Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Unmittelbar nach der Februarrevolution in Paris, war der Drang nach
nationaler Einheit nicht nur in der Nation so mächtig geworden, sondern un¬
begreiflicherweise auch die Ueberzeugung von seiner Rechtmäßigkeit in den
Regierungen, daß man sich nur wundern mußte, wie eine so vollkommne
Uebereinstimmung zwischen Fürsten und Völkern nicht schon längst zu dem
günstigsten Resultat geführt hatte. Die Bundesversammlung trat mit dem
Funfzigerausschuß bereitwillig in officiellen Verkehr, die Wahlen zu einem
deutschen Parlament wurden ausgeschrieben und, nachdem dieses die höchste
Reichsgewalt provisorisch an den Erzherzog Johann übertragen hatte, löste sie
selbst sich in aller Form Rechtens auf, indem sie mit Zustimmung aller
deutschen Regierungen "ihre verfassungsmäßigen Befugnisse und Ver¬
pflichtungen" in die Hände der provisorischen Eentralgewalt legte. Wie die "
neue Reichsverfassung zu Schanden wurde, nachdem der König von Preußen
sie mit der Krone abgelehnt hatte, wie trotz der unbedingten Annahme de?
Verfassung von 28 deutschen Regierungen die Einheitsivee soryvährend Rück¬
schritte machte, durch das DreikönigSbündniß und daS Vierkönigsbündniß, durch
das Unionsparlament und den Fürstencongreß, bis am 2. September 1830
der todtgeglaubte Bundestag sich wieder keck unter die Lebenden einführte, und
Preußen nach manchem Protest den Tag von Olmütz (29. November 1850)
und seinen eignen Eintritt in die Bundesversammlung erleben mußte (12. Mai
1831)--das wird selbst in der summarischen Uebersicht des roenneschen Buchs
jeden bewegen, der ein Verständniß für nationale Ehre hat. -- Ueber die Be¬
deutung des heutigen Bundestags ist mit der rechtlichen Aufhebung desselben
unter dem 12. Juli 18i8 entschieden. Der völkerrechtliche Verband der
deutschen Staaten mochte auch so noch als sortbestehend angesehen werden,
wenn sie es wollten. Von dem alten staatsrechtlichen Verhältniß zwischen
ihnen konnte keine Rede mehr sein, nachdem der wesentlichste Bestandtheil und
das einzige Organ desselben sortgefallen war. Diese Auffassung ist noch bis
zum Fürstencongreß von der preußischen Negierung getheilt worden, und es
gehört grade kein juristischer Scharfblick dazu, um einzusehen, daß ein recht¬
lich beseitigter Zustand ebensowenig wie ein rechtlich beseitigtes Gesetz ganz
ohne weiteres Wiederaufleben kann, wenn das bis zum Eintritt einer neuen
Rechtsordnung einstweilen eingesetzte Provisorium aus irgend welchen Grün¬
den fortfällt, bevor der neue Rechtszustand fertig ist. Aber hievon abgesehen
wird man das Unwahre der jetzigen Bundesverfassung bald genug erfahren,
wenn einmal die bundesrechtliche Verpflichtung der Regierung zur Publication
von Bundesgesetzen mit dem Recht der Kammern in Conflict kommen sollte,
ihre Zustimmung zu Gesetzen zu verweigern. In der Verfassungsurkunde,
während deren Abfassung es keinen Bundestag gab, ist dieser Fall nicht vor¬
gesehn, und eine competente Behörde zur Entscheidung eines Streits zwischen


Unmittelbar nach der Februarrevolution in Paris, war der Drang nach
nationaler Einheit nicht nur in der Nation so mächtig geworden, sondern un¬
begreiflicherweise auch die Ueberzeugung von seiner Rechtmäßigkeit in den
Regierungen, daß man sich nur wundern mußte, wie eine so vollkommne
Uebereinstimmung zwischen Fürsten und Völkern nicht schon längst zu dem
günstigsten Resultat geführt hatte. Die Bundesversammlung trat mit dem
Funfzigerausschuß bereitwillig in officiellen Verkehr, die Wahlen zu einem
deutschen Parlament wurden ausgeschrieben und, nachdem dieses die höchste
Reichsgewalt provisorisch an den Erzherzog Johann übertragen hatte, löste sie
selbst sich in aller Form Rechtens auf, indem sie mit Zustimmung aller
deutschen Regierungen „ihre verfassungsmäßigen Befugnisse und Ver¬
pflichtungen" in die Hände der provisorischen Eentralgewalt legte. Wie die «
neue Reichsverfassung zu Schanden wurde, nachdem der König von Preußen
sie mit der Krone abgelehnt hatte, wie trotz der unbedingten Annahme de?
