Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band."Daß im Allgemeinen der griechischen Vorstellung nicht sowol Baumnym¬ Wo aber sind die Nymphen im Winter, wenn die Regsamkeit des Natur¬ „Daß im Allgemeinen der griechischen Vorstellung nicht sowol Baumnym¬ Wo aber sind die Nymphen im Winter, wenn die Regsamkeit des Natur¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0026" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103693"/> <p xml:id="ID_39"> „Daß im Allgemeinen der griechischen Vorstellung nicht sowol Baumnym¬<lb/> phen vorschwebten als Waldnymphen, ist angemessen dem freien und großen<lb/> Stil, in welchem wir jene Gesellschaft der Repräsentantinnen des immer regen<lb/> Naturlebens überhaupt behandelt finden. Wenn der Grieche die Regsamkeit,<lb/> Anmuth, Ueppigkeit, Heiterkeit, Keckheit des Naturlebens sich vorstellt, schaut<lb/> er gleichsam nicht in die Natur selbst, sondern wie in einen «Spiegel, in welchen<lb/> ihm jene Eindrücke in Gestalten reflectirt sind, die in der Anmuth, Heiterkeit,<lb/> Keckheit ihrer Bildung und Bewegung und lebendigen Geselligkeit jene Ein¬<lb/> drücke wiedergeben. Eine pedantische Gebundenheit am allerwenigsten im phy¬<lb/> sischen Sinne, denn auf die ethische Seite ist es gerichtet; ein Leben, wo jeder<lb/> Zug sich an die Naturbedeutung knüpfte oder auch Beschränkung ihrer Wirt-,<lb/> sanken nur etwa auf Naturgaben ist seine Sache nicht." Die griechische Reli¬<lb/> gion ist eben keine Naturreligion, sondern eine durch und durch ethische.</p><lb/> <p xml:id="ID_40"> Wo aber sind die Nymphen im Winter, wenn die Regsamkeit des Natur¬<lb/> lebens abnimmt und doch wenigstens theilweise in Erstarrung versinkt? dann<lb/> weilen sie, so lehrt uns eine schöne Stelle in den Vögeln des Aristophanes,<lb/> in schützenden Grotten, erfreuen sich an dem Spiel der Vögel, die gleichfalls<lb/> Schutz suchend sich um sie gesellen, singen und weben. Ueberhaupt sind die<lb/> Grotten, die ja im Sommer so kühlende Frische gewähren, ihr Lieblings¬<lb/> aufenthalt, viele waren ihnen besonders geheiligt und ausgeschmückt „und<lb/> bei den vielen nicht nur wundervollen und wunderbaren, sondern auch wun¬<lb/> derlichen Grottenbildungen des Landes glaubte man hier und dort wol die<lb/> Webstuhle der Nymphen zu sehen." Wie mußte beim Betreten dieser Höhlen,<lb/> deren Wölbungen sich bald zu Domen erweiterten, bald enge zusammendräng¬<lb/> ten, wo ein ungewisses Dämmerlicht aus die seltsamen vielgestaltigen Tropf¬<lb/> steinbildungen der Wände und der Decke spielte, aus Sprüngen und Spalten<lb/> nah und fern der Fall sickernder Wasser rauschte und plätscherte: wie, mußte<lb/> da das fromme Gemüth von heiligen Schauern ergriffen werden, das Wehen<lb/> der göttlichen Nähe empfinden! wie mußte die schon vorbereitete und entzündete<lb/> Phantasie überall die sichtbaren Spuren des göttlichen Waltens erkennen!<lb/> Wer erinnert sich nicht bei der Vorstellung dieser von Nymphen bewohnten<lb/> Grotten der Göttin Kalypso, deren Namen Lehrs ungemein ansprechend „vom<lb/> Hüllenden uiid Bergenten der Grotte" ableitet. Ihre Höhle liegt in des grü¬<lb/> nenden Hains Umschattung, in dessen Wipfeln Habichte, Baumenten und Mö-<lb/> ven nisten, ein Weinstock rankt sich um das Felsengewölbe, und vier Quellen<lb/> sprudeln nebeneinander „wo rings schwellende Wiesen hinab mit Violen und<lb/> Eppich grüneten. Traun wol selbst ein Unsterblicher, welcher dahinkam, Wende<lb/> bewunderungsvoll und freute sich herzlich des Anblicks." So schildert der<lb/> Dichter der Odyssee vie Grotte der Kalypso und sie selbst mit melodischer<lb/> Stimme singend, wirkt innen ein Gewebe mit goldener Spule.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0026]
