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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Kammern und Bundestag gibt es nicht. Die Möglichkeit eines solchen ist
aber außerordentlich nahe gerückt, seit der Bundestag unterm 28. August 18S1
beschloß, alle Staaten zu einer Revision der seit 1858 entstandenen Verfassungen,
soweit sie mit den Bundesgesetzen nicht in Einklang stehen, aufzufordern, wel¬
cher Beschluß denn bereits zur Rechtfertigung des hannöverschen Verfassungs-
umsturzes gebraucht worden ist.

Wir lassen hier einige Partien der preußischen Verfassung folgen, die
vorzugsweise der Beachtung werth scheinen, sei es, daß sie an sich bedeutend
sind, sei es, daß sie durch ihre Schicksale merkwürdig wurden. Zuerst sei Art.
genannt, der seit vorigem Jahr allerdings nicht mehr in der Verfassung
zu sehen ist, aber bei seiner Aufhebung die Hartnäckigkeit des Junkerthums
und seine Verranntheit in gewisse Theorien gut charakterisirte. Der Artikel
bildete den Abschluß jener Richtung, welche die preußische Agrargesetzgebung
seit dem Edict vom 9. October 1807 und dem Landesculturedict vom 15. Sep¬
tember 1811 zur Befreiung und Mobilistrung des Grundeigenthums einge¬
schlagen und seitdem, leider mit manchen Schwankungen, bis 18SK verfolgt
hatte. Von 18S2 an bis zur endlichen Aufhebung in der vergangenen Sitzungs¬
periode hat dieser Artikel sich alljährlich durch die Herren von Gerlach und
Graf von Jtzenblitz mit dem Tode bedroht gesehen; in der diesmaligen
Sitzung sehen wir die Ritter sogar einen Schritt weiter thun und durch positive
Gesetzesvorschläge den Versuch zur Fesselung des Grundeigenthums machen.
Nun sei der Rechten zugegeben, daß jede ritterliche Aristokratie -- und das
will die preußische doch sein -- ihre Lebenswurzeln auf dem platten Lande
vorzugsweise hat; daß nach dem Aufhören großer Güter auch die mittlern sich
wahrscheinlich nicht halten können, da die bisher auf jenen beschäftigten länd¬
lichen Tagelöhner durch ihre Nachfrage den Preis von Parzellen so in die
Höhe treiben würden, daß Zerstücklung dem Besitzer jedes mittleren Guts eine
verlockende Speculation scheinen müßte; wir wollen sogar einräumen, daß in
den Phrasen von "Hofschlächterei" etwas Wahres lag, und daß das Zerstäu¬
ben des Grund und Bodens unter Umständen ein nationales Unglück ist. Aber
eS läßt sich nicht im Allgemeinen, sondern nur für den bestimmten Fall ein
Maß festsetzen, über welches hinaus die Parcellirung im Interesse einer ge¬
sunden Volkswirthschaft nicht gehen darf. Dieses Maß zu bestimmen überläßt
man bei Völkern, welche noch in so kräftigem ökonomischen Aufschwung begriffen
sind wie das deutsche, am besten dem Urtheil der zunächst Betheiligten, ohne
durch Aufstellung eines Marianens der möglichen Verschuldung oder Zerklei^
nerung das der heutigen Agricultur unentbehrliche Zuströmen von Capitalien
und Intelligenz aufzuhalten. Kann man sich auf jenes Urtheil in der Regel
nicht mehr verlassen, so schützt kein Mittel und selbst das Zusammenlaufen
von Latifundien nicht vor den Nachtheilen übergroßer Zersplitterung des Bodens,


Kammern und Bundestag gibt es nicht. Die Möglichkeit eines solchen ist
aber außerordentlich nahe gerückt, seit der Bundestag unterm 28. August 18S1
beschloß, alle Staaten zu einer Revision der seit 1858 entstandenen Verfassungen,
soweit sie mit den Bundesgesetzen nicht in Einklang stehen, aufzufordern, wel¬
cher Beschluß denn bereits zur Rechtfertigung des hannöverschen Verfassungs-
umsturzes gebraucht worden ist.

Wir lassen hier einige Partien der preußischen Verfassung folgen, die
vorzugsweise der Beachtung werth scheinen, sei es, daß sie an sich bedeutend
sind, sei es, daß sie durch ihre Schicksale merkwürdig wurden. Zuerst sei Art.
genannt, der seit vorigem Jahr allerdings nicht mehr in der Verfassung
zu sehen ist, aber bei seiner Aufhebung die Hartnäckigkeit des Junkerthums
und seine Verranntheit in gewisse Theorien gut charakterisirte. Der Artikel
bildete den Abschluß jener Richtung, welche die preußische Agrargesetzgebung
seit dem Edict vom 9. October 1807 und dem Landesculturedict vom 15. Sep¬
tember 1811 zur Befreiung und Mobilistrung des Grundeigenthums einge¬
schlagen und seitdem, leider mit manchen Schwankungen, bis 18SK verfolgt
hatte. Von 18S2 an bis zur endlichen Aufhebung in der vergangenen Sitzungs¬
periode hat dieser Artikel sich alljährlich durch die Herren von Gerlach und
Graf von Jtzenblitz mit dem Tode bedroht gesehen; in der diesmaligen
Sitzung sehen wir die Ritter sogar einen Schritt weiter thun und durch positive
Gesetzesvorschläge den Versuch zur Fesselung des Grundeigenthums machen.
Nun sei der Rechten zugegeben, daß jede ritterliche Aristokratie — und das
will die preußische doch sein — ihre Lebenswurzeln auf dem platten Lande
vorzugsweise hat; daß nach dem Aufhören großer Güter auch die mittlern sich
wahrscheinlich nicht halten können, da die bisher auf jenen beschäftigten länd¬
lichen Tagelöhner durch ihre Nachfrage den Preis von Parzellen so in die
Höhe treiben würden, daß Zerstücklung dem Besitzer jedes mittleren Guts eine
verlockende Speculation scheinen müßte; wir wollen sogar einräumen, daß in
den Phrasen von „Hofschlächterei" etwas Wahres lag, und daß das Zerstäu¬
ben des Grund und Bodens unter Umständen ein nationales Unglück ist. Aber
eS läßt sich nicht im Allgemeinen, sondern nur für den bestimmten Fall ein
Maß festsetzen, über welches hinaus die Parcellirung im Interesse einer ge¬
sunden Volkswirthschaft nicht gehen darf. Dieses Maß zu bestimmen überläßt
man bei Völkern, welche noch in so kräftigem ökonomischen Aufschwung begriffen
sind wie das deutsche, am besten dem Urtheil der zunächst Betheiligten, ohne
durch Aufstellung eines Marianens der möglichen Verschuldung oder Zerklei^
nerung das der heutigen Agricultur unentbehrliche Zuströmen von Capitalien
und Intelligenz aufzuhalten. Kann man sich auf jenes Urtheil in der Regel
nicht mehr verlassen, so schützt kein Mittel und selbst das Zusammenlaufen
von Latifundien nicht vor den Nachtheilen übergroßer Zersplitterung des Bodens,


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[0509] Kammern und Bundestag gibt es nicht. Die Möglichkeit eines solchen ist aber außerordentlich nahe gerückt, seit der Bundestag unterm 28. August 18S1 beschloß, alle Staaten zu einer Revision der seit 1858 entstandenen Verfassungen, soweit sie mit den Bundesgesetzen nicht in Einklang stehen, aufzufordern, wel¬ cher Beschluß denn bereits zur Rechtfertigung des hannöverschen Verfassungs- umsturzes gebraucht worden ist. Wir lassen hier einige Partien der preußischen Verfassung folgen, die vorzugsweise der Beachtung werth scheinen, sei es, daß sie an sich bedeutend sind, sei es, daß sie durch ihre Schicksale merkwürdig wurden. Zuerst sei Art. genannt, der seit vorigem Jahr allerdings nicht mehr in der Verfassung zu sehen ist, aber bei seiner Aufhebung die Hartnäckigkeit des Junkerthums und seine Verranntheit in gewisse Theorien gut charakterisirte. Der Artikel bildete den Abschluß jener Richtung, welche die preußische Agrargesetzgebung seit dem Edict vom 9. October 1807 und dem Landesculturedict vom 15. Sep¬ tember 1811 zur Befreiung und Mobilistrung des Grundeigenthums einge¬ schlagen und seitdem, leider mit manchen Schwankungen, bis 18SK verfolgt hatte. Von 18S2 an bis zur endlichen Aufhebung in der vergangenen Sitzungs¬ periode hat dieser Artikel sich alljährlich durch die Herren von Gerlach und Graf von Jtzenblitz mit dem Tode bedroht gesehen; in der diesmaligen Sitzung sehen wir die Ritter sogar einen Schritt weiter thun und durch positive Gesetzesvorschläge den Versuch zur Fesselung des Grundeigenthums machen. Nun sei der Rechten zugegeben, daß jede ritterliche Aristokratie — und das will die preußische doch sein — ihre Lebenswurzeln auf dem platten Lande vorzugsweise hat; daß nach dem Aufhören großer Güter auch die mittlern sich wahrscheinlich nicht halten können, da die bisher auf jenen beschäftigten länd¬ lichen Tagelöhner durch ihre Nachfrage den Preis von Parzellen so in die Höhe treiben würden, daß Zerstücklung dem Besitzer jedes mittleren Guts eine verlockende Speculation scheinen müßte; wir wollen sogar einräumen, daß in den Phrasen von „Hofschlächterei" etwas Wahres lag, und daß das Zerstäu¬ ben des Grund und Bodens unter Umständen ein nationales Unglück ist. Aber eS läßt sich nicht im Allgemeinen, sondern nur für den bestimmten Fall ein Maß festsetzen, über welches hinaus die Parcellirung im Interesse einer ge¬ sunden Volkswirthschaft nicht gehen darf. Dieses Maß zu bestimmen überläßt man bei Völkern, welche noch in so kräftigem ökonomischen Aufschwung begriffen sind wie das deutsche, am besten dem Urtheil der zunächst Betheiligten, ohne durch Aufstellung eines Marianens der möglichen Verschuldung oder Zerklei^ nerung das der heutigen Agricultur unentbehrliche Zuströmen von Capitalien und Intelligenz aufzuhalten. Kann man sich auf jenes Urtheil in der Regel nicht mehr verlassen, so schützt kein Mittel und selbst das Zusammenlaufen von Latifundien nicht vor den Nachtheilen übergroßer Zersplitterung des Bodens,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/509>, abgerufen am 25.08.2024.