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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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bunteren Reiche des Nordens sich aussprachen. Bei Bernstorffs Ableben 1797
ertönte eine Klage, die am Grabe deS v. Scheel sich nicht wird hören lassen:


Die Eiche fiel, in deren weiten Schatten
Dan, Nor und Svea, Hand in Hand
Umschlungen von der festen Eintracht Band,
Im Sturm Europas, jubelnd Ruhe fanden. --

Mehr als ein halbes Jahrhundert ist seitdem verflossen, und welche Zeit!
Schlag auf Schlag folgten sich die Kennzeichen, die es nachweisen, daß das
Bewußtsein von der nahen Verwandtschaft erst jetzt recht geklärt ist unter den
Bewohnern der drei nordischen Reiche. Wenn nun, trotz aller dieser Zeichen
ein dänischer Minister deS Auswärtigen im Jahre 1857 mit ganz entgegen¬
gesetzten Behauptungen auftritt vor den europäischen Cabineten, so ist dies,
gelinde ausgedrückt, überraschend. Die treue Verbindung zwischen Norwegen
und Dänemark bestand während vier Jahrhunderten, ungeachtet der nationalen
Verschiedenheit, die Verbindung Norwegens mit Schweden trägt denselben
Charakter treuen Zusammenhaltens, gleichfalls ungeachtet nationaler Verschie¬
denheiten! Eine Behauptung, die in entgegengesetzter Richtung steht, muß offen¬
bar von der Persönlichkeit deS Mannes, der sie aufgestellt, ihr Gewicht leihen;
woher indessen sollte der Name v. Scheel dies Gewicht beziehen? Ist denn
v- Scheele so bewandert in Dänemark, wie er es in Deutschland sein mag?
Hat er seinen Fuß nach Norwegen und Schweden gesetzt? oder hat er die Ge¬
schichte und die Sprache des nordischen Volks zum Gegenstande seiner Studien
gemacht, um eine auch nur entfernt begründete Meinung über die nationalen
Eigenthümlichkeiten der drei Völker zu besitzen, über ihre verbindende oder
trennende Macht? Was könnte solchen Aeußerungen auch nur daS schwächste Ge¬
präge der Zuverlässigkeit verleihen? Wenn der nordische und dänische Mann mit
seiner eignen Sprache Schwedens ausgedehnte Strecken bereisen kann, während er
kaum an die Eider zu gelangen vermag, ohne aus seine Sprache verzichten zu müssen
~- da bedarf es weiter keines Beweises für geistige Verwandtschaft und Sym¬
pathie; keines weiteren Beweises, daß die Thorheit der Politik getrennt hat,
was die Weisheit der Vorsehung verbunden sehen wollte. "Dummheit und
Mißtrauen und ein unnordischeS Königsgeschlecht auf dem skandinavischen
Throne (der pommersche Erich, der baierische Christoph, der oldenburgische
Christian I.) zerbrach den nordischen Bund in der Wiege, der, hätte er das
Mannesalter erreicht, mehr als einmal von späteren Geschlechtern gesegnet
worden wäre; all das Blut, das auf Schoonens und Dänemarks Ebenen
geflossen und Norwegens Klippen gefärbt hat, wäre dem Norden erspart wor¬
den.- So hieß es in einem 1810 auf Antrieb der dänischen Negierung er¬
schienenen Manifest; und ferner: "Für einen Nordländer, ist es unmöglich, an
diese Union zu denken, ohne daß das Blut rascher pulsirt." Wie kann der


Grenzboten. II. 4867. . > 22

bunteren Reiche des Nordens sich aussprachen. Bei Bernstorffs Ableben 1797
ertönte eine Klage, die am Grabe deS v. Scheel sich nicht wird hören lassen:


Die Eiche fiel, in deren weiten Schatten
Dan, Nor und Svea, Hand in Hand
Umschlungen von der festen Eintracht Band,
Im Sturm Europas, jubelnd Ruhe fanden. —

