Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

seinen "Bruch mit der Revolution" bethätigte, und in beiden Kammern wurde
der Antrag gestellt, diesen Schritt für eine Verletzung der Verfassung und der
Gesetze zu erklären. In den Provinzialständen ist den Kammern ein Institut
an die Seite gestellt, dessen Befugnisse zum Theil mit den ihrigen concurriren
und sie beschränken, ein Institut, das provinzielle Absonderung pflegt, welche
kaum ein Staat mehr als der preußische zu unterdrücken Grund hat, ein
Institut vor allem, das auf andern Principien beruht, wie die Verfassung
des ganzen Staats. Hier wird das Volk alö Ganzes vertreten, dort einzelne
Stände; hier ist das Wahlrecht an Bedingungen geknüpft, welche in der
Regel jeder volljährige Staatsbürger erfüllen kann, dort wird eS von
Grundbesitz abhängig gemacht, für dessen Bevorzugung vor anderm Vermögen
in der That kein vernünftiger Grund einzusehen ist, und unter dem engen
Kreis der Berechtigten erhält wieder der Stand der Rittergutsbesitzer ein ganz
besonderes Gewicht. Weder die Gleichheit der politischen Rechte wird dadurch
gewahrt, noch die Unabhängigkeit derselben von dem religiösen Bekenntniß, --
wenigstens nicht, sobald es dem Ministerium gelingt, seine Ansicht durchzusetzen,
daß christliche Confession jetzt wie vor Emanation der Verfassungsurkunde zur
Ausübung dieses Wahlrechts nöthig sei. Der Art. 12 sagt zwar ganz deutlich,
daß der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte nicht von einem
religiösen Bekenntniß abhängig gemacht werden dürfe, und Art. 109 bestimmt,
daß frühere Gesetze nur so weit gelten sollen, als sie nicht der Verfassung
widersprechen. Trotzdem ist durch die Praxis des Ministeriums Art. 12 bisher
so illusorisch gemacht worden, daß Herr von Gerlach seine gänzliche Aushebung
für das ehrlichere Verfahren erklären durste. Wir können uns nicht enthalten,
an dieser Stelle mitzutheilen, wie Stahl in seiner Rechtsphilosophie (Bd. II.
S. 288 in der ersten Ausgabe) die Ausschließung aller Nichtchristen von
Staatsämtern rechtfertigt. ES wundre sich doch niemand, meint er, daß ein
Nichtchrist christliche Kirchenämter nicht bekleiden dürfe. Im christlichen Staat
aber sei jedes Amt ein Bischofsamt. Ja noch mehr! Zulassung von Nichtchristen
zu Staatsämtern sei, genau betrachtet, ein Unrecht gegen sie selbst, da es sie in
der verwerflichen Ueberzeugung, eine Religion sei so gut als die andre, bestärke.
Wen erinnert d"S nicht an eine Stelle der heineschen Reisebilder? Juden und
Heiden werden von boshaften Teufeln unbarmherzig in der Hölle gebraten,
und nur von Zeit zu Zeit wird ihnen kaltes Waffer über die Köpfe gegossen,
damit sie die Seligkeit der Getauften recht lebhaft ahnen können. Dieses ist
der übermüthige Einfall eines jungen und geistvollen Dichters, deS frivolsten
und spottsüchtigsten der Menschen, jenes die ernsthafte Rechtfertigung einer
zelotischer Doctrin in einem tiefsinnigen und wissenschaftlichen Werk. Aber
der Eindruck ist ein ähnlicher: nur unangenehmer da, wo man solche Art der
Argumentation nicht erwartet hatte.


seinen „Bruch mit der Revolution" bethätigte, und in beiden Kammern wurde
der Antrag gestellt, diesen Schritt für eine Verletzung der Verfassung und der
Gesetze zu erklären. In den Provinzialständen ist den Kammern ein Institut
an die Seite gestellt, dessen Befugnisse zum Theil mit den ihrigen concurriren
und sie beschränken, ein Institut, das provinzielle Absonderung pflegt, welche
kaum ein Staat mehr als der preußische zu unterdrücken Grund hat, ein
Institut vor allem, das auf andern Principien beruht, wie die Verfassung
des ganzen Staats. Hier wird das Volk alö Ganzes vertreten, dort einzelne
Stände; hier ist das Wahlrecht an Bedingungen geknüpft, welche in der
Regel jeder volljährige Staatsbürger erfüllen kann, dort wird eS von
Grundbesitz abhängig gemacht, für dessen Bevorzugung vor anderm Vermögen
in der That kein vernünftiger Grund einzusehen ist, und unter dem engen
Kreis der Berechtigten erhält wieder der Stand der Rittergutsbesitzer ein ganz
besonderes Gewicht. Weder die Gleichheit der politischen Rechte wird dadurch
gewahrt, noch die Unabhängigkeit derselben von dem religiösen Bekenntniß, —
wenigstens nicht, sobald es dem Ministerium gelingt, seine Ansicht durchzusetzen,
daß christliche Confession jetzt wie vor Emanation der Verfassungsurkunde zur
Ausübung dieses Wahlrechts nöthig sei. Der Art. 12 sagt zwar ganz deutlich,
daß der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte nicht von einem
religiösen Bekenntniß abhängig gemacht werden dürfe, und Art. 109 bestimmt,
daß frühere Gesetze nur so weit gelten sollen, als sie nicht der Verfassung
widersprechen. Trotzdem ist durch die Praxis des Ministeriums Art. 12 bisher
so illusorisch gemacht worden, daß Herr von Gerlach seine gänzliche Aushebung
für das ehrlichere Verfahren erklären durste. Wir können uns nicht enthalten,
an dieser Stelle mitzutheilen, wie Stahl in seiner Rechtsphilosophie (Bd. II.
