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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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nicht möglich. Wo ist das Organ dazu, oder läßt es sich auch nur denken,
daß sämmtliche deutsche Staaten sich ihrer sogenannten Justizhoheit vermaßen
entäußern, um Gerichte und Instanzenzug gleichmäßig ausgebildet einem höchsten
für ganz Deutschland eingesetzten Gerichtshof unbedingt und ohne Vorbehalt
unterzuordnen? Wir müßten die Eifersucht der großen, wie der kleinen und
kleinsten Staaten auf ihre Souveränetät schlecht kennen, um uns hierüber irgend
welchen Hoffnungen hinzugeben -- und doch liegt in der bezeichneten Einrich¬
tung die einzige Möglichkeit der Erhaltung der Rechtsgemeinschaft Ein
Gesetzbuch abzufassen, das auch nur eine mäßige Zahl von neuen Streitfragen
nicht zur Folge hat, ist bisher nicht gelungen und wird auch nicht gelingen,
weil das Leben sich immer anders gestaltet, als der sorgfältigsten Voraussicht
es hätte beifallen können. Beim deutschen Handelsrechte wird die Sache aber
noch schwieriger, weil sich schon jetzt offenkundig im Congreß zwei Richtungen
bekämpfen. Die bureaukratisch-preußische und die freiere der Hansestädte, und
aller Wahrscheinlichkeit nach wird ein Kompromiß zwischen beiden Theilen, also
ein Gesetzbuch daraus hervorgehen, das nicht einmal eine innerlich folgerechte
Grundlage hat. Legt man dazu die Neuheit dieses selben Rechts in allen
deutschen Staaten, die Macht der Gewohnheit, den starren Eigensinn des ge¬
lehrten Bewußtseins, die Nothwendigkeit für den Handel, ihm unbequeme Fesseln
abzuschlagen, bedenkt man endlich, daß die Fortbildung des Handelsrechts der
einzelnen Nation überhaupt nicht von der aller übrigen Völker zu trennen ist,
so ergibt es sich mit vollkommenster Gewißheit, daß das einheitliche deutsche
Handelsgesetzbuch innerhalb der kürzesten Frist von Deuteleien und willkürlichen
Auffassungen durch Gelehrte und durch Richter dermaßen angenagt sein wird,
daß kaum mehr als der Name bestehen bleiben kann. Man steht das schon
am Wechselrecht, dessen präcise und auf ein einzelnes Gebiet beschränkte Fassung
der Jnterpretationskunst so wenig Raum zu bieten scheint, sie wird aber in
einem allgemeinen Handelsrechte, und namentlich in einem unter Widerstreit
der Principien ausgearbeiteten Handelsrecht noch ganz andere Erfolge erringen.
Nur die Einheit des Rechtslebens durch eine gemeinsame Gerichtsverfassung
und eine gemeinsame höchste Instanz einerseits und dann durch ein bleibendes
Organ zur Fortbildung deS Rechts wird auch die Einheit deS Rechts aufrecht
erhalten können. Man kann es wahrlich den norddeutschen Staaten nicht ver¬
danken, daß wenn sie ein Handelsrecht auf sich eindringen sehen, das eine
Anzahl ihnen zum großen Theile unbekannter Beschränkungen auferlegt und
wenn sie auf die Fortbildung des Rechts verzichten müssen, sie ihr jetziges
gewohnheitsmäßiges flüssiges Recht dem neuen sofort zur Starrheit verurtheilten
oder willkürlich weginterpretirten Rechtsbuch vorziehen. Allerdings hat man
ihnen gegenüber, freilich sehr zur Unzeit, die Frage der deutschen Einheit er¬
hoben^ aber das Handelsrecht hat mit dieser nichts zu thun. Die deutsche


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nicht möglich. Wo ist das Organ dazu, oder läßt es sich auch nur denken,
daß sämmtliche deutsche Staaten sich ihrer sogenannten Justizhoheit vermaßen
entäußern, um Gerichte und Instanzenzug gleichmäßig ausgebildet einem höchsten
für ganz Deutschland eingesetzten Gerichtshof unbedingt und ohne Vorbehalt
unterzuordnen? Wir müßten die Eifersucht der großen, wie der kleinen und
kleinsten Staaten auf ihre Souveränetät schlecht kennen, um uns hierüber irgend
welchen Hoffnungen hinzugeben — und doch liegt in der bezeichneten Einrich¬
tung die einzige Möglichkeit der Erhaltung der Rechtsgemeinschaft Ein
Gesetzbuch abzufassen, das auch nur eine mäßige Zahl von neuen Streitfragen
nicht zur Folge hat, ist bisher nicht gelungen und wird auch nicht gelingen,
weil das Leben sich immer anders gestaltet, als der sorgfältigsten Voraussicht
es hätte beifallen können. Beim deutschen Handelsrechte wird die Sache aber
noch schwieriger, weil sich schon jetzt offenkundig im Congreß zwei Richtungen
bekämpfen. Die bureaukratisch-preußische und die freiere der Hansestädte, und
aller Wahrscheinlichkeit nach wird ein Kompromiß zwischen beiden Theilen, also
ein Gesetzbuch daraus hervorgehen, das nicht einmal eine innerlich folgerechte
Grundlage hat. Legt man dazu die Neuheit dieses selben Rechts in allen
deutschen Staaten, die Macht der Gewohnheit, den starren Eigensinn des ge¬
lehrten Bewußtseins, die Nothwendigkeit für den Handel, ihm unbequeme Fesseln
abzuschlagen, bedenkt man endlich, daß die Fortbildung des Handelsrechts der
einzelnen Nation überhaupt nicht von der aller übrigen Völker zu trennen ist,
so ergibt es sich mit vollkommenster Gewißheit, daß das einheitliche deutsche
Handelsgesetzbuch innerhalb der kürzesten Frist von Deuteleien und willkürlichen
Auffassungen durch Gelehrte und durch Richter dermaßen angenagt sein wird,
daß kaum mehr als der Name bestehen bleiben kann. Man steht das schon
am Wechselrecht, dessen präcise und auf ein einzelnes Gebiet beschränkte Fassung
der Jnterpretationskunst so wenig Raum zu bieten scheint, sie wird aber in
einem allgemeinen Handelsrechte, und namentlich in einem unter Widerstreit
der Principien ausgearbeiteten Handelsrecht noch ganz andere Erfolge erringen.
