Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Wenn der nahende Frühling wieder zum Weilen im Freien einladet,
"wenn, da der Hören Gemach sich eröffnet, die neklarischen Pflanzen den
duftenden Frühling empfinden, wann über die unsterbliche Feste liebliche Veil¬
chen verstreut werden und die Rose sich dem Haar gesellt" (Pindar) -- dann
verlassen die Nymphen die schützenden Grotten, dann zu den Grazien gesellt
beginnen sie ihre Tänze auf der Flur: so schildert Horaz, nach griechischem
Vorbilde das Eintreten deS Frühlings. Und so leben sie ihr kummerloses
Leben auf Wiese und Berg, in Wäldern und an Quellen, "lagen im Gefolge
der Artemis, schwärmen im Geleite und Reigen des Dionysos, erziehn die gött¬
lichen Kinder und pflegen Liebesverkehr mit den Göttern des Waldes und der
Flur." Auch schöne Sterbliche lieben sie, wie Hylas und Daphnis, und über¬
haupt ist ihnen eine große Menschenfreundlichkeit eigen, wie ja auch die Seite
der Natur, die sich in ihnen verkörpert, den Menschen freundlich ist. So sind
sie es, die dem einsam streifenden Jäger das Wild zutreiben, dessen er bedarf.
Andromache erzählt, wie Achill ihren Vater, den König von Theben, am waldigen
Hange des Gebirges getödtet und ihm einen Grabhügel aufgeschüttet habe:
..umher aber pflanzten Ulmen die Nymphen des Berges." Sie also erhielten
in der menscheneinsam gewordenen Stätte den Liebesdienst der entführten und
getödteten Freunde und Verwandten. Und was man vor allem den Nymphen
danken zu müssen glaubte, das war die poetische Begeisterung, weil die Ein¬
samkeit vom Menschengewühl und der Hauch der Natur in dieser erhebenden
Wirkung empfunden ward.

Wenn nun in der griechischen Auffassung das Anmuthige, Liebliche, Freund-
liche in der Natur sich in Mädchengestalt darstellte, so fand auch das Rauhe
und Wilde wüster oder struppiger Klippen- und Felsenformationen, daS Gro¬
teske und Neckische seltsamer Gebirgsschluchten und Thäler (wovon der Rübe¬
zahl des Riesengebirges manchen Zug empfangen hat), endlich das Unheimliche
und Grauenvolle der tiefen Berg- und Waldeinsamkeit seinen angemessenen Aus¬
druck. Dies ist Pan, -- später auch in der Mehrheit Pane -- und auch
die Satyrn; für die See sind die Tritonen das neben den Nereiden, was diese
Dämonen neben den Dryaden und Orcaden sind. Pan scheint Arkadien,
dem Alpenlande des Peloponnes entsprossen zu sein, "wo die schneebedeckten
Felsengipsel so kühn und hoch emporstreben, die Quellen so lustig herunter-
strömen durch dichtes Gebüsch, das überall die Schluchten ausfüllt, und unten
den Thälern die wiesigen Gründe mit den schlängelnden Bächen sich so
lieblich dehnen" (Preller). Ein alter Hymnus auf Pan, der sein Wesen und
Treiben im Gebirge schildert, gibt zugleich ein lebendiges Bilo dieser arkadi¬
schen Natur. Ih.", dem struppigen Gott mit buschigem Haupthaar, heißt es.
gehören alle schneeigen Kuppen und Vergspitzen und Felsenhörncr. Hier und
dorthin schreitet er durch verwachsenen Buschwald, bald zu lieblichen Wassern,


Wenn der nahende Frühling wieder zum Weilen im Freien einladet,
»wenn, da der Hören Gemach sich eröffnet, die neklarischen Pflanzen den
duftenden Frühling empfinden, wann über die unsterbliche Feste liebliche Veil¬
chen verstreut werden und die Rose sich dem Haar gesellt" (Pindar) — dann
verlassen die Nymphen die schützenden Grotten, dann zu den Grazien gesellt
beginnen sie ihre Tänze auf der Flur: so schildert Horaz, nach griechischem
Vorbilde das Eintreten deS Frühlings. Und so leben sie ihr kummerloses
Leben auf Wiese und Berg, in Wäldern und an Quellen, „lagen im Gefolge
der Artemis, schwärmen im Geleite und Reigen des Dionysos, erziehn die gött¬
lichen Kinder und pflegen Liebesverkehr mit den Göttern des Waldes und der
Flur." Auch schöne Sterbliche lieben sie, wie Hylas und Daphnis, und über¬
haupt ist ihnen eine große Menschenfreundlichkeit eigen, wie ja auch die Seite
der Natur, die sich in ihnen verkörpert, den Menschen freundlich ist. So sind
sie es, die dem einsam streifenden Jäger das Wild zutreiben, dessen er bedarf.
