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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Bräuche des andern an. So entstand denn ein Handelsrecht unter dem steten
Widerspruch der Juristen, welche mit dem Corpus juris in der Hand sein ei¬
gentliches Wesen wegdeuteln wollten. Jeder lebhafte Handelsverkehr hat zwei
Poraussetzungen: klare Uebersicht der Verhältnisse und das Bedürfniß des
Vertrauens. Auf diese Grundlage hin hat z. B. der Kommissionshandel, dieser
so ungemein wichtige Zweig des heutigen Handelsverkehrs, eine mit römischen
Rechtsanschauungen vollkommen unverträgliche Gestaltung erhalten, indem der
Commissionär eine wesentlich unabhängige Stellung vom Auftraggeber erwarb,
Um desto fester dem verpflichtet zu werden, mit dem er unmittelbar in Berüh¬
rung tritt. So hat Kauf und Verkauf, so der Seehandel und vor allem der
Geldverkehr Formen angenommen, die nicht auf Nechtsfinessen, sondern auf
dem Gebote der Zweckmäßigkeit beruhen. Der Handel als die nährende Kraft
>in Staate, da er allein Production und Consumtion dauernd zu vermitteln
vermag, der Handel vor allem, als die geldschaffende und geldbeherrschende Macht
hat daher für sich rasch diejenige Rechtsübung zu erlangen vermocht, welche
den Bedürfnissen des Lebens entsprach und um so mehr, je bedeutender im Staate
seine Stellung war.

Es ist nun grade dieser mächtig voranschreitende, alle Verhältnisse des
wirthschaftlichen Lebens unserer Zeit durchdringende Geist des Handelsverkehrs,
der eine in sich folgerechte von römischen Rechtsanschauungen freie
Umbildung des Handelsrechts in Deutschland so dringend erforderlich
wachte. In dem einen Staate waren die Forderungen der Zeit in Betreff deS
Handelsrechts gewohnheitsmäßig oder vermöge ausdrücklicher Gesetzgebung durch¬
gedrungen, in dem andern unterlag es noch dein Zwange römischer Interpre¬
tationen. Dazu kommt dann noch die Naschheit des Verkehrs selbst durch Eisen¬
bahnen und Telegraphen. So ward denn im Jahre 18i7 ein deutsches
Wechselrecht ausgearbeitet und von allen deutschen Staaten angenommen (selbst
für Holstein, nur, um auch hier eine Abweichung vom übrigen Deutschland
^zuhalten, mit Veränderungen in der Paragraphenzahl), und so sehen wir
k'n Jahrzehnt später eine Conferenz für ein allgemeines deutsches Handelsrecht
versammelt. Es liegt darin ein ganz unverkennbarer weiterer Sieg moderner
Rechtsanschauungen über das eingeschwärzte fremde Recht, dessen Bedeutung
ganz gewiß auch über die eigentlichen Hanbelskreise hinausgehen wird.

Allerdings ist dem preußischen Entwurf dieser Gedanke noch ziemlich fremd;
er behandelt das Handelsrecht mit einigen Ausnahmen gleichsam als Vorzugs¬
recht der eigentlichen Kaufleute, als ein Privilegium des Handelsstandes. Nicht
ber gelegentliche Betrieb eines Handelsgeschäfts, sondern das regelmäßige Be¬
weiben des Handels soll für die jedesmalige Anwendung des neuen Handels¬
rechts der entscheidende Punkt sein. Dem gegenüber ist namentlich von Ham¬
burg aus die andere Forderung gellend gemacht worden, wie sie dort auch


Bräuche des andern an. So entstand denn ein Handelsrecht unter dem steten
Widerspruch der Juristen, welche mit dem Corpus juris in der Hand sein ei¬
gentliches Wesen wegdeuteln wollten. Jeder lebhafte Handelsverkehr hat zwei
Poraussetzungen: klare Uebersicht der Verhältnisse und das Bedürfniß des
Vertrauens. Auf diese Grundlage hin hat z. B. der Kommissionshandel, dieser
so ungemein wichtige Zweig des heutigen Handelsverkehrs, eine mit römischen
Rechtsanschauungen vollkommen unverträgliche Gestaltung erhalten, indem der
Commissionär eine wesentlich unabhängige Stellung vom Auftraggeber erwarb,
Um desto fester dem verpflichtet zu werden, mit dem er unmittelbar in Berüh¬
rung tritt. So hat Kauf und Verkauf, so der Seehandel und vor allem der
Geldverkehr Formen angenommen, die nicht auf Nechtsfinessen, sondern auf
dem Gebote der Zweckmäßigkeit beruhen. Der Handel als die nährende Kraft
>in Staate, da er allein Production und Consumtion dauernd zu vermitteln
vermag, der Handel vor allem, als die geldschaffende und geldbeherrschende Macht
hat daher für sich rasch diejenige Rechtsübung zu erlangen vermocht, welche
den Bedürfnissen des Lebens entsprach und um so mehr, je bedeutender im Staate
seine Stellung war.

Es ist nun grade dieser mächtig voranschreitende, alle Verhältnisse des
wirthschaftlichen Lebens unserer Zeit durchdringende Geist des Handelsverkehrs,
der eine in sich folgerechte von römischen Rechtsanschauungen freie
Umbildung des Handelsrechts in Deutschland so dringend erforderlich
wachte. In dem einen Staate waren die Forderungen der Zeit in Betreff deS
Handelsrechts gewohnheitsmäßig oder vermöge ausdrücklicher Gesetzgebung durch¬
gedrungen, in dem andern unterlag es noch dein Zwange römischer Interpre¬
tationen. Dazu kommt dann noch die Naschheit des Verkehrs selbst durch Eisen¬
bahnen und Telegraphen. So ward denn im Jahre 18i7 ein deutsches
Wechselrecht ausgearbeitet und von allen deutschen Staaten angenommen (selbst
für Holstein, nur, um auch hier eine Abweichung vom übrigen Deutschland
^zuhalten, mit Veränderungen in der Paragraphenzahl), und so sehen wir
k'n Jahrzehnt später eine Conferenz für ein allgemeines deutsches Handelsrecht
versammelt. Es liegt darin ein ganz unverkennbarer weiterer Sieg moderner
Rechtsanschauungen über das eingeschwärzte fremde Recht, dessen Bedeutung
ganz gewiß auch über die eigentlichen Hanbelskreise hinausgehen wird.

Allerdings ist dem preußischen Entwurf dieser Gedanke noch ziemlich fremd;
er behandelt das Handelsrecht mit einigen Ausnahmen gleichsam als Vorzugs¬
recht der eigentlichen Kaufleute, als ein Privilegium des Handelsstandes. Nicht
ber gelegentliche Betrieb eines Handelsgeschäfts, sondern das regelmäßige Be¬
weiben des Handels soll für die jedesmalige Anwendung des neuen Handels¬
rechts der entscheidende Punkt sein. Dem gegenüber ist namentlich von Ham¬
burg aus die andere Forderung gellend gemacht worden, wie sie dort auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/215>, abgerufen am 01.09.2024.