Verfassung von 28 deutschen Regierungen die Einheitsivee soryvährend Rück¬
schritte machte, durch das DreikönigSbündniß und daS Vierkönigsbündniß, durch
das Unionsparlament und den Fürstencongreß, bis am 2. September 1830
der todtgeglaubte Bundestag sich wieder keck unter die Lebenden einführte, und
Preußen nach manchem Protest den Tag von Olmütz (29. November 1850)
und seinen eignen Eintritt in die Bundesversammlung erleben mußte (12. Mai
1831)—das wird selbst in der summarischen Uebersicht des roenneschen Buchs
jeden bewegen, der ein Verständniß für nationale Ehre hat. — Ueber die Be¬
deutung des heutigen Bundestags ist mit der rechtlichen Aufhebung desselben
unter dem 12. Juli 18i8 entschieden. Der völkerrechtliche Verband der
deutschen Staaten mochte auch so noch als sortbestehend angesehen werden,
wenn sie es wollten. Von dem alten staatsrechtlichen Verhältniß zwischen
ihnen konnte keine Rede mehr sein, nachdem der wesentlichste Bestandtheil und
das einzige Organ desselben sortgefallen war. Diese Auffassung ist noch bis
zum Fürstencongreß von der preußischen Negierung getheilt worden, und es
gehört grade kein juristischer Scharfblick dazu, um einzusehen, daß ein recht¬
lich beseitigter Zustand ebensowenig wie ein rechtlich beseitigtes Gesetz ganz
ohne weiteres Wiederaufleben kann, wenn das bis zum Eintritt einer neuen
Rechtsordnung einstweilen eingesetzte Provisorium aus irgend welchen Grün¬
den fortfällt, bevor der neue Rechtszustand fertig ist. Aber hievon abgesehen
wird man das Unwahre der jetzigen Bundesverfassung bald genug erfahren,
wenn einmal die bundesrechtliche Verpflichtung der Regierung zur Publication
von Bundesgesetzen mit dem Recht der Kammern in Conflict kommen sollte,
ihre Zustimmung zu Gesetzen zu verweigern. In der Verfassungsurkunde,
während deren Abfassung es keinen Bundestag gab, ist dieser Fall nicht vor¬
gesehn, und eine competente Behörde zur Entscheidung eines Streits zwischen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0508" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103641"/>
          <p xml:id="ID_1724" next="#ID_1725"> Unmittelbar nach der Februarrevolution in Paris, war der Drang nach<lb/>
nationaler Einheit nicht nur in der Nation so mächtig geworden, sondern un¬<lb/>
begreiflicherweise auch die Ueberzeugung von seiner Rechtmäßigkeit in den<lb/>
Regierungen, daß man sich nur wundern mußte, wie eine so vollkommne<lb/>
Uebereinstimmung zwischen Fürsten und Völkern nicht schon längst zu dem<lb/>
günstigsten Resultat geführt hatte. Die Bundesversammlung trat mit dem<lb/>
Funfzigerausschuß bereitwillig in officiellen Verkehr, die Wahlen zu einem<lb/>
deutschen Parlament wurden ausgeschrieben und, nachdem dieses die höchste<lb/>
Reichsgewalt provisorisch an den Erzherzog Johann übertragen hatte, löste sie<lb/>
selbst sich in aller Form Rechtens auf, indem sie mit Zustimmung aller<lb/>
deutschen Regierungen &#x201E;ihre verfassungsmäßigen Befugnisse und Ver¬<lb/>
pflichtungen" in die Hände der provisorischen Eentralgewalt legte. Wie die «<lb/>
neue Reichsverfassung zu Schanden wurde, nachdem der König von Preußen<lb/>
sie mit der Krone abgelehnt hatte, wie trotz der unbedingten Annahme de?<lb/>
Verfassung von 28 deutschen Regierungen die Einheitsivee soryvährend Rück¬<lb/>
schritte machte, durch das DreikönigSbündniß und daS Vierkönigsbündniß, durch<lb/>
das Unionsparlament und den Fürstencongreß, bis am 2. September 1830<lb/>
