Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.unmöglich, von hinten gesehen, zu irgend malenscher Wirkung gebracht werden; Die realistische Auffassung beider Männer beschränkt sich, wie man nach Was sängt der an, der magre Thor? so traut man dem Goethe Nietschels in dieser Angelegenheit noch keine Partei¬ Daß Goethe mehr etwas Zugeknöpftes, gegen kein Formengesetz Ver¬ Hierbei wird sich übrigens diejenige Partei, welche auf Goethe schwört unmöglich, von hinten gesehen, zu irgend malenscher Wirkung gebracht werden; Die realistische Auffassung beider Männer beschränkt sich, wie man nach Was sängt der an, der magre Thor? so traut man dem Goethe Nietschels in dieser Angelegenheit noch keine Partei¬ Daß Goethe mehr etwas Zugeknöpftes, gegen kein Formengesetz Ver¬ Hierbei wird sich übrigens diejenige Partei, welche auf Goethe schwört <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0070" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103203"/> <p xml:id="ID_204" prev="#ID_203"> unmöglich, von hinten gesehen, zu irgend malenscher Wirkung gebracht werden;<lb/> der Frack natürlich noch minder. Wir hören, daß hinter dem Denkmal an dem<lb/> Orte seiner Bestimmung in Weimar ein Raum von etwa zehn Schritten frei<lb/> bleibt. Es wird sich vielleicht dieser Raum im Interesse des Bildwerks verringern<lb/> lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_205"> Die realistische Auffassung beider Männer beschränkt sich, wie man nach<lb/> vorstehender Skizze schon sieht, im Wesentlichen auf die Kleidung. Der Körper¬<lb/> fülle Goethes ist etwas genommen, und wenn er im zweiten Theil des Faust<lb/> die magern Leute mit den Worten verspottet:</p><lb/> <quote> Was sängt der an, der magre Thor?<lb/> Hat so ein Hungersmann Humor?</quote><lb/> <p xml:id="ID_206"> so traut man dem Goethe Nietschels in dieser Angelegenheit noch keine Partei¬<lb/> lichkeit zu. Ebenso ist die Magerkeit Schillers gemäßigt, und seine schlanke<lb/> Gestalt entstellt keine Ungleichheit der Schultern.</p><lb/> <p xml:id="ID_207"> Daß Goethe mehr etwas Zugeknöpftes, gegen kein Formengesetz Ver¬<lb/> stoßendes hat und selbst den Zwang der Geheimrathshalsbinde gern hinnimmt,<lb/> während Schiller mit entblößtem Hals und nachlässiger Kleidung, den Rock<lb/> weit offen, alles modischen Zwanges spottet, alles dies dient dazu, ohne Ueber¬<lb/> treibung das fein durchdachte Porträt beider Männer auch in äußeren Zügen<lb/> untergeordneter Art der Wahrheit möglichst nahe zu bringen. Obschon das<lb/> Wesen Goethes sowol wie Schillers heutzutage den Gebildeten der Nation<lb/> in vielen Einzelnheiten vertraut ist, und man deshalb auch dem Künstler, der<lb/> sie darstellt, nichts Großes nachrühmt, wenn man ihm diese Detailkenntniß in<lb/> erster Linie zuerkennt, so darf man doch nicht vergessen, daß sich ein Märchen<lb/> leichter schreibt, als ein Blatt moderner Geschichte, und daß feines Gefühl und<lb/> hohe Bildung allein im Stande sind den Preis davon zu tragen, wo so viele<lb/> Kritiker zu Gericht sitzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_208" next="#ID_209"> Hierbei wird sich übrigens diejenige Partei, welche auf Goethe schwört<lb/> nie ohne gewisse Vorbehalte ihre Zustimmung entlocken lassen. Man hat zwar<lb/> nicht danach zu fragen, ob Goethe selbst mit diesem Modell zufriedner gewesen<lb/> wäre, als er es in Wirklichkeit mit dem nicht zur Ausführung gelangten<lb/> ersten frankfurter Entwurf zu einem Einzelnstandbilde war, ja ob er nicht gern<lb/> zugestimmt hätte, wenn man die vorhandenen Subscriptionsgelder, wie bei<lb/> jenem frankfurter Versuch, ihm in Champagner übersandte, statt sie in Münch¬<lb/> ner Bronze umzuschmelzen. Selbst diejenigen, welche für die Wahl der Costüme<lb/> die Wahrscheinlichkeit anführen, daß Goethe, wenn befragt, sich als. Minister,<lb/> Schiller sich als Weltbürger d. h. im täglichen Rocke, hätte darstellen lassen,<lb/> selbst diese Fürsprecher der durchgedrungenen Auffassung bringen Dinge in<lb/> Frage, welche für den Werth des Kunstwerks in den Augen der Gegenwart<lb/> gleichgiltig sind, ganz abgesehen davon, daß weder der eine noch der andere,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0070]
unmöglich, von hinten gesehen, zu irgend malenscher Wirkung gebracht werden;
der Frack natürlich noch minder. Wir hören, daß hinter dem Denkmal an dem
Orte seiner Bestimmung in Weimar ein Raum von etwa zehn Schritten frei
bleibt. Es wird sich vielleicht dieser Raum im Interesse des Bildwerks verringern
lassen.