Nur die Einheit des Rechtslebens durch eine gemeinsame Gerichtsverfassung
und eine gemeinsame höchste Instanz einerseits und dann durch ein bleibendes
Organ zur Fortbildung deS Rechts wird auch die Einheit deS Rechts aufrecht
erhalten können. Man kann es wahrlich den norddeutschen Staaten nicht ver¬
danken, daß wenn sie ein Handelsrecht auf sich eindringen sehen, das eine
Anzahl ihnen zum großen Theile unbekannter Beschränkungen auferlegt und
wenn sie auf die Fortbildung des Rechts verzichten müssen, sie ihr jetziges
gewohnheitsmäßiges flüssiges Recht dem neuen sofort zur Starrheit verurtheilten
oder willkürlich weginterpretirten Rechtsbuch vorziehen. Allerdings hat man
ihnen gegenüber, freilich sehr zur Unzeit, die Frage der deutschen Einheit er¬
hoben^ aber das Handelsrecht hat mit dieser nichts zu thun. Die deutsche


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[0217] nicht möglich. Wo ist das Organ dazu, oder läßt es sich auch nur denken, daß sämmtliche deutsche Staaten sich ihrer sogenannten Justizhoheit vermaßen entäußern, um Gerichte und Instanzenzug gleichmäßig ausgebildet einem höchsten für ganz Deutschland eingesetzten Gerichtshof unbedingt und ohne Vorbehalt unterzuordnen? Wir müßten die Eifersucht der großen, wie der kleinen und kleinsten Staaten auf ihre Souveränetät schlecht kennen, um uns hierüber irgend welchen Hoffnungen hinzugeben — und doch liegt in der bezeichneten Einrich¬ tung die einzige Möglichkeit der Erhaltung der Rechtsgemeinschaft Ein Gesetzbuch abzufassen, das auch nur eine mäßige Zahl von neuen Streitfragen nicht zur Folge hat, ist bisher nicht gelungen und wird auch nicht gelingen, weil das Leben sich immer anders gestaltet, als der sorgfältigsten Voraussicht es hätte beifallen können. Beim deutschen Handelsrechte wird die Sache aber noch schwieriger, weil sich schon jetzt offenkundig im Congreß zwei Richtungen bekämpfen. Die bureaukratisch-preußische und die freiere der Hansestädte, und aller Wahrscheinlichkeit nach wird ein Kompromiß zwischen beiden Theilen, also ein Gesetzbuch daraus hervorgehen, das nicht einmal eine innerlich folgerechte Grundlage hat. Legt man dazu die Neuheit dieses selben Rechts in allen deutschen Staaten, die Macht der Gewohnheit, den starren Eigensinn des ge¬ lehrten Bewußtseins, die Nothwendigkeit für den Handel, ihm unbequeme Fesseln abzuschlagen, bedenkt man endlich, daß die Fortbildung des Handelsrechts der einzelnen Nation überhaupt nicht von der aller übrigen Völker zu trennen ist, so ergibt es sich mit vollkommenster Gewißheit, daß das einheitliche deutsche Handelsgesetzbuch innerhalb der kürzesten Frist von Deuteleien und willkürlichen Auffassungen durch Gelehrte und durch Richter dermaßen angenagt sein wird, daß kaum mehr als der Name bestehen bleiben kann. Man steht das schon am Wechselrecht, dessen präcise und auf ein einzelnes Gebiet beschränkte Fassung der Jnterpretationskunst so wenig Raum zu bieten scheint, sie wird aber in einem allgemeinen Handelsrechte, und namentlich in einem unter Widerstreit der Principien ausgearbeiteten Handelsrecht noch ganz andere Erfolge erringen. Nur die Einheit des Rechtslebens durch eine gemeinsame Gerichtsverfassung und eine gemeinsame höchste Instanz einerseits und dann durch ein bleibendes Organ zur Fortbildung deS Rechts wird auch die Einheit deS Rechts aufrecht erhalten können. Man kann es wahrlich den norddeutschen Staaten nicht ver¬ danken, daß wenn sie ein Handelsrecht auf sich eindringen sehen, das eine Anzahl ihnen zum großen Theile unbekannter Beschränkungen auferlegt und wenn sie auf die Fortbildung des Rechts verzichten müssen, sie ihr jetziges gewohnheitsmäßiges flüssiges Recht dem neuen sofort zur Starrheit verurtheilten oder willkürlich weginterpretirten Rechtsbuch vorziehen. Allerdings hat man ihnen gegenüber, freilich sehr zur Unzeit, die Frage der deutschen Einheit er¬ hoben^ aber das Handelsrecht hat mit dieser nichts zu thun. Die deutsche Grenzboten II. -I8ü7. 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/217>, abgerufen am 01.09.2024.