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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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historischen Arbeit, die ihm mehr als irgend eine seiner frühern am Herzen
lag, die Geschichte der Entstehung und Entwicklung des dritten
Standes. Das Werk erschien zu Anfang des Jahres -1853, freilich nur
bis zum Tode Ludwigs XlV. fortgeführt, und wurde von der Akademie gekrönt.
Es zeigt sich in ihm die Neigung der französischen Schriftsteller, die gegebenen
Thatsachen mit einem schnellen Ueberblick in eine logische Ordnung zu fügen;
eine Neigung, die mit unsern geschichtsphilosophischcn Speculationen in Zu¬
sammenhang steht, obgleich sie ein ganz anderes Aussehn hat. Metaphysische
Kategorien in die Geschichtschreibung einzuführen, fällt den Franzosen nicht
mi; desto schneller sind sie bei der Hand, namentlich wo es sich um ihre eigne
Nation handelt, einen stetigen Fortschritt zum Bessern anzunehmen und zu
diesem Zweck nicht selten den Thatsachen Gewalt anzuthun. Dieser Optimis¬
mus, der in der Geschichte der Revolution von Mignet das natürliche mora¬
lische Gefühl des wohlgesinnten Schriftstellers zuweilen verdunkelt, wurde in
der Geschichte des Bürgerstandes bis zum Jahr 1848 scheinbar durch den Er-
f"ig gerechtfertigt. Trotz der Anfeindungen von Seiten der Reaction und des
Socialismus hatte der Bürgerstand Schritt für Schritt an Terrain gewonnen,
und wenn auch die Julidynastie keineswegs alle Anforderungen der Fortschritts¬
partei befriedigte, so konnte man doch annehmen, daß von nun an in ruhiger
Entwicklung ohne irgend eine Gewaltthat die Sache ihren natürlichen Gang
fortgehen werde. Nun brach aber die Februarrevolution aus, und es zeigte
sich, daß der Bürgerstand für sich allein unfähig war, die drohende Anarchie
on bändigen. Der'Staat fiel dem Militär in die Hände, fast ohne Wider¬
stand, und das scheinbar allmächtige Bürgerthum mußte, um seinen alten
Standpunkt wiederzugewinnen, da anfangen, wo es im Beginn dieses Jahr¬
hunderts stehen geblieben war. Das Ereigniß machte die bisherige Rechnung
des Optimismus sehr zweifelhaft. Auch Thierry wurde stark betroffen und
gab es auf, seine Geschichte weiterzuführen, die er mit der freudigen Hoffnung,
Mit der er das Werk unternahm, nicht schließen konnte. Grade bei der feinen
und geistreichen Arbeit ist es nothwendig, um seine Rechnungsfehler zu con-
troliren, die Arbeiten der gleichzeitigen Schriftsteller, deren Tendenz der Eini¬
gen widerspricht, ins Auge zu fassen, namentlich die Studien von Tocque-
ville und Raudot. Während Thierry mit der leitenden Tendenz der fran¬
zösischen Geschichte, den Staat zu centralisiren und die locale Autonomie auf¬
zuheben, sich im Wesentlichen einverstanden erklärt, suchen diese Männer im
Gegentheil nachzuweisen, daß grade diese Tendenz den Ruin der Freiheit ent-


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lag, die Geschichte der Entstehung und Entwicklung des dritten
Standes. Das Werk erschien zu Anfang des Jahres -1853, freilich nur
bis zum Tode Ludwigs XlV. fortgeführt, und wurde von der Akademie gekrönt.
Es zeigt sich in ihm die Neigung der französischen Schriftsteller, die gegebenen
Thatsachen mit einem schnellen Ueberblick in eine logische Ordnung zu fügen;
eine Neigung, die mit unsern geschichtsphilosophischcn Speculationen in Zu¬
sammenhang steht, obgleich sie ein ganz anderes Aussehn hat. Metaphysische
Kategorien in die Geschichtschreibung einzuführen, fällt den Franzosen nicht
mi; desto schneller sind sie bei der Hand, namentlich wo es sich um ihre eigne
Nation handelt, einen stetigen Fortschritt zum Bessern anzunehmen und zu
diesem Zweck nicht selten den Thatsachen Gewalt anzuthun. Dieser Optimis¬
mus, der in der Geschichte der Revolution von Mignet das natürliche mora¬
lische Gefühl des wohlgesinnten Schriftstellers zuweilen verdunkelt, wurde in
der Geschichte des Bürgerstandes bis zum Jahr 1848 scheinbar durch den Er-
f"ig gerechtfertigt. Trotz der Anfeindungen von Seiten der Reaction und des
Socialismus hatte der Bürgerstand Schritt für Schritt an Terrain gewonnen,
und wenn auch die Julidynastie keineswegs alle Anforderungen der Fortschritts¬
partei befriedigte, so konnte man doch annehmen, daß von nun an in ruhiger
Entwicklung ohne irgend eine Gewaltthat die Sache ihren natürlichen Gang
fortgehen werde. Nun brach aber die Februarrevolution aus, und es zeigte
sich, daß der Bürgerstand für sich allein unfähig war, die drohende Anarchie
on bändigen. Der'Staat fiel dem Militär in die Hände, fast ohne Wider¬
stand, und das scheinbar allmächtige Bürgerthum mußte, um seinen alten
Standpunkt wiederzugewinnen, da anfangen, wo es im Beginn dieses Jahr¬
hunderts stehen geblieben war. Das Ereigniß machte die bisherige Rechnung
des Optimismus sehr zweifelhaft. Auch Thierry wurde stark betroffen und
gab es auf, seine Geschichte weiterzuführen, die er mit der freudigen Hoffnung,
Mit der er das Werk unternahm, nicht schließen konnte. Grade bei der feinen
und geistreichen Arbeit ist es nothwendig, um seine Rechnungsfehler zu con-
troliren, die Arbeiten der gleichzeitigen Schriftsteller, deren Tendenz der Eini¬
gen widerspricht, ins Auge zu fassen, namentlich die Studien von Tocque-
ville und Raudot. Während Thierry mit der leitenden Tendenz der fran¬
zösischen Geschichte, den Staat zu centralisiren und die locale Autonomie auf¬
zuheben, sich im Wesentlichen einverstanden erklärt, suchen diese Männer im
Gegentheil nachzuweisen, daß grade diese Tendenz den Ruin der Freiheit ent-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/99>, abgerufen am 23.07.2024.