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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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im heftigen Gräcisiren begriffen, dem modernen Costüm überhaupt zugestimmt
haben würde. Die naturalistische Richtung hat ihre große Berechtigung,
und wir haben weder Hackert noch Angelica Kaufmann, trotz Goethes Belo¬
bung, vor Veraltung gesichert gesehen; ebensowenig ist Goethes Ansicht von
der Sculptur ein für uns in allen Punkten maßgebender Kanon. Wie wir
ihn selbst darstellen, geht uns allein an.

Etwas Anderes ists, wenn wir fragen, ob beiden Dschtern in diesem
Bilde gleiche Gerechtigkeit widerfährt. Wir glauben nicht zu irren, wenn wir
mehr den Goethe-Schiller Briefwechsel, in Bronze dargestellt, darin suchen
sollen, als eine durch die Kunst veredelte Ausfassung beider Dichter in ihrer
Bedeutung an sich. Jener Briefwechsel und jenes Freundschaftsverhältniß sind
ohne Zweifel einer solchen Verewigung werth; wir haben kein geistiges Bünd-
niß, das nachahmungs- und deshalb verherrlichungswürdiger wäre, als das
Zusammenstehen dieser Fürsten im Reiche der Gedanken. Glücklich die Zeit,
welche dieses Anblicks sich freuen durfte, glücklich die Nation, welcher solches
Beispiel als Vermächtnis) sür alle Zeiten bleibt.

Dies auch äußerlich durch die Kunst zu verewigen, war deshalb ein edler
Plan, und jede Anstrengung, welche ihm bereits zum Opfer gebracht wurde,
lobt der hohe Zweck, dem sie sich weihte. Aber ob sich die geistige Bedeutung
dieses Bündnisses in den Fesseln der historischen Treue, d. h. des Realismus,
nicht nothwendigen Beschränkungen unterworfen sah, Beschränkungen, die dem
Jüngern zu Gute kommen, den Aeltern aber benachtheiligen mußten, diese
Frage bejaht, so wills uns scheinen, die rietschelsche Arbeit, wie wir sie vor
uns sehen. Ja Goethe war Minister und verleugnete nicht manche Schatten¬
seiten hofmäßiger Gewohnheiten, aber Schiller gegenüber war ers nicht; da
war er der Vorurtheilsfreie, allem Ceremoniell fernstehende Dichter des Wil¬
helm Meister, der dem Freunde zurufen konnte: der Dichter erfreut sich nun
einmal hienieden "des besten Zustandes, den Gott den Menschen hat gönnen
wollen." Ja Goethe war dem gothaischen Kalender nach zehn Jahre älter als
Schiller, aber diesem gegenüber war er eS der Jugendfnsche nach nicht; er
war der grüne, gesunde Baum, Schiller der unheilbar dahinsiechende; seine
Rechtfertigung der Schwächen im Wallenstein: sie seien rein pathologische,
durch Schillers Korperleiven bedingte, diese Rechtfertigung zeigt, wie jung der.
ältere Dichter dem jüngern gegenüberstand. Ahnen wir unter dem Minister-
rvcke das letwnskecke und daseingenießende Herz, welches die römischen Elegien
eingab, -- die damaligen poetischen Gaben Goethes zu deu Hören?

Je mehr wir fragen, desto mehr bringt uns das realistische Wiedergeben
der Persönlichkeiten ins Gehänge; wir sehen immer Schiller und Goethe vor
uns, aber wir empfinden nicht vollkommen, was sie geistig zusammenhielt, waS
sie uns waren, wie sie sich innerlich zueinander verhielte".


im heftigen Gräcisiren begriffen, dem modernen Costüm überhaupt zugestimmt
haben würde. Die naturalistische Richtung hat ihre große Berechtigung,
und wir haben weder Hackert noch Angelica Kaufmann, trotz Goethes Belo¬
bung, vor Veraltung gesichert gesehen; ebensowenig ist Goethes Ansicht von
der Sculptur ein für uns in allen Punkten maßgebender Kanon. Wie wir
ihn selbst darstellen, geht uns allein an.

Etwas Anderes ists, wenn wir fragen, ob beiden Dschtern in diesem
Bilde gleiche Gerechtigkeit widerfährt. Wir glauben nicht zu irren, wenn wir
mehr den Goethe-Schiller Briefwechsel, in Bronze dargestellt, darin suchen
sollen, als eine durch die Kunst veredelte Ausfassung beider Dichter in ihrer
Bedeutung an sich. Jener Briefwechsel und jenes Freundschaftsverhältniß sind
ohne Zweifel einer solchen Verewigung werth; wir haben kein geistiges Bünd-
niß, das nachahmungs- und deshalb verherrlichungswürdiger wäre, als das
Zusammenstehen dieser Fürsten im Reiche der Gedanken. Glücklich die Zeit,
welche dieses Anblicks sich freuen durfte, glücklich die Nation, welcher solches
Beispiel als Vermächtnis) sür alle Zeiten bleibt.

Dies auch äußerlich durch die Kunst zu verewigen, war deshalb ein edler
Plan, und jede Anstrengung, welche ihm bereits zum Opfer gebracht wurde,
lobt der hohe Zweck, dem sie sich weihte. Aber ob sich die geistige Bedeutung
dieses Bündnisses in den Fesseln der historischen Treue, d. h. des Realismus,
nicht nothwendigen Beschränkungen unterworfen sah, Beschränkungen, die dem
Jüngern zu Gute kommen, den Aeltern aber benachtheiligen mußten, diese
Frage bejaht, so wills uns scheinen, die rietschelsche Arbeit, wie wir sie vor
uns sehen. Ja Goethe war Minister und verleugnete nicht manche Schatten¬
seiten hofmäßiger Gewohnheiten, aber Schiller gegenüber war ers nicht; da
war er der Vorurtheilsfreie, allem Ceremoniell fernstehende Dichter des Wil¬
helm Meister, der dem Freunde zurufen konnte: der Dichter erfreut sich nun
einmal hienieden „des besten Zustandes, den Gott den Menschen hat gönnen
wollen." Ja Goethe war dem gothaischen Kalender nach zehn Jahre älter als
Schiller, aber diesem gegenüber war er eS der Jugendfnsche nach nicht; er
war der grüne, gesunde Baum, Schiller der unheilbar dahinsiechende; seine
Rechtfertigung der Schwächen im Wallenstein: sie seien rein pathologische,
durch Schillers Korperleiven bedingte, diese Rechtfertigung zeigt, wie jung der.
ältere Dichter dem jüngern gegenüberstand. Ahnen wir unter dem Minister-
rvcke das letwnskecke und daseingenießende Herz, welches die römischen Elegien
eingab, — die damaligen poetischen Gaben Goethes zu deu Hören?

Je mehr wir fragen, desto mehr bringt uns das realistische Wiedergeben
der Persönlichkeiten ins Gehänge; wir sehen immer Schiller und Goethe vor
uns, aber wir empfinden nicht vollkommen, was sie geistig zusammenhielt, waS
sie uns waren, wie sie sich innerlich zueinander verhielte».


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[0071] im heftigen Gräcisiren begriffen, dem modernen Costüm überhaupt zugestimmt haben würde. Die naturalistische Richtung hat ihre große Berechtigung, und wir haben weder Hackert noch Angelica Kaufmann, trotz Goethes Belo¬ bung, vor Veraltung gesichert gesehen; ebensowenig ist Goethes Ansicht von der Sculptur ein für uns in allen Punkten maßgebender Kanon. Wie wir ihn selbst darstellen, geht uns allein an. Etwas Anderes ists, wenn wir fragen, ob beiden Dschtern in diesem Bilde gleiche Gerechtigkeit widerfährt. Wir glauben nicht zu irren, wenn wir mehr den Goethe-Schiller Briefwechsel, in Bronze dargestellt, darin suchen sollen, als eine durch die Kunst veredelte Ausfassung beider Dichter in ihrer Bedeutung an sich. Jener Briefwechsel und jenes Freundschaftsverhältniß sind ohne Zweifel einer solchen Verewigung werth; wir haben kein geistiges Bünd- niß, das nachahmungs- und deshalb verherrlichungswürdiger wäre, als das Zusammenstehen dieser Fürsten im Reiche der Gedanken. Glücklich die Zeit, welche dieses Anblicks sich freuen durfte, glücklich die Nation, welcher solches Beispiel als Vermächtnis) sür alle Zeiten bleibt. Dies auch äußerlich durch die Kunst zu verewigen, war deshalb ein edler Plan, und jede Anstrengung, welche ihm bereits zum Opfer gebracht wurde, lobt der hohe Zweck, dem sie sich weihte. Aber ob sich die geistige Bedeutung dieses Bündnisses in den Fesseln der historischen Treue, d. h. des Realismus, nicht nothwendigen Beschränkungen unterworfen sah, Beschränkungen, die dem Jüngern zu Gute kommen, den Aeltern aber benachtheiligen mußten, diese Frage bejaht, so wills uns scheinen, die rietschelsche Arbeit, wie wir sie vor uns sehen. Ja Goethe war Minister und verleugnete nicht manche Schatten¬ seiten hofmäßiger Gewohnheiten, aber Schiller gegenüber war ers nicht; da war er der Vorurtheilsfreie, allem Ceremoniell fernstehende Dichter des Wil¬ helm Meister, der dem Freunde zurufen konnte: der Dichter erfreut sich nun einmal hienieden „des besten Zustandes, den Gott den Menschen hat gönnen wollen." Ja Goethe war dem gothaischen Kalender nach zehn Jahre älter als Schiller, aber diesem gegenüber war er eS der Jugendfnsche nach nicht; er war der grüne, gesunde Baum, Schiller der unheilbar dahinsiechende; seine Rechtfertigung der Schwächen im Wallenstein: sie seien rein pathologische, durch Schillers Korperleiven bedingte, diese Rechtfertigung zeigt, wie jung der. ältere Dichter dem jüngern gegenüberstand. Ahnen wir unter dem Minister- rvcke das letwnskecke und daseingenießende Herz, welches die römischen Elegien eingab, — die damaligen poetischen Gaben Goethes zu deu Hören? Je mehr wir fragen, desto mehr bringt uns das realistische Wiedergeben der Persönlichkeiten ins Gehänge; wir sehen immer Schiller und Goethe vor uns, aber wir empfinden nicht vollkommen, was sie geistig zusammenhielt, waS sie uns waren, wie sie sich innerlich zueinander verhielte».

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/71>, abgerufen am 25.08.2024.