Die realistische Auffassung beider Männer beschränkt sich, wie man nach
vorstehender Skizze schon sieht, im Wesentlichen auf die Kleidung. Der Körper¬
fülle Goethes ist etwas genommen, und wenn er im zweiten Theil des Faust
die magern Leute mit den Worten verspottet:
Was sängt der an, der magre Thor?
Hat so ein Hungersmann Humor?
so traut man dem Goethe Nietschels in dieser Angelegenheit noch keine Partei¬
lichkeit zu. Ebenso ist die Magerkeit Schillers gemäßigt, und seine schlanke
Gestalt entstellt keine Ungleichheit der Schultern.
Daß Goethe mehr etwas Zugeknöpftes, gegen kein Formengesetz Ver¬
stoßendes hat und selbst den Zwang der Geheimrathshalsbinde gern hinnimmt,
während Schiller mit entblößtem Hals und nachlässiger Kleidung, den Rock
weit offen, alles modischen Zwanges spottet, alles dies dient dazu, ohne Ueber¬
treibung das fein durchdachte Porträt beider Männer auch in äußeren Zügen
untergeordneter Art der Wahrheit möglichst nahe zu bringen. Obschon das
Wesen Goethes sowol wie Schillers heutzutage den Gebildeten der Nation
in vielen Einzelnheiten vertraut ist, und man deshalb auch dem Künstler, der
sie darstellt, nichts Großes nachrühmt, wenn man ihm diese Detailkenntniß in
erster Linie zuerkennt, so darf man doch nicht vergessen, daß sich ein Märchen
leichter schreibt, als ein Blatt moderner Geschichte, und daß feines Gefühl und
hohe Bildung allein im Stande sind den Preis davon zu tragen, wo so viele
Kritiker zu Gericht sitzen.
Hierbei wird sich übrigens diejenige Partei, welche auf Goethe schwört
nie ohne gewisse Vorbehalte ihre Zustimmung entlocken lassen. Man hat zwar
nicht danach zu fragen, ob Goethe selbst mit diesem Modell zufriedner gewesen
wäre, als er es in Wirklichkeit mit dem nicht zur Ausführung gelangten
ersten frankfurter Entwurf zu einem Einzelnstandbilde war, ja ob er nicht gern
zugestimmt hätte, wenn man die vorhandenen Subscriptionsgelder, wie bei
jenem frankfurter Versuch, ihm in Champagner übersandte, statt sie in Münch¬
ner Bronze umzuschmelzen. Selbst diejenigen, welche für die Wahl der Costüme
die Wahrscheinlichkeit anführen, daß Goethe, wenn befragt, sich als. Minister,
Schiller sich als Weltbürger d. h. im täglichen Rocke, hätte darstellen lassen,
selbst diese Fürsprecher der durchgedrungenen Auffassung bringen Dinge in
Frage, welche für den Werth des Kunstwerks in den Augen der Gegenwart
gleichgiltig sind, ganz abgesehen davon, daß weder der eine noch der andere,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |