Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.weder schon herbeigeführt hat, oder ihn wenigstens sicher nach sich ziehen muß, Thierry stellt sich auf den Standpunkt von Sieyes. Für ihn ist das weder schon herbeigeführt hat, oder ihn wenigstens sicher nach sich ziehen muß, Thierry stellt sich auf den Standpunkt von Sieyes. Für ihn ist das <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0100" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103233"/> <p xml:id="ID_295" prev="#ID_294"> weder schon herbeigeführt hat, oder ihn wenigstens sicher nach sich ziehen muß,<lb/> wenn man nicht schnell den entgegengesetzten Weg einschlägt und den Staat<lb/> wieder decentralisirt. Ein anderer, sehr interessanter Schriftsteller, der von<lb/> beiden abweicht und durch aristokratische Sympathien bestimmt wird, ist Louis<lb/> de Carncz. Er begann in der Revue des dem mondes 183S mit einer<lb/> Reihe politischer Artikel über die Parteien seit der Julirevolution. Es folgten<lb/> 1839 die Briefe über die Natur und die Bedingungen der Repräsentativregie¬<lb/> rung in Frankreich, und 1850—1863 das Werk über die Bourgeoisie und die<lb/> französische Revolution, welches die Geschichte von 1789 — 1830 verfolgte.<lb/> Wenn man Anstand nehmen muß, seinen politischen Principien beizutreten,<lb/> so verdient seine Kritik der Fehler, welche sich das Bürgerthum bei seinem<lb/> Streben nach Alleinherrschaft hat zu Schulden kommen lassen, alle Anerken¬<lb/> nung, und auch seine Gegner können von ihm lernen.</p><lb/> <p xml:id="ID_296" next="#ID_297"> Thierry stellt sich auf den Standpunkt von Sieyes. Für ihn ist das<lb/> Bürgerthum oder die Bourgeoisie nicht, wie bei den reactionären und socia¬<lb/> listischen Schriftstellern der vierziger Jahre, eine Mittelclasse zwischen dem Adel<lb/> und dem eigentlichen Volk, sondern die Nation selbst mit Ausnahme des Adels<lb/> und der Geistlichkeit. Die Ausdrücke Bourgeoisie und Rotüre fallen bei ihm<lb/> zusammen. Seine Aufgabe beschränkt sich nicht auf die Geschichte der Städte,<lb/> sondern sie umfaßt ebenso die Bauern, die Leibeigenen und die andern unter-<lb/> drückten Classen, die erst allmälig nach der fränkischen Eroberung sich wieder<lb/> zu einem selbstständigen Dasein kräftigem. In Bezug auf die älteste Geschichte<lb/> unterscheidet er sich von seinen Vorgängern dadurch, daß er die b,eiden Quellen<lb/> für das Gedeihen des Bürgerthums, die Fortdauer des Municipalwcsens und<lb/> die königliche Verleihung als minder bedeutend darstellt und den Fortschritt<lb/> vorzugsweise dem Freiheitskampf der Städte zuschreibt. — Zuerst hat die<lb/> Kirche segensreich auf die allmälige Emancipation der Unterdrückten eingewirkt.<lb/> Sie hat aus der Sklaverei allmälig die Hörigkeit gemacht und durch Milderung<lb/> der Sitten, so wie durch Ausrichtung von Asylen die herrschende Barbarei<lb/> mehr und mehr zurückgedrängt. Während die freien Besitzer in die Gewalt des<lb/> Lehnswesens verfielen, erhoben sich die auf irgend einem Stück Grundbesitzes<lb/> ansässigen und dem unbeweglichen Eigenthum einverleibten Sklaven unter dem<lb/> Schutz dieser festen Position zu einer Stellung, in der sie sich mit den ur¬<lb/> sprünglich Freien begegneten. Auf diese Weise wurde auf dem Lande eine<lb/> neue Aufgabe socialer Schöpfung vollführt, während die Städte stationär<lb/> blieben oder dem Verfall entgegengingen. Auf jedem großen Gute von gün¬<lb/> stiger Ertragsfähigkeit vermehrten sich die nach dem Bedürfniß und der Be¬<lb/> quemlichkeit gruppirten Hütten der Arbeiter, bis sie einen Weiler bildeten.<lb/> Wenn diese Weiler in günstiger Position, in der Nähe eines fließenden Wassers,<lb/> an irgend einer Straßenverzweigung gelegen waren, fuhren sie fort, sich zu</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0100]
weder schon herbeigeführt hat, oder ihn wenigstens sicher nach sich ziehen muß,
wenn man nicht schnell den entgegengesetzten Weg einschlägt und den Staat
wieder decentralisirt. Ein anderer, sehr interessanter Schriftsteller, der von
beiden abweicht und durch aristokratische Sympathien bestimmt wird, ist Louis
de Carncz. Er begann in der Revue des dem mondes 183S mit einer
Reihe politischer Artikel über die Parteien seit der Julirevolution. Es folgten
1839 die Briefe über die Natur und die Bedingungen der Repräsentativregie¬
rung in Frankreich, und 1850—1863 das Werk über die Bourgeoisie und die
französische Revolution, welches die Geschichte von 1789 — 1830 verfolgte.
Wenn man Anstand nehmen muß, seinen politischen Principien beizutreten,
so verdient seine Kritik der Fehler, welche sich das Bürgerthum bei seinem
Streben nach Alleinherrschaft hat zu Schulden kommen lassen, alle Anerken¬
nung, und auch seine Gegner können von ihm lernen.
Thierry stellt sich auf den Standpunkt von Sieyes. Für ihn ist das
Bürgerthum oder die Bourgeoisie nicht, wie bei den reactionären und socia¬
listischen Schriftstellern der vierziger Jahre, eine Mittelclasse zwischen dem Adel
und dem eigentlichen Volk, sondern die Nation selbst mit Ausnahme des Adels
und der Geistlichkeit. Die Ausdrücke Bourgeoisie und Rotüre fallen bei ihm
zusammen. Seine Aufgabe beschränkt sich nicht auf die Geschichte der Städte,
sondern sie umfaßt ebenso die Bauern, die Leibeigenen und die andern unter-
drückten Classen, die erst allmälig nach der fränkischen Eroberung sich wieder
zu einem selbstständigen Dasein kräftigem. In Bezug auf die älteste Geschichte
unterscheidet er sich von seinen Vorgängern dadurch, daß er die b,eiden Quellen
für das Gedeihen des Bürgerthums, die Fortdauer des Municipalwcsens und
die königliche Verleihung als minder bedeutend darstellt und den Fortschritt
vorzugsweise dem Freiheitskampf der Städte zuschreibt. — Zuerst hat die
Kirche segensreich auf die allmälige Emancipation der Unterdrückten eingewirkt.
Sie hat aus der Sklaverei allmälig die Hörigkeit gemacht und durch Milderung
der Sitten, so wie durch Ausrichtung von Asylen die herrschende Barbarei
mehr und mehr zurückgedrängt. Während die freien Besitzer in die Gewalt des
Lehnswesens verfielen, erhoben sich die auf irgend einem Stück Grundbesitzes
ansässigen und dem unbeweglichen Eigenthum einverleibten Sklaven unter dem
Schutz dieser festen Position zu einer Stellung, in der sie sich mit den ur¬
sprünglich Freien begegneten. Auf diese Weise wurde auf dem Lande eine
neue Aufgabe socialer Schöpfung vollführt, während die Städte stationär
blieben oder dem Verfall entgegengingen. Auf jedem großen Gute von gün¬
stiger Ertragsfähigkeit vermehrten sich die nach dem Bedürfniß und der Be¬
quemlichkeit gruppirten Hütten der Arbeiter, bis sie einen Weiler bildeten.
Wenn diese Weiler in günstiger Position, in der Nähe eines fließenden Wassers,
an irgend einer Straßenverzweigung gelegen waren, fuhren sie fort, sich zu
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