Mehr als ein halbes Jahrhundert ist seitdem verflossen, und welche Zeit!
Schlag auf Schlag folgten sich die Kennzeichen, die es nachweisen, daß das
Bewußtsein von der nahen Verwandtschaft erst jetzt recht geklärt ist unter den
Bewohnern der drei nordischen Reiche. Wenn nun, trotz aller dieser Zeichen
ein dänischer Minister deS Auswärtigen im Jahre 1857 mit ganz entgegen¬
gesetzten Behauptungen auftritt vor den europäischen Cabineten, so ist dies,
gelinde ausgedrückt, überraschend. Die treue Verbindung zwischen Norwegen
und Dänemark bestand während vier Jahrhunderten, ungeachtet der nationalen
Verschiedenheit, die Verbindung Norwegens mit Schweden trägt denselben
Charakter treuen Zusammenhaltens, gleichfalls ungeachtet nationaler Verschie¬
denheiten! Eine Behauptung, die in entgegengesetzter Richtung steht, muß offen¬
bar von der Persönlichkeit deS Mannes, der sie aufgestellt, ihr Gewicht leihen;
woher indessen sollte der Name v. Scheel dies Gewicht beziehen? Ist denn
v- Scheele so bewandert in Dänemark, wie er es in Deutschland sein mag?
Hat er seinen Fuß nach Norwegen und Schweden gesetzt? oder hat er die Ge¬
schichte und die Sprache des nordischen Volks zum Gegenstande seiner Studien
gemacht, um eine auch nur entfernt begründete Meinung über die nationalen
Eigenthümlichkeiten der drei Völker zu besitzen, über ihre verbindende oder
trennende Macht? Was könnte solchen Aeußerungen auch nur daS schwächste Ge¬
präge der Zuverlässigkeit verleihen? Wenn der nordische und dänische Mann mit
seiner eignen Sprache Schwedens ausgedehnte Strecken bereisen kann, während er
kaum an die Eider zu gelangen vermag, ohne aus seine Sprache verzichten zu müssen
~- da bedarf es weiter keines Beweises für geistige Verwandtschaft und Sym¬
pathie; keines weiteren Beweises, daß die Thorheit der Politik getrennt hat,
was die Weisheit der Vorsehung verbunden sehen wollte. „Dummheit und
Mißtrauen und ein unnordischeS Königsgeschlecht auf dem skandinavischen
Throne (der pommersche Erich, der baierische Christoph, der oldenburgische
Christian I.) zerbrach den nordischen Bund in der Wiege, der, hätte er das
Mannesalter erreicht, mehr als einmal von späteren Geschlechtern gesegnet
worden wäre; all das Blut, das auf Schoonens und Dänemarks Ebenen
geflossen und Norwegens Klippen gefärbt hat, wäre dem Norden erspart wor¬
den.- So hieß es in einem 1810 auf Antrieb der dänischen Negierung er¬
schienenen Manifest; und ferner: „Für einen Nordländer, ist es unmöglich, an
diese Union zu denken, ohne daß das Blut rascher pulsirt." Wie kann der


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[0177] bunteren Reiche des Nordens sich aussprachen. Bei Bernstorffs Ableben 1797 ertönte eine Klage, die am Grabe deS v. Scheel sich nicht wird hören lassen: Die Eiche fiel, in deren weiten Schatten Dan, Nor und Svea, Hand in Hand Umschlungen von der festen Eintracht Band, Im Sturm Europas, jubelnd Ruhe fanden. — Mehr als ein halbes Jahrhundert ist seitdem verflossen, und welche Zeit! Schlag auf Schlag folgten sich die Kennzeichen, die es nachweisen, daß das Bewußtsein von der nahen Verwandtschaft erst jetzt recht geklärt ist unter den Bewohnern der drei nordischen Reiche. Wenn nun, trotz aller dieser Zeichen ein dänischer Minister deS Auswärtigen im Jahre 1857 mit ganz entgegen¬ gesetzten Behauptungen auftritt vor den europäischen Cabineten, so ist dies, gelinde ausgedrückt, überraschend. Die treue Verbindung zwischen Norwegen und Dänemark bestand während vier Jahrhunderten, ungeachtet der nationalen Verschiedenheit, die Verbindung Norwegens mit Schweden trägt denselben Charakter treuen Zusammenhaltens, gleichfalls ungeachtet nationaler Verschie¬ denheiten! Eine Behauptung, die in entgegengesetzter Richtung steht, muß offen¬ bar von der Persönlichkeit deS Mannes, der sie aufgestellt, ihr Gewicht leihen; woher indessen sollte der Name v. Scheel dies Gewicht beziehen? Ist denn v- Scheele so bewandert in Dänemark, wie er es in Deutschland sein mag? Hat er seinen Fuß nach Norwegen und Schweden gesetzt? oder hat er die Ge¬ schichte und die Sprache des nordischen Volks zum Gegenstande seiner Studien gemacht, um eine auch nur entfernt begründete Meinung über die nationalen Eigenthümlichkeiten der drei Völker zu besitzen, über ihre verbindende oder trennende Macht? Was könnte solchen Aeußerungen auch nur daS schwächste Ge¬ präge der Zuverlässigkeit verleihen? Wenn der nordische und dänische Mann mit seiner eignen Sprache Schwedens ausgedehnte Strecken bereisen kann, während er kaum an die Eider zu gelangen vermag, ohne aus seine Sprache verzichten zu müssen ~- da bedarf es weiter keines Beweises für geistige Verwandtschaft und Sym¬ pathie; keines weiteren Beweises, daß die Thorheit der Politik getrennt hat, was die Weisheit der Vorsehung verbunden sehen wollte. „Dummheit und Mißtrauen und ein unnordischeS Königsgeschlecht auf dem skandinavischen Throne (der pommersche Erich, der baierische Christoph, der oldenburgische Christian I.) zerbrach den nordischen Bund in der Wiege, der, hätte er das Mannesalter erreicht, mehr als einmal von späteren Geschlechtern gesegnet worden wäre; all das Blut, das auf Schoonens und Dänemarks Ebenen geflossen und Norwegens Klippen gefärbt hat, wäre dem Norden erspart wor¬ den.- So hieß es in einem 1810 auf Antrieb der dänischen Negierung er¬ schienenen Manifest; und ferner: „Für einen Nordländer, ist es unmöglich, an diese Union zu denken, ohne daß das Blut rascher pulsirt." Wie kann der Grenzboten. II. 4867. . > 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/177>, abgerufen am 28.07.2024.