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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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der Prosa nur für diesen Fall, in der Poesie für ein jugendliches weibliches
Wesen, für "Mail," überhaupt gebräuchlich ist. So sind also die Nymphen
die göttlichen Naturmädchen.

In der griechischen Naturauffassunq belebte und bevölkerte sich uut diesen
lieblichen Gestalten Meer und Land, Wiesen und Berge, Quellen , Wasser
und Wälder. In den Wäldern waren sowol Waldnymphen als Baumnymphen
heimisch, und der Unterschied zwischen beiden ist für eine richtige Einsicht in
die griechischen Vorstellung wichtig. Schillers Verse "diese Höhen füllten
Orcaden, eine Dryas lebt in jenem Baum" hört man bisweilen sprechen:
"eine Dryas lebt in jedem Baum." Hiermit würde völlig eine Ansicht aus¬
gedrückt sein, welche bei den Griechen weder ursprünglich noch allgemein zu
irgend einer Zeit gegolten hat. Zuerst und allgemein galt die Annahme von
Waldnymphen, die in den Wäldern hausend das Leben und Weben der Wäl¬
der und Bäume darstellen. Und für sie wird der Name Dryaden d. h. Eichin¬
nen gangbar. Der nicht ganz so alte Glaube an Baumnymphen knüpfte sich
natürlich doch wol zuerst an Bäume "von ganz besonderem Alter, Höhe, Schön¬
heit und Umfang," für die man denn eigne mit ihnen verbundene Nymphen
zu denken begann. "Und da konnte sich auch die Vorstellung einfinden, daß
beide zu gleicher Zeit geboren werden und sterben, die Vorstellung von Nym¬
phen, welche, wie Pindar sagt, das Ziel eines baumgleichen Lebens erloost."
Denn daß Götter sterben können, ist eine Vorstellung, die durchaus nicht der
griechischen Idee von der Gottheit widerspricht. Schon in einem sehr alten
Hymnus auf Aphrodite wird von einer Zahl heiliger Bäume auf dem wal¬
digen Jda gesprochen, "Tannen und hochwipslige Eichen, schöne, blühende,
hochragende, umrauschte; die Menschen nennen sie Heiligthümer der Unsterb¬
lichen und tilgen sie nicht mit dem Eisen," sie sind der nimmcrruhenden
Erde zugleich mit dem Entstehen der Nymphen entsprossen. "Aber wenn daS
Geschick des Todes herantritt, dann beginnen die schönen Bäume zu verdorren,
rings schwindet die Rinde, es fallen die Aeste, und zugleich verlassen die See¬
len der Nymphen das Licht der Sonne." Dies gemeinsame Entsteh,, und Ver¬
geh" ist "wie eine prästabilirte Harmonie" behandelt, Nymphe und Baum ent-
stehn mit-, nicht durcheinander, ihre Zusammengehörigkeit ist eine ethische, keine
physische. Daher ist die Vorstellung von dem Mitsterben der Nymphe mit dem
Baum auch nicht immer festgehalten worden. Aus der Verbindung beider aber
beruhn die oft erzählten Märchen von Holzfällern, die trotz der Bitte der
Nymphe, ihren Baum zu schonen, diesen niederschlagen und sich ihren Zorn zu-
ziehn, oder von andern, die einen sinkenden Baum stützen und ihren Dank
erwerben. Daß durch Einhauen in einen solchen Baum die Nymphe selbst
verwundet werde und deshalb Blut aus dem Baume fließe, ist eine Sub-
tilität der Superklugheit erst des Römers Ovid.


Grenzboten II. i8ü?.

der Prosa nur für diesen Fall, in der Poesie für ein jugendliches weibliches
Wesen, für „Mail," überhaupt gebräuchlich ist. So sind also die Nymphen
die göttlichen Naturmädchen.

In der griechischen Naturauffassunq belebte und bevölkerte sich uut diesen
lieblichen Gestalten Meer und Land, Wiesen und Berge, Quellen , Wasser
und Wälder. In den Wäldern waren sowol Waldnymphen als Baumnymphen
heimisch, und der Unterschied zwischen beiden ist für eine richtige Einsicht in
die griechischen Vorstellung wichtig. Schillers Verse „diese Höhen füllten
Orcaden, eine Dryas lebt in jenem Baum" hört man bisweilen sprechen:
„eine Dryas lebt in jedem Baum." Hiermit würde völlig eine Ansicht aus¬
gedrückt sein, welche bei den Griechen weder ursprünglich noch allgemein zu
irgend einer Zeit gegolten hat. Zuerst und allgemein galt die Annahme von
Waldnymphen, die in den Wäldern hausend das Leben und Weben der Wäl¬
der und Bäume darstellen. Und für sie wird der Name Dryaden d. h. Eichin¬
nen gangbar. Der nicht ganz so alte Glaube an Baumnymphen knüpfte sich
natürlich doch wol zuerst an Bäume „von ganz besonderem Alter, Höhe, Schön¬
heit und Umfang," für die man denn eigne mit ihnen verbundene Nymphen
zu denken begann. „Und da konnte sich auch die Vorstellung einfinden, daß
beide zu gleicher Zeit geboren werden und sterben, die Vorstellung von Nym¬
phen, welche, wie Pindar sagt, das Ziel eines baumgleichen Lebens erloost."
Denn daß Götter sterben können, ist eine Vorstellung, die durchaus nicht der
griechischen Idee von der Gottheit widerspricht. Schon in einem sehr alten
Hymnus auf Aphrodite wird von einer Zahl heiliger Bäume auf dem wal¬
digen Jda gesprochen, „Tannen und hochwipslige Eichen, schöne, blühende,
hochragende, umrauschte; die Menschen nennen sie Heiligthümer der Unsterb¬
lichen und tilgen sie nicht mit dem Eisen," sie sind der nimmcrruhenden
Erde zugleich mit dem Entstehen der Nymphen entsprossen. „Aber wenn daS
Geschick des Todes herantritt, dann beginnen die schönen Bäume zu verdorren,
rings schwindet die Rinde, es fallen die Aeste, und zugleich verlassen die See¬
len der Nymphen das Licht der Sonne." Dies gemeinsame Entsteh,, und Ver¬
geh« ist „wie eine prästabilirte Harmonie" behandelt, Nymphe und Baum ent-
stehn mit-, nicht durcheinander, ihre Zusammengehörigkeit ist eine ethische, keine
physische. Daher ist die Vorstellung von dem Mitsterben der Nymphe mit dem
Baum auch nicht immer festgehalten worden. Aus der Verbindung beider aber
beruhn die oft erzählten Märchen von Holzfällern, die trotz der Bitte der
Nymphe, ihren Baum zu schonen, diesen niederschlagen und sich ihren Zorn zu-
ziehn, oder von andern, die einen sinkenden Baum stützen und ihren Dank
erwerben. Daß durch Einhauen in einen solchen Baum die Nymphe selbst
verwundet werde und deshalb Blut aus dem Baume fließe, ist eine Sub-
tilität der Superklugheit erst des Römers Ovid.


Grenzboten II. i8ü?.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/25>, abgerufen am 28.07.2024.