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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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kündeten, gründete sich nicht auf die klare Anschauung eines bestimmten
Zwecks, nicht aus das Vollgefühl der eignen und fremden Kräfte, die zu dem
großen Kriege aufgeboten werden sollten, sondern hauptsächlich aus die letzten
Resultate einer Arbeit, an der sie selbst keinen Theil genommen hatten, durch
die sie aber mit leichter Mühe alle Hindernisse aus dem Wege räumen zu
können glaubten. Es war aus dem Nebelgebiet der hegelschen Metaphysik
allmälig eine Propaganda hervorgegangen, die sich der Masse bemächtigte und
ihr einzelne sehr handliche Stichwörter zur Verfügung stellte, durch die man
alles Unmögliche sofort in Wirklichkeit übersetzen konnte. Einer der beredtesten
Vorfechter dieser populären Periode versicherte damals im vollen Ernst, die
Kanonen, mit denen man Zwingburgen zertrümmern wolle, müßten mit Ideen
geladen sein: eine Erfindung, aus welche die Freiheitssänger von -1813 in der
That noch nicht gekommen waren. Diese Anwendung der Abstraction Ms das con-
crete Leben zeigte sich auch in der politischen Poesie jener Tage. Die allge¬
meine Frage, ob diese Spielart berechtigt sei, eine Frage, die, wenn wir nicht
irren, von Prutz selbst in spätern Jahren mit Nein beantwortet ist, wird
durch die Erfahrung anders entschieden. Wir kennen einige Gedichte von
E. M. Arndt, die länger fortleben werden, als irgend ein Gedicht dieses
Jahrhunderts. Allein wenn die Politik poetisch betrachtet werden soll, so
muß es in sehr starken Farben, in sehr deutlichen Linien und mit einem sehr
sichern Selbstgefühl geschehen. Die Poesie muß uns Anschauungen geben,
nicht Raisonnements, denn in der letztern Beziehung kann sie mit der Publi-
cistik nicht wetteisern. Fragt man daher, welche Strophen aus jener Zeit den
meisten Eindruck gemacht haben, so sind es offenbar jene, wo Herwegh daS
Volk aufforderte, die Kreuze aus der Erde zu reißen und damit um sich zu
schlagen, wo er dem König von Preußen versicherte, die Jugend verzehre sich
in Gluten eines Meleager, er möge sie daher ins Feld führen, gleichviel gegen
wen, gegen die Franzosen oder gegen die Nüssen, und Aehnliches. Diese
Bilder, durch scharf pointirte Reime dem Gedächtniß eingeprägt, gingen von
Mund zu Mund. Dagegen erregten diejenigen Dichter, deren Kanonen in
der That mit Ideen geladen waren, nur vorübergehend die Aufmerksamkeit des
Publicums, und mit Recht; denn in der großartigen Dialektik der frühern
Philosophie konnten jene Ideen wol ein starkes Gemüth mächtig ergreifen; aber
die Dichter gaben von ihnen nichts als die Namen und einige Symbole, im Uebri-
gen behandelten sie die Freiheit grade so wie früher die Herzensangelegenheiten;
sie sagten von ihnen allerlei artige Dinge aus, und glaubten sich durch die
Gesinnung, durch das Glaubensbekenntniß vollkommen gerechtfertigt. Aber
die Form der Stimmung paßt doch viel besser für jene individuellen unmittel¬
baren Regungen, in denen man auch die träumerische Form gelten läßt, weil
man ihre Spur doch immer bis zum innern Nervengeflecht des Gemüths ver-


kündeten, gründete sich nicht auf die klare Anschauung eines bestimmten
Zwecks, nicht aus das Vollgefühl der eignen und fremden Kräfte, die zu dem
großen Kriege aufgeboten werden sollten, sondern hauptsächlich aus die letzten
Resultate einer Arbeit, an der sie selbst keinen Theil genommen hatten, durch
die sie aber mit leichter Mühe alle Hindernisse aus dem Wege räumen zu
können glaubten. Es war aus dem Nebelgebiet der hegelschen Metaphysik
allmälig eine Propaganda hervorgegangen, die sich der Masse bemächtigte und
ihr einzelne sehr handliche Stichwörter zur Verfügung stellte, durch die man
alles Unmögliche sofort in Wirklichkeit übersetzen konnte. Einer der beredtesten
Vorfechter dieser populären Periode versicherte damals im vollen Ernst, die
Kanonen, mit denen man Zwingburgen zertrümmern wolle, müßten mit Ideen
geladen sein: eine Erfindung, aus welche die Freiheitssänger von -1813 in der
That noch nicht gekommen waren. Diese Anwendung der Abstraction Ms das con-
crete Leben zeigte sich auch in der politischen Poesie jener Tage. Die allge¬
meine Frage, ob diese Spielart berechtigt sei, eine Frage, die, wenn wir nicht
irren, von Prutz selbst in spätern Jahren mit Nein beantwortet ist, wird
durch die Erfahrung anders entschieden. Wir kennen einige Gedichte von
E. M. Arndt, die länger fortleben werden, als irgend ein Gedicht dieses
Jahrhunderts. Allein wenn die Politik poetisch betrachtet werden soll, so
muß es in sehr starken Farben, in sehr deutlichen Linien und mit einem sehr
sichern Selbstgefühl geschehen. Die Poesie muß uns Anschauungen geben,
nicht Raisonnements, denn in der letztern Beziehung kann sie mit der Publi-
cistik nicht wetteisern. Fragt man daher, welche Strophen aus jener Zeit den
meisten Eindruck gemacht haben, so sind es offenbar jene, wo Herwegh daS
Volk aufforderte, die Kreuze aus der Erde zu reißen und damit um sich zu
schlagen, wo er dem König von Preußen versicherte, die Jugend verzehre sich
in Gluten eines Meleager, er möge sie daher ins Feld führen, gleichviel gegen
wen, gegen die Franzosen oder gegen die Nüssen, und Aehnliches. Diese
Bilder, durch scharf pointirte Reime dem Gedächtniß eingeprägt, gingen von
Mund zu Mund. Dagegen erregten diejenigen Dichter, deren Kanonen in
der That mit Ideen geladen waren, nur vorübergehend die Aufmerksamkeit des
Publicums, und mit Recht; denn in der großartigen Dialektik der frühern
Philosophie konnten jene Ideen wol ein starkes Gemüth mächtig ergreifen; aber
die Dichter gaben von ihnen nichts als die Namen und einige Symbole, im Uebri-
gen behandelten sie die Freiheit grade so wie früher die Herzensangelegenheiten;
sie sagten von ihnen allerlei artige Dinge aus, und glaubten sich durch die
Gesinnung, durch das Glaubensbekenntniß vollkommen gerechtfertigt. Aber
die Form der Stimmung paßt doch viel besser für jene individuellen unmittel¬
baren Regungen, in denen man auch die träumerische Form gelten läßt, weil
man ihre Spur doch immer bis zum innern Nervengeflecht des Gemüths ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/12>, abgerufen am 01.09.2024.