Andromache erzählt, wie Achill ihren Vater, den König von Theben, am waldigen
Hange des Gebirges getödtet und ihm einen Grabhügel aufgeschüttet habe:
..umher aber pflanzten Ulmen die Nymphen des Berges." Sie also erhielten
in der menscheneinsam gewordenen Stätte den Liebesdienst der entführten und
getödteten Freunde und Verwandten. Und was man vor allem den Nymphen
danken zu müssen glaubte, das war die poetische Begeisterung, weil die Ein¬
samkeit vom Menschengewühl und der Hauch der Natur in dieser erhebenden
Wirkung empfunden ward.

Wenn nun in der griechischen Auffassung das Anmuthige, Liebliche, Freund-
liche in der Natur sich in Mädchengestalt darstellte, so fand auch das Rauhe
und Wilde wüster oder struppiger Klippen- und Felsenformationen, daS Gro¬
teske und Neckische seltsamer Gebirgsschluchten und Thäler (wovon der Rübe¬
zahl des Riesengebirges manchen Zug empfangen hat), endlich das Unheimliche
und Grauenvolle der tiefen Berg- und Waldeinsamkeit seinen angemessenen Aus¬
druck. Dies ist Pan, — später auch in der Mehrheit Pane -- und auch
die Satyrn; für die See sind die Tritonen das neben den Nereiden, was diese
Dämonen neben den Dryaden und Orcaden sind. Pan scheint Arkadien,
dem Alpenlande des Peloponnes entsprossen zu sein, „wo die schneebedeckten
Felsengipsel so kühn und hoch emporstreben, die Quellen so lustig herunter-
strömen durch dichtes Gebüsch, das überall die Schluchten ausfüllt, und unten
den Thälern die wiesigen Gründe mit den schlängelnden Bächen sich so
lieblich dehnen" (Preller). Ein alter Hymnus auf Pan, der sein Wesen und
Treiben im Gebirge schildert, gibt zugleich ein lebendiges Bilo dieser arkadi¬
schen Natur. Ih.«, dem struppigen Gott mit buschigem Haupthaar, heißt es.
gehören alle schneeigen Kuppen und Vergspitzen und Felsenhörncr. Hier und
dorthin schreitet er durch verwachsenen Buschwald, bald zu lieblichen Wassern,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0027" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103694"/>
          <p xml:id="ID_41"> Wenn der nahende Frühling wieder zum Weilen im Freien einladet,<lb/>
»wenn, da der Hören Gemach sich eröffnet, die neklarischen Pflanzen den<lb/>
duftenden Frühling empfinden, wann über die unsterbliche Feste liebliche Veil¬<lb/>
chen verstreut werden und die Rose sich dem Haar gesellt" (Pindar) &#x2014; dann<lb/>
verlassen die Nymphen die schützenden Grotten, dann zu den Grazien gesellt<lb/>
beginnen sie ihre Tänze auf der Flur: so schildert Horaz, nach griechischem<lb/>
Vorbilde das Eintreten deS Frühlings. Und so leben sie ihr kummerloses<lb/>
Leben auf Wiese und Berg, in Wäldern und an Quellen, &#x201E;lagen im Gefolge<lb/>
der Artemis, schwärmen im Geleite und Reigen des Dionysos, erziehn die gött¬<lb/>
lichen Kinder und pflegen Liebesverkehr mit den Göttern des Waldes und der<lb/>
Flur." Auch schöne Sterbliche lieben sie, wie Hylas und Daphnis, und über¬<lb/>
haupt ist ihnen eine große Menschenfreundlichkeit eigen, wie ja auch die Seite<lb/>
der Natur, die sich in ihnen verkörpert, den Menschen freundlich ist. So sind<lb/>
sie es, die dem einsam streifenden Jäger das Wild zutreiben, dessen er bedarf.<lb/>
Andromache erzählt, wie Achill ihren Vater, den König von Theben, am waldigen<lb/>
Hange des Gebirges getödtet und ihm einen Grabhügel aufgeschüttet habe:<lb/>
..umher aber pflanzten Ulmen die Nymphen des Berges." Sie also erhielten<lb/>
in der menscheneinsam gewordenen Stätte den Liebesdienst der entführten und<lb/>
getödteten Freunde und Verwandten. Und was man vor allem den Nymphen<lb/>
danken zu müssen glaubte, das war die poetische Begeisterung, weil die Ein¬<lb/>
samkeit vom Menschengewühl und der Hauch der Natur in dieser erhebenden<lb/>
Wirkung empfunden ward.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_42" next="#ID_43"> Wenn nun in der griechischen Auffassung das Anmuthige, Liebliche, Freund-<lb/>
liche in der Natur sich in Mädchengestalt darstellte, so fand auch das Rauhe<lb/>
und Wilde wüster oder struppiger Klippen- und Felsenformationen, daS Gro¬<lb/>
teske und Neckische seltsamer Gebirgsschluchten und Thäler (wovon der Rübe¬<lb/>
zahl des Riesengebirges manchen Zug empfangen hat), endlich das Unheimliche<lb/>
