen Ansichten und Constructionen der wenigen Bessern eingeklemmt,"
gerieth Gentz in Verzweiflung. Müller belehrte ihn, daß sich der Glaube in
seiner ganzen Reinheit conserviren lasse, „auch selbst wenn man Belial lange
und ruhig ins Gesicht sieht, und das Wachsen in der Erkenntniß des Teufels
auch Gott dienen hieß." „Es wird kein neuer Zustand der Dinge kommen,
wie Wiesel meint, aber Neues und Altes werden sich in einem echt katholischen
Bund vereinigen." Ja er ging in seinen Geständnissen noch weiter. „Daß
ein Interregnum von Universalmonarchie, das sich nun einmal nicht vermeiden
läßt, der heiligsten Sache des Christenthums kein Hinderniß in den Weg legen
kann, vielmehr sie indirect befördern muß, ist meine innerste Meinung, ob ich
gleich jedes andere Mittel, was mir gezeigt würde, vorziehen und mit dem
Herzen ergreifen würde. Ferner, daß es keine absolute Epoche oder Grenze
gibt, wo die Herrschaft des Bösen als vollständig triumphirend betrachtet


drückt sich über Goethes heidnische Gesinnung sehr scharf aus. „Die Aufsätze über Winkel-
mann sind gottlos. Einen so bittern, tücktscheü Haß gegen das Christenthum hatte ich Goe¬
the» nie zugetraut, ob ich gleich von dieser Seite längst viel Böses von ihm ahndete. Welche
unanständige, cynische, faunenartige Freude er bet der glorwürdigen Entdeckung, daß W- ei¬
gentlich ein geborner Heide, und darum gegen alle christlichen Religionsparteien so gleichgiMg
gewesen sei, empfunden zu haben scheint!" (13- Juli -I80S),
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[0294] Gentz war kein MetaPhysiker von Professton, und die geschichtsphilosophische Construction des Gegensatzes würde ihn gewiß nicht so heftig afficirt Habens wenn nicht eine sehr bedenkliche Nutzanwendung nahe.gelegen hätte. In dem Mißfallen gegen die Revolution und gegen das wüste bonapartistische Eroberungsystein waren damals alle Gutgesinnten einig, aber während die Entschlossenen in einem rück¬ sichtslosen, alle Mittel aufbietenden Widerstand die einzige Rettung Deutschlands sahen, tauchten schon damals einige Weltweise auf, die in der Zertümmerung der alten Welt durch Napoleon den Keim einer neuen großen Zukunft sahen. Die katholische Kirche war wenigstens auf Augenblicke geneigt, in dem neuen Cäsar ihren Wiederhersteller zu begrüßen. Johannes von Müller, mit dem Gentz die edle Verschwörung der Patrioten hatte organisiren wollen, hatte schon damals Augenblicke der Schwäche, und Adam Müller neigte sich nach sei¬ ner Philosophie, daß jede Sünde bis zum Aeußersten durchgeführt werden muß, um als Contrast das Bessere hervorzubringen, dem Frieden mit dem Kaiser zu. Eine solche Sophistik mußte Gentz empören, dem man zur Ehre nachsagen muß, daß er in dem Haß gegen Napoleon keinen Augenblick geschwankt, daß er alle Kräfte seines Geistes aufgeboten hat, um die Deutschen zum Kampf gegen den gemeinsamen Feind zu einigen. Als daher nach der Schlacht bei Austerlitz die beiden Freunde sich im Januar 1806 in Dresden mit Wiesel wieder zusammenfanden, brach der Krieg zwischen ihnen mit verstärkter Heftig¬ keit aus. „Zwischen die Niederträchtigkeit der gemeinen activen Welt und die phantastischen Ansichten und Constructionen der wenigen Bessern eingeklemmt," gerieth Gentz in Verzweiflung. Müller belehrte ihn, daß sich der Glaube in seiner ganzen Reinheit conserviren lasse, „auch selbst wenn man Belial lange und ruhig ins Gesicht sieht, und das Wachsen in der Erkenntniß des Teufels auch Gott dienen hieß." „Es wird kein neuer Zustand der Dinge kommen, wie Wiesel meint, aber Neues und Altes werden sich in einem echt katholischen Bund vereinigen." Ja er ging in seinen Geständnissen noch weiter. „Daß ein Interregnum von Universalmonarchie, das sich nun einmal nicht vermeiden läßt, der heiligsten Sache des Christenthums kein Hinderniß in den Weg legen kann, vielmehr sie indirect befördern muß, ist meine innerste Meinung, ob ich gleich jedes andere Mittel, was mir gezeigt würde, vorziehen und mit dem Herzen ergreifen würde. Ferner, daß es keine absolute Epoche oder Grenze gibt, wo die Herrschaft des Bösen als vollständig triumphirend betrachtet drückt sich über Goethes heidnische Gesinnung sehr scharf aus. „Die Aufsätze über Winkel- mann sind gottlos. Einen so bittern, tücktscheü Haß gegen das Christenthum hatte ich Goe¬ the» nie zugetraut, ob ich gleich von dieser Seite längst viel Böses von ihm ahndete. Welche unanständige, cynische, faunenartige Freude er bet der glorwürdigen Entdeckung, daß W- ei¬ gentlich ein geborner Heide, und darum gegen alle christlichen Religionsparteien so gleichgiMg gewesen sei, empfunden zu haben scheint!" (13- Juli -I80S),

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/294>, abgerufen am 28.07.2024.