„Daß im Allgemeinen der griechischen Vorstellung nicht sowol Baumnym¬
phen vorschwebten als Waldnymphen, ist angemessen dem freien und großen
Stil, in welchem wir jene Gesellschaft der Repräsentantinnen des immer regen
Naturlebens überhaupt behandelt finden. Wenn der Grieche die Regsamkeit,
Anmuth, Ueppigkeit, Heiterkeit, Keckheit des Naturlebens sich vorstellt, schaut
er gleichsam nicht in die Natur selbst, sondern wie in einen «Spiegel, in welchen
ihm jene Eindrücke in Gestalten reflectirt sind, die in der Anmuth, Heiterkeit,
Keckheit ihrer Bildung und Bewegung und lebendigen Geselligkeit jene Ein¬
drücke wiedergeben. Eine pedantische Gebundenheit am allerwenigsten im phy¬
sischen Sinne, denn auf die ethische Seite ist es gerichtet; ein Leben, wo jeder
Zug sich an die Naturbedeutung knüpfte oder auch Beschränkung ihrer Wirt-,
sanken nur etwa auf Naturgaben ist seine Sache nicht." Die griechische Reli¬
gion ist eben keine Naturreligion, sondern eine durch und durch ethische.
Wo aber sind die Nymphen im Winter, wenn die Regsamkeit des Natur¬
lebens abnimmt und doch wenigstens theilweise in Erstarrung versinkt? dann
weilen sie, so lehrt uns eine schöne Stelle in den Vögeln des Aristophanes,
in schützenden Grotten, erfreuen sich an dem Spiel der Vögel, die gleichfalls
Schutz suchend sich um sie gesellen, singen und weben. Ueberhaupt sind die
Grotten, die ja im Sommer so kühlende Frische gewähren, ihr Lieblings¬
aufenthalt, viele waren ihnen besonders geheiligt und ausgeschmückt „und
bei den vielen nicht nur wundervollen und wunderbaren, sondern auch wun¬
derlichen Grottenbildungen des Landes glaubte man hier und dort wol die
Webstuhle der Nymphen zu sehen." Wie mußte beim Betreten dieser Höhlen,
deren Wölbungen sich bald zu Domen erweiterten, bald enge zusammendräng¬
ten, wo ein ungewisses Dämmerlicht aus die seltsamen vielgestaltigen Tropf¬
steinbildungen der Wände und der Decke spielte, aus Sprüngen und Spalten
nah und fern der Fall sickernder Wasser rauschte und plätscherte: wie, mußte
da das fromme Gemüth von heiligen Schauern ergriffen werden, das Wehen
der göttlichen Nähe empfinden! wie mußte die schon vorbereitete und entzündete
Phantasie überall die sichtbaren Spuren des göttlichen Waltens erkennen!
Wer erinnert sich nicht bei der Vorstellung dieser von Nymphen bewohnten
Grotten der Göttin Kalypso, deren Namen Lehrs ungemein ansprechend „vom
Hüllenden uiid Bergenten der Grotte" ableitet. Ihre Höhle liegt in des grü¬
nenden Hains Umschattung, in dessen Wipfeln Habichte, Baumenten und Mö-
ven nisten, ein Weinstock rankt sich um das Felsengewölbe, und vier Quellen
sprudeln nebeneinander „wo rings schwellende Wiesen hinab mit Violen und
Eppich grüneten. Traun wol selbst ein Unsterblicher, welcher dahinkam, Wende
bewunderungsvoll und freute sich herzlich des Anblicks." So schildert der
Dichter der Odyssee vie Grotte der Kalypso und sie selbst mit melodischer
Stimme singend, wirkt innen ein Gewebe mit goldener Spule.
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