und Grauenvolle der tiefen Berg- und Waldeinsamkeit seinen angemessenen Aus¬<lb/>
druck. Dies ist Pan, &#x2014; später auch in der Mehrheit Pane -- und auch<lb/>
die Satyrn; für die See sind die Tritonen das neben den Nereiden, was diese<lb/>
Dämonen neben den Dryaden und Orcaden sind. Pan scheint Arkadien,<lb/>
dem Alpenlande des Peloponnes entsprossen zu sein, &#x201E;wo die schneebedeckten<lb/>
Felsengipsel so kühn und hoch emporstreben, die Quellen so lustig herunter-<lb/>
strömen durch dichtes Gebüsch, das überall die Schluchten ausfüllt, und unten<lb/>
den Thälern die wiesigen Gründe mit den schlängelnden Bächen sich so<lb/>
lieblich dehnen" (Preller). Ein alter Hymnus auf Pan, der sein Wesen und<lb/>
Treiben im Gebirge schildert, gibt zugleich ein lebendiges Bilo dieser arkadi¬<lb/>
schen Natur. Ih.«, dem struppigen Gott mit buschigem Haupthaar, heißt es.<lb/>
gehören alle schneeigen Kuppen und Vergspitzen und Felsenhörncr. Hier und<lb/>
dorthin schreitet er durch verwachsenen Buschwald, bald zu lieblichen Wassern,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0027] Wenn der nahende Frühling wieder zum Weilen im Freien einladet, »wenn, da der Hören Gemach sich eröffnet, die neklarischen Pflanzen den duftenden Frühling empfinden, wann über die unsterbliche Feste liebliche Veil¬ chen verstreut werden und die Rose sich dem Haar gesellt" (Pindar) — dann verlassen die Nymphen die schützenden Grotten, dann zu den Grazien gesellt beginnen sie ihre Tänze auf der Flur: so schildert Horaz, nach griechischem Vorbilde das Eintreten deS Frühlings. Und so leben sie ihr kummerloses Leben auf Wiese und Berg, in Wäldern und an Quellen, „lagen im Gefolge der Artemis, schwärmen im Geleite und Reigen des Dionysos, erziehn die gött¬ lichen Kinder und pflegen Liebesverkehr mit den Göttern des Waldes und der Flur." Auch schöne Sterbliche lieben sie, wie Hylas und Daphnis, und über¬ haupt ist ihnen eine große Menschenfreundlichkeit eigen, wie ja auch die Seite der Natur, die sich in ihnen verkörpert, den Menschen freundlich ist. So sind sie es, die dem einsam streifenden Jäger das Wild zutreiben, dessen er bedarf. Andromache erzählt, wie Achill ihren Vater, den König von Theben, am waldigen Hange des Gebirges getödtet und ihm einen Grabhügel aufgeschüttet habe: ..umher aber pflanzten Ulmen die Nymphen des Berges." Sie also erhielten in der menscheneinsam gewordenen Stätte den Liebesdienst der entführten und getödteten Freunde und Verwandten. Und was man vor allem den Nymphen danken zu müssen glaubte, das war die poetische Begeisterung, weil die Ein¬ samkeit vom Menschengewühl und der Hauch der Natur in dieser erhebenden Wirkung empfunden ward. Wenn nun in der griechischen Auffassung das Anmuthige, Liebliche, Freund- liche in der Natur sich in Mädchengestalt darstellte, so fand auch das Rauhe und Wilde wüster oder struppiger Klippen- und Felsenformationen, daS Gro¬ teske und Neckische seltsamer Gebirgsschluchten und Thäler (wovon der Rübe¬ zahl des Riesengebirges manchen Zug empfangen hat), endlich das Unheimliche und Grauenvolle der tiefen Berg- und Waldeinsamkeit seinen angemessenen Aus¬ druck. Dies ist Pan, — später auch in der Mehrheit Pane -- und auch die Satyrn; für die See sind die Tritonen das neben den Nereiden, was diese Dämonen neben den Dryaden und Orcaden sind. Pan scheint Arkadien, dem Alpenlande des Peloponnes entsprossen zu sein, „wo die schneebedeckten Felsengipsel so kühn und hoch emporstreben, die Quellen so lustig herunter- strömen durch dichtes Gebüsch, das überall die Schluchten ausfüllt, und unten den Thälern die wiesigen Gründe mit den schlängelnden Bächen sich so lieblich dehnen" (Preller). Ein alter Hymnus auf Pan, der sein Wesen und Treiben im Gebirge schildert, gibt zugleich ein lebendiges Bilo dieser arkadi¬ schen Natur. Ih.«, dem struppigen Gott mit buschigem Haupthaar, heißt es. gehören alle schneeigen Kuppen und Vergspitzen und Felsenhörncr. Hier und dorthin schreitet er durch verwachsenen Buschwald, bald zu lieblichen Wassern,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/27
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/27>, abgerufen am 28.07.2024.