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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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bereits im Rechtsleben besteht. Man wird sich über den bedeutenden Unter¬
schied dieser beiden Anschauungen klar werden, sobald man sich vergegenwärtigt,
was denn eigentlich im gesammten Rechtsgebiet bleibt, sobald man davon alles,
was zum Handel gehört, so namentlich also auch die Schiffahrt, die Fabrikation
und alle einschlagenden Verhältnisse löst. Zunächst natürlich das Familien-
und das Erbrecht, beide der Natur der Sache nach am wenigsten durch das
römische Recht verfälscht, ferner dann die weniger wichtigen Vorkommenheiten
des täglichen Lebens und endlich die Verhältnisse von Grund und Boden,
auch diese letzteren vom römischen Rechte nicht allzutief berührt. Dem Einfluß
des fremden Rechts wären damit die für das Leben wichtigsten Gebiete mehr
oder minder entzogen und das Handelsrecht, sobald es aushört ein Privileg zu sein,
wäre der Markstein zur entschiedenen Umkehr ins heimische Recht, zum Bruch
mit der durch das fremde Recht herbeigeführten Revolution im Rechtsleben der
deutschen Nation. Aber selbst wenn die Conferenz sich nicht zu dem unsers
Erachtens nach durch praktische Gründe empfohlenen Weg entschließen wollte,
das Handelsrecht nicht blos zu einem Vorzugsrecht der Kaufleute, sondern zu
einem allgemeinen Rechte für alles Handelsgeschäft zu erheben, so wäre in die¬
sen Berathungen schon ein sehr beachtenswerther Unterschied zwischen Vergangen¬
heit und Zukunft gegeben. Es ist in ihnen ausgesprochen, daß Deutschland
für ein großes, weitumsasfendes Rechtsgebiet den Weg der Vermittlung
der Rechtskenntniß durch das gelehrte Studium verlassen wolle,
um sie vielmehr unmittelbar aus dem frischen Born des Lebens
zu schöpfen. Wie weit auch die Ansichten innerhalb der Conferenz ausein¬
andergehen mögen, darüber herrscht nach allem, was man erfährt, auch nicht die
geringste Meinungsverschiedenheit, daß es nöthig sei, das neue deutsche Handels¬
recht vor allem dem kaufmännischen Bewußtsein möglichst conform zu machen.
Man wird die Wichtigkeit dieses Umschwungs gewiß nicht verkennen, wenn
man weiß, daß der Verlust der Kenntniß des herrschenden Rechts Deutsch¬
land politisch und social tiefer entsittlicht hat, als die Geschichtbücher, welche
diesen Punkt nur oberflächlich berühren, es ahnen lassen. Nur in dem Be¬
wußtsein der eignen Rechtssphäre und aller Mittel, sein Recht auch geltend zu
machen, kann ein Volk zu einem kräftigen politischen Leben sich empor¬
arbeiten.

Ob die Conferenz ihrer Aufgabe gewachsen ist? Die Männer, aus wel¬
chen sie gebildet worden, gehören gewiß zu den tauglichsten Kräften, die Deutsch¬
land in dieser Beziehung aufzuweisen hat und es läßt sich hierüber auch nicht
der Schatten eines Einwandes erheben. Die Schwierigkeit liegt auf einem
andern Felde, in der Zerklüftung Deutschlands in so viele verschiedene Staaten.
Ein gemeinsames Gesetzbuch können die deutschen Staaten berathen, eine
gemeinsame Fortbildung des neugegründeten Rechts ist ihnen


bereits im Rechtsleben besteht. Man wird sich über den bedeutenden Unter¬
schied dieser beiden Anschauungen klar werden, sobald man sich vergegenwärtigt,
was denn eigentlich im gesammten Rechtsgebiet bleibt, sobald man davon alles,
was zum Handel gehört, so namentlich also auch die Schiffahrt, die Fabrikation
und alle einschlagenden Verhältnisse löst. Zunächst natürlich das Familien-
und das Erbrecht, beide der Natur der Sache nach am wenigsten durch das
römische Recht verfälscht, ferner dann die weniger wichtigen Vorkommenheiten
des täglichen Lebens und endlich die Verhältnisse von Grund und Boden,
auch diese letzteren vom römischen Rechte nicht allzutief berührt. Dem Einfluß
des fremden Rechts wären damit die für das Leben wichtigsten Gebiete mehr
oder minder entzogen und das Handelsrecht, sobald es aushört ein Privileg zu sein,
wäre der Markstein zur entschiedenen Umkehr ins heimische Recht, zum Bruch
mit der durch das fremde Recht herbeigeführten Revolution im Rechtsleben der
deutschen Nation. Aber selbst wenn die Conferenz sich nicht zu dem unsers
Erachtens nach durch praktische Gründe empfohlenen Weg entschließen wollte,
das Handelsrecht nicht blos zu einem Vorzugsrecht der Kaufleute, sondern zu
einem allgemeinen Rechte für alles Handelsgeschäft zu erheben, so wäre in die¬
sen Berathungen schon ein sehr beachtenswerther Unterschied zwischen Vergangen¬
heit und Zukunft gegeben. Es ist in ihnen ausgesprochen, daß Deutschland
für ein großes, weitumsasfendes Rechtsgebiet den Weg der Vermittlung
der Rechtskenntniß durch das gelehrte Studium verlassen wolle,
um sie vielmehr unmittelbar aus dem frischen Born des Lebens
zu schöpfen. Wie weit auch die Ansichten innerhalb der Conferenz ausein¬
andergehen mögen, darüber herrscht nach allem, was man erfährt, auch nicht die
geringste Meinungsverschiedenheit, daß es nöthig sei, das neue deutsche Handels¬
recht vor allem dem kaufmännischen Bewußtsein möglichst conform zu machen.
Man wird die Wichtigkeit dieses Umschwungs gewiß nicht verkennen, wenn
man weiß, daß der Verlust der Kenntniß des herrschenden Rechts Deutsch¬
land politisch und social tiefer entsittlicht hat, als die Geschichtbücher, welche
diesen Punkt nur oberflächlich berühren, es ahnen lassen. Nur in dem Be¬
wußtsein der eignen Rechtssphäre und aller Mittel, sein Recht auch geltend zu
machen, kann ein Volk zu einem kräftigen politischen Leben sich empor¬
arbeiten.

Ob die Conferenz ihrer Aufgabe gewachsen ist? Die Männer, aus wel¬
chen sie gebildet worden, gehören gewiß zu den tauglichsten Kräften, die Deutsch¬
land in dieser Beziehung aufzuweisen hat und es läßt sich hierüber auch nicht
der Schatten eines Einwandes erheben. Die Schwierigkeit liegt auf einem
andern Felde, in der Zerklüftung Deutschlands in so viele verschiedene Staaten.
Ein gemeinsames Gesetzbuch können die deutschen Staaten berathen, eine
gemeinsame Fortbildung des neugegründeten Rechts ist ihnen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/216>, abgerufen am 01.09.2024.