S. 288 in der ersten Ausgabe) die Ausschließung aller Nichtchristen von
Staatsämtern rechtfertigt. ES wundre sich doch niemand, meint er, daß ein
Nichtchrist christliche Kirchenämter nicht bekleiden dürfe. Im christlichen Staat
aber sei jedes Amt ein Bischofsamt. Ja noch mehr! Zulassung von Nichtchristen
zu Staatsämtern sei, genau betrachtet, ein Unrecht gegen sie selbst, da es sie in
der verwerflichen Ueberzeugung, eine Religion sei so gut als die andre, bestärke.
Wen erinnert d«S nicht an eine Stelle der heineschen Reisebilder? Juden und
Heiden werden von boshaften Teufeln unbarmherzig in der Hölle gebraten,
und nur von Zeit zu Zeit wird ihnen kaltes Waffer über die Köpfe gegossen,
damit sie die Seligkeit der Getauften recht lebhaft ahnen können. Dieses ist
der übermüthige Einfall eines jungen und geistvollen Dichters, deS frivolsten
und spottsüchtigsten der Menschen, jenes die ernsthafte Rechtfertigung einer
zelotischer Doctrin in einem tiefsinnigen und wissenschaftlichen Werk. Aber
der Eindruck ist ein ähnlicher: nur unangenehmer da, wo man solche Art der
Argumentation nicht erwartet hatte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0511" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103644"/>
          <p xml:id="ID_1730" prev="#ID_1729"> seinen &#x201E;Bruch mit der Revolution" bethätigte, und in beiden Kammern wurde<lb/>
der Antrag gestellt, diesen Schritt für eine Verletzung der Verfassung und der<lb/>
Gesetze zu erklären. In den Provinzialständen ist den Kammern ein Institut<lb/>
an die Seite gestellt, dessen Befugnisse zum Theil mit den ihrigen concurriren<lb/>
und sie beschränken, ein Institut, das provinzielle Absonderung pflegt, welche<lb/>
kaum ein Staat mehr als der preußische zu unterdrücken Grund hat, ein<lb/>
Institut vor allem, das auf andern Principien beruht, wie die Verfassung<lb/>
des ganzen Staats. Hier wird das Volk alö Ganzes vertreten, dort einzelne<lb/>
Stände; hier ist das Wahlrecht an Bedingungen geknüpft, welche in der<lb/>
Regel jeder volljährige Staatsbürger erfüllen kann, dort wird eS von<lb/>
Grundbesitz abhängig gemacht, für dessen Bevorzugung vor anderm Vermögen<lb/>
in der That kein vernünftiger Grund einzusehen ist, und unter dem engen<lb/>
Kreis der Berechtigten erhält wieder der Stand der Rittergutsbesitzer ein ganz<lb/>
besonderes Gewicht. Weder die Gleichheit der politischen Rechte wird dadurch<lb/>
gewahrt, noch die Unabhängigkeit derselben von dem religiösen Bekenntniß, &#x2014;<lb/>
wenigstens nicht, sobald es dem Ministerium gelingt, seine Ansicht durchzusetzen,<lb/>
daß christliche Confession jetzt wie vor Emanation der Verfassungsurkunde zur<lb/>
Ausübung dieses Wahlrechts nöthig sei. Der Art. 12 sagt zwar ganz deutlich,<lb/>
daß der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte nicht von einem<lb/>
religiösen Bekenntniß abhängig gemacht werden dürfe, und Art. 109 bestimmt,<lb/>
daß frühere Gesetze nur so weit gelten sollen, als sie nicht der Verfassung<lb/>
widersprechen. Trotzdem ist durch die Praxis des Ministeriums Art. 12 bisher<lb/>
so illusorisch gemacht worden, daß Herr von Gerlach seine gänzliche Aushebung<lb/>
für das ehrlichere Verfahren erklären durste. Wir können uns nicht enthalten,<lb/>
an dieser Stelle mitzutheilen, wie Stahl in seiner Rechtsphilosophie (Bd. II.<lb/>
S. 288 in der ersten Ausgabe) die Ausschließung aller Nichtchristen von<lb/>
Staatsämtern rechtfertigt. ES wundre sich doch niemand, meint er, daß ein<lb/>
Nichtchrist christliche Kirchenämter nicht bekleiden dürfe. Im christlichen Staat<lb/>
aber sei jedes Amt ein Bischofsamt. Ja noch mehr! Zulassung von Nichtchristen<lb/>
zu Staatsämtern sei, genau betrachtet, ein Unrecht gegen sie selbst, da es sie in<lb/>
der verwerflichen Ueberzeugung, eine Religion sei so gut als die andre, bestärke.<lb/>
