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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Aehnlich wie dem Art. 12 uno allen andern Bestimmungen über Religions¬
freiheit (Art. 13, 1i, 19) ist es den Artikeln 27 und 28 der Verfassung und
dem danach erlassenen Preßgesetz vom 12. Mai 1831 gegangen. Die "Un¬
bescholtenheit", welche das Gesetz zum Betrieb von Buchhandel und Druckereien
erfordert und dem Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte gleichstellt, hat die Re¬
gierung als sittliche und politische Unbescholtenheit aufgefaßt und damit ein
schrankenloses Mittel der Concessionsversagung geschaffen; statt daß die Con-
cessionsentziehnng (§. 34 des Preßgesetzes) von richterlichen Urtheil abhängig
sein soll, wird sie allgemein auch von Verwaltungsbehörden verhängt, und
während die Censur grundgesetzlich abgeschafft ist, stehen die Tagespresse und
alle literarischen Erzeugnisse von weniger als zwanzig Bogen unter einer poli¬
zeilichen Aufsicht, welche noch immer unter den weitern Begriff von Censur
gerechnet werden muß. Herr von Rocnne, der außer der VerfassungsUrkunde,
der Städte- und Gemeindeordnung, dem preußischen Unterrichtswesen auch
das Preßgesetz monographisch bearbeitet hat, ist hier ein ganz besonders com-
petenter Urtheiler und weist mehrmals überzeugend nach, wo das Ministerium
in seiner Interpretation des Gesetzes fehl geht. Von Einfluß ist das aber
nicht gewesen, und, so sehr wir es wünschen, zweifeln wir doch, ob Herr
Mathis mit seinem Antrag gegen die jetzige Anwendung der Preßgesetze in
dieser Sitzungsperiode günstigere Resultate erzielen wird.

Bisher haben wir auf Stellen der preußischen Verfassung hingewiesen,
welche als schwache Punkte eine besondere Aufmerksamkeit verdienen. In
einem andern Sinne erwähnen wir die beiden folgenden: das Recht der
Kammern zur Initiative und die UnVerantwortlichkeit der Abgeordneten wegen
ihrer Abstimmungen und in der Kammer geäußerten Meinungen vor jedem
andern Forum als der Kammer selbst. Das erstere findet sich in den Befug¬
nissen deutscher Kammern bis jetzt sehr selten und läßt sich vielleicht am schwersten
mit dem "monarchischen Princip," wie es die wiener Schlußacte versteht, in
Einklang bringen. Verbunden mit dem, allerdings in seiner vollen Ausdeh¬
nung bestrittenen Recht der Kammern, Commissionen zur Constatirung von
Thatsachen behufs ihrer Information zu ernennen, bildet die Initiative eins
der wirksamsten Mittel in den Händen der Volksvertretung, positiv auf den
Zustand des Landes und der Gesetzgebung einzuwirken. Daß Commissionen,
wie, wir sie eben bezeichnet haben, nicht befugt sind, durch Anträge das Urtheil
der Kammern zu dirigiren, mag zugegeben werden. Geleugnet werden muß
jedoch, daß sie sich jeder Beleuchtung der untersuchten Thatsachen zu enthalten
hätten und auch nur zur Untersuchung solcher Thatsachen ernannt werden
dürften, deren Kenntniß den Kammern zur Beschlußfassung über einen be¬
stimmt vorliegenden Fall nothwendig sei. Wo es sich nicht um Untersuchung
politischer, sondern socialer oder ökonomischer Zustände (wie bei der Lage der


Aehnlich wie dem Art. 12 uno allen andern Bestimmungen über Religions¬
freiheit (Art. 13, 1i, 19) ist es den Artikeln 27 und 28 der Verfassung und
dem danach erlassenen Preßgesetz vom 12. Mai 1831 gegangen. Die „Un¬
bescholtenheit", welche das Gesetz zum Betrieb von Buchhandel und Druckereien
erfordert und dem Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte gleichstellt, hat die Re¬
gierung als sittliche und politische Unbescholtenheit aufgefaßt und damit ein
schrankenloses Mittel der Concessionsversagung geschaffen; statt daß die Con-
cessionsentziehnng (§. 34 des Preßgesetzes) von richterlichen Urtheil abhängig
sein soll, wird sie allgemein auch von Verwaltungsbehörden verhängt, und
während die Censur grundgesetzlich abgeschafft ist, stehen die Tagespresse und
alle literarischen Erzeugnisse von weniger als zwanzig Bogen unter einer poli¬
zeilichen Aufsicht, welche noch immer unter den weitern Begriff von Censur
gerechnet werden muß. Herr von Rocnne, der außer der VerfassungsUrkunde,
der Städte- und Gemeindeordnung, dem preußischen Unterrichtswesen auch
das Preßgesetz monographisch bearbeitet hat, ist hier ein ganz besonders com-
petenter Urtheiler und weist mehrmals überzeugend nach, wo das Ministerium
in seiner Interpretation des Gesetzes fehl geht. Von Einfluß ist das aber
nicht gewesen, und, so sehr wir es wünschen, zweifeln wir doch, ob Herr
Mathis mit seinem Antrag gegen die jetzige Anwendung der Preßgesetze in
dieser Sitzungsperiode günstigere Resultate erzielen wird.

Bisher haben wir auf Stellen der preußischen Verfassung hingewiesen,
welche als schwache Punkte eine besondere Aufmerksamkeit verdienen. In
einem andern Sinne erwähnen wir die beiden folgenden: das Recht der
Kammern zur Initiative und die UnVerantwortlichkeit der Abgeordneten wegen
ihrer Abstimmungen und in der Kammer geäußerten Meinungen vor jedem
andern Forum als der Kammer selbst. Das erstere findet sich in den Befug¬
nissen deutscher Kammern bis jetzt sehr selten und läßt sich vielleicht am schwersten
mit dem „monarchischen Princip," wie es die wiener Schlußacte versteht, in
Einklang bringen. Verbunden mit dem, allerdings in seiner vollen Ausdeh¬
nung bestrittenen Recht der Kammern, Commissionen zur Constatirung von
Thatsachen behufs ihrer Information zu ernennen, bildet die Initiative eins
der wirksamsten Mittel in den Händen der Volksvertretung, positiv auf den
Zustand des Landes und der Gesetzgebung einzuwirken. Daß Commissionen,
wie, wir sie eben bezeichnet haben, nicht befugt sind, durch Anträge das Urtheil
der Kammern zu dirigiren, mag zugegeben werden. Geleugnet werden muß
jedoch, daß sie sich jeder Beleuchtung der untersuchten Thatsachen zu enthalten
hätten und auch nur zur Untersuchung solcher Thatsachen ernannt werden
dürften, deren Kenntniß den Kammern zur Beschlußfassung über einen be¬
stimmt vorliegenden Fall nothwendig sei. Wo es sich nicht um Untersuchung
politischer, sondern socialer oder ökonomischer Zustände (wie bei der Lage der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/512>, abgerufen am 22.12.2024.