der todtgeglaubte Bundestag sich wieder keck unter die Lebenden einführte, und<lb/>
Preußen nach manchem Protest den Tag von Olmütz (29. November 1850)<lb/>
und seinen eignen Eintritt in die Bundesversammlung erleben mußte (12. Mai<lb/>
1831)&#x2014;das wird selbst in der summarischen Uebersicht des roenneschen Buchs<lb/>
jeden bewegen, der ein Verständniß für nationale Ehre hat. &#x2014; Ueber die Be¬<lb/>
deutung des heutigen Bundestags ist mit der rechtlichen Aufhebung desselben<lb/>
unter dem 12. Juli 18i8 entschieden. Der völkerrechtliche Verband der<lb/>
deutschen Staaten mochte auch so noch als sortbestehend angesehen werden,<lb/>
wenn sie es wollten. Von dem alten staatsrechtlichen Verhältniß zwischen<lb/>
ihnen konnte keine Rede mehr sein, nachdem der wesentlichste Bestandtheil und<lb/>
das einzige Organ desselben sortgefallen war. Diese Auffassung ist noch bis<lb/>
zum Fürstencongreß von der preußischen Negierung getheilt worden, und es<lb/>
gehört grade kein juristischer Scharfblick dazu, um einzusehen, daß ein recht¬<lb/>
lich beseitigter Zustand ebensowenig wie ein rechtlich beseitigtes Gesetz ganz<lb/>
ohne weiteres Wiederaufleben kann, wenn das bis zum Eintritt einer neuen<lb/>
Rechtsordnung einstweilen eingesetzte Provisorium aus irgend welchen Grün¬<lb/>
den fortfällt, bevor der neue Rechtszustand fertig ist. Aber hievon abgesehen<lb/>
wird man das Unwahre der jetzigen Bundesverfassung bald genug erfahren,<lb/>
wenn einmal die bundesrechtliche Verpflichtung der Regierung zur Publication<lb/>
von Bundesgesetzen mit dem Recht der Kammern in Conflict kommen sollte,<lb/>
ihre Zustimmung zu Gesetzen zu verweigern. In der Verfassungsurkunde,<lb/>
während deren Abfassung es keinen Bundestag gab, ist dieser Fall nicht vor¬<lb/>
gesehn, und eine competente Behörde zur Entscheidung eines Streits zwischen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0508] Unmittelbar nach der Februarrevolution in Paris, war der Drang nach nationaler Einheit nicht nur in der Nation so mächtig geworden, sondern un¬ begreiflicherweise auch die Ueberzeugung von seiner Rechtmäßigkeit in den Regierungen, daß man sich nur wundern mußte, wie eine so vollkommne Uebereinstimmung zwischen Fürsten und Völkern nicht schon längst zu dem günstigsten Resultat geführt hatte. Die Bundesversammlung trat mit dem Funfzigerausschuß bereitwillig in officiellen Verkehr, die Wahlen zu einem deutschen Parlament wurden ausgeschrieben und, nachdem dieses die höchste Reichsgewalt provisorisch an den Erzherzog Johann übertragen hatte, löste sie selbst sich in aller Form Rechtens auf, indem sie mit Zustimmung aller deutschen Regierungen „ihre verfassungsmäßigen Befugnisse und Ver¬ pflichtungen" in die Hände der provisorischen Eentralgewalt legte. Wie die « neue Reichsverfassung zu Schanden wurde, nachdem der König von Preußen sie mit der Krone abgelehnt hatte, wie trotz der unbedingten Annahme de? Verfassung von 28 deutschen Regierungen die Einheitsivee soryvährend Rück¬ schritte machte, durch das DreikönigSbündniß und daS Vierkönigsbündniß, durch das Unionsparlament und den Fürstencongreß, bis am 2. September 1830 der todtgeglaubte Bundestag sich wieder keck unter die Lebenden einführte, und Preußen nach manchem Protest den Tag von Olmütz (29. November 1850) und seinen eignen Eintritt in die Bundesversammlung erleben mußte (12. Mai 1831)—das wird selbst in der summarischen Uebersicht des roenneschen Buchs jeden bewegen, der ein Verständniß für nationale Ehre hat. — Ