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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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findet! Die ganze Welt weiß es, daß Schwedens und Norwegens politische
Verbindung keinen Abbruch durch die "geringe Harmonie" erlitten hat, die
unleugbar zwischen der Verfassung dieser beiden Königreiche besteht; und eS
liegt ja grade im Begriff der Union, daß jeder Unionöstaat sich in voller kon¬
stitutioneller Selbstständigkeit bewege. Auch von anderer Seite scheint eS mi߬
lich -- wenig diplomatisch und wohlerwogen -- eine Versassungsharmonie als
Bedingung für eine natürliche und haltbare politische Vereinigung hervor¬
zuziehen. Drängt sich nicht die Anwendung auf unsere eignen Verhältnisse
sofort einem jedem auf? Welches Horoscop stellt denn diese Theorie der
Gesammtverfassung? Zwischen der Verfassung des Königreichs und der des
deutschen Bundes besteht eine äußerst geringe Harmonie; in der Bundesver¬
fassung liegt das Modell, wonach Holsteins und Lauenburgs Verfassung zuge¬
schnitten werden muß. Gott sei Dank, daß diese Scheere nur bis zur Eider
schneidet. Wenn nun eine Union zwischen den nordischen Staaten an dem
"Natürlichen Hinderniß" der NerfassungSverschiedenheit stranden soll, welche
Zweifel muß dann nicht die diplomatische Note an eine Verfassung hervorrufen,
die nicht ein Unionsverhältniß, sondern eine Staats einheit durchführen will
Zwischen den Theilen der dänischen Monarchie nördlich und südlich von der
Eider! ?

DaS fernere "natürliche Hinderniß" soll in unzähligen Nationaleigen¬
thümlichkeiten liegen, die man freilich nicht sofort gewahr wird, die jedoch un¬
fehlbar sich geltend machen, wenn es gilt, die Idee praktisch ins Leben einzu¬
führen. König Friedrich VI. bewarb sich am 18. Juli 1810 in einem eigen-
händigen Briefe an Karl XIII. um die schwedische Krone, und schrieb folgendes:
"In Betracht der kritischen Umstände, in denen die nordischen Reiche überhaupt
und vornehmlich das Reich sich befindet, welches durch Ew. Majestät väter¬
liche Fürsorge und Einsicht aus so außerordentlichen Gefahren errettet worden,
wende ich mich an Ew. Majestät mit der Freimüthigkeit, die mir natürlich ist,
und mit dem Vertrauen, womit sie mich beseelt, um vor Ew. Majestät, als
dem Vater seines Volks und einem Fürsten, der aus demselben Stamme, wie
^ selbst, entsprungen, zu entwickeln, wie ich für die Nationen, die wir regie¬
ren und die wir glücklich zu machen wünschen, eine Rettung nur in der innig¬
sten gegenseitigen Verbindung zu erblicken vermag; ich wage mir zu schmeicheln,
daß Ew. Majestät diese Ueberzeugung theilen. Sie kennen die Geschichte deS
Nordens zu gut, um nicht zu wissen, daß der Mangel einer Union zwischen
Nationen, die so manche Stammähnlichkeiten besitzen, dieselbe
Religion, ursprünglich dieselbe Sprache, fast gleiche Sitten und
Gebräuche, der Grund zu ihrem Unglück, zu ihrer Schwäche gewesen ist.
Auf Einzelheiten brauche ich daher nicht einzugehen, um Ew. Majestät zu
überzeugen, daß Sie Ihren Namen unsterblich machen und daß die kommenden


findet! Die ganze Welt weiß es, daß Schwedens und Norwegens politische
Verbindung keinen Abbruch durch die „geringe Harmonie" erlitten hat, die
unleugbar zwischen der Verfassung dieser beiden Königreiche besteht; und eS
liegt ja grade im Begriff der Union, daß jeder Unionöstaat sich in voller kon¬
stitutioneller Selbstständigkeit bewege. Auch von anderer Seite scheint eS mi߬
lich — wenig diplomatisch und wohlerwogen — eine Versassungsharmonie als
Bedingung für eine natürliche und haltbare politische Vereinigung hervor¬
zuziehen. Drängt sich nicht die Anwendung auf unsere eignen Verhältnisse
sofort einem jedem auf? Welches Horoscop stellt denn diese Theorie der
Gesammtverfassung? Zwischen der Verfassung des Königreichs und der des
deutschen Bundes besteht eine äußerst geringe Harmonie; in der Bundesver¬
fassung liegt das Modell, wonach Holsteins und Lauenburgs Verfassung zuge¬
schnitten werden muß. Gott sei Dank, daß diese Scheere nur bis zur Eider
schneidet. Wenn nun eine Union zwischen den nordischen Staaten an dem
"Natürlichen Hinderniß" der NerfassungSverschiedenheit stranden soll, welche
Zweifel muß dann nicht die diplomatische Note an eine Verfassung hervorrufen,
die nicht ein Unionsverhältniß, sondern eine Staats einheit durchführen will
Zwischen den Theilen der dänischen Monarchie nördlich und südlich von der
Eider! ?

DaS fernere „natürliche Hinderniß" soll in unzähligen Nationaleigen¬
thümlichkeiten liegen, die man freilich nicht sofort gewahr wird, die jedoch un¬
fehlbar sich geltend machen, wenn es gilt, die Idee praktisch ins Leben einzu¬
führen. König Friedrich VI. bewarb sich am 18. Juli 1810 in einem eigen-
händigen Briefe an Karl XIII. um die schwedische Krone, und schrieb folgendes:
"In Betracht der kritischen Umstände, in denen die nordischen Reiche überhaupt
und vornehmlich das Reich sich befindet, welches durch Ew. Majestät väter¬
liche Fürsorge und Einsicht aus so außerordentlichen Gefahren errettet worden,
wende ich mich an Ew. Majestät mit der Freimüthigkeit, die mir natürlich ist,
und mit dem Vertrauen, womit sie mich beseelt, um vor Ew. Majestät, als
dem Vater seines Volks und einem Fürsten, der aus demselben Stamme, wie
^ selbst, entsprungen, zu entwickeln, wie ich für die Nationen, die wir regie¬
ren und die wir glücklich zu machen wünschen, eine Rettung nur in der innig¬
sten gegenseitigen Verbindung zu erblicken vermag; ich wage mir zu schmeicheln,
daß Ew. Majestät diese Ueberzeugung theilen. Sie kennen die Geschichte deS
Nordens zu gut, um nicht zu wissen, daß der Mangel einer Union zwischen
Nationen, die so manche Stammähnlichkeiten besitzen, dieselbe
Religion, ursprünglich dieselbe Sprache, fast gleiche Sitten und
Gebräuche, der Grund zu ihrem Unglück, zu ihrer Schwäche gewesen ist.
Auf Einzelheiten brauche ich daher nicht einzugehen, um Ew. Majestät zu
überzeugen, daß Sie Ihren Namen unsterblich machen und daß die kommenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/175>, abgerufen am 28.07.2024.