Wen erinnert d«S nicht an eine Stelle der heineschen Reisebilder? Juden und<lb/>
Heiden werden von boshaften Teufeln unbarmherzig in der Hölle gebraten,<lb/>
und nur von Zeit zu Zeit wird ihnen kaltes Waffer über die Köpfe gegossen,<lb/>
damit sie die Seligkeit der Getauften recht lebhaft ahnen können. Dieses ist<lb/>
der übermüthige Einfall eines jungen und geistvollen Dichters, deS frivolsten<lb/>
und spottsüchtigsten der Menschen, jenes die ernsthafte Rechtfertigung einer<lb/>
zelotischer Doctrin in einem tiefsinnigen und wissenschaftlichen Werk. Aber<lb/>
der Eindruck ist ein ähnlicher: nur unangenehmer da, wo man solche Art der<lb/>
Argumentation nicht erwartet hatte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0511] seinen „Bruch mit der Revolution" bethätigte, und in beiden Kammern wurde der Antrag gestellt, diesen Schritt für eine Verletzung der Verfassung und der Gesetze zu erklären. In den Provinzialständen ist den Kammern ein Institut an die Seite gestellt, dessen Befugnisse zum Theil mit den ihrigen concurriren und sie beschränken, ein Institut, das provinzielle Absonderung pflegt, welche kaum ein Staat mehr als der preußische zu unterdrücken Grund hat, ein Institut vor allem, das auf andern Principien beruht, wie die Verfassung des ganzen Staats. Hier wird das Volk alö Ganzes vertreten, dort einzelne Stände; hier ist das Wahlrecht an Bedingungen geknüpft, welche in der Regel jeder volljährige Staatsbürger erfüllen kann, dort wird eS von Grundbesitz abhängig gemacht, für dessen Bevorzugung vor anderm Vermögen in der That kein vernünftiger Grund einzusehen ist, und unter dem engen Kreis der Berechtigten erhält wieder der Stand der Rittergutsbesitzer ein ganz besonderes Gewicht. Weder die Gleichheit der politischen Rechte wird dadurch gewahrt, noch die Unabhängigkeit derselben von dem religiösen Bekenntniß, — wenigstens nicht, sobald es dem Ministerium gelingt, seine Ansicht durchzusetzen, daß christliche Confession jetzt wie vor Emanation der Verfassungsurkunde zur Ausübung dieses Wahlrechts nöthig sei. Der Art. 12 sagt zwar ganz deutlich, daß der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte nicht von einem religiösen Bekenntniß abhängig gemacht werden dürfe, und Art. 109 bestimmt, daß frühere Gesetze nur so weit gelten sollen, als sie nicht der Verfassung widersprechen. Trotzdem ist durch die Praxis des Ministeriums Art. 12 bisher so illusorisch gemacht worden, daß Herr von Gerlach seine gänzliche Aushebung für das ehrlichere Verfahren erklären durste. Wir können uns nicht enthalten, an dieser Stelle mitzutheilen, wie Stahl in seiner Rechtsphilosophie (Bd. II. S. 288 in der ersten Ausgabe) die Ausschließung aller Nichtchristen von Staatsämtern rechtfertigt. ES wundre sich doch niemand, meint er, daß ein Nichtchrist christliche Kirchenämter nicht bekleiden dürfe. Im christlichen Staat aber sei jedes Amt ein Bischofsamt. Ja noch mehr! Zulassung von Nichtchristen zu Staatsämtern sei, genau betrachtet, ein Unrecht gegen sie selbst, da es sie in der verwerflichen Ueberzeugung, eine Religion sei so gut als die andre, bestärke. Wen erinnert d«S nicht an eine Stelle der heineschen Reisebilder? Juden und Heiden werden von boshaften Teufeln unbarmherzig in der Hölle gebraten, und nur von Zeit zu Zeit wird ihnen kaltes Waffer über die Köpfe gegossen, damit sie die Seligkeit der Getauften recht lebhaft ahnen können. Dieses ist der übermüthige Einfall eines jungen und geistvollen Dichters, deS frivolsten und spottsüchtigsten der Menschen, jenes die ernsthafte Rechtfertigung einer zelotischer Doctrin in einem tiefsinnigen und wissenschaftlichen Werk. Aber der Eindruck ist ein ähnlicher: nur unangenehmer da, wo man solche Art der Argumentation nicht erwartet hatte.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/511
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/511>, abgerufen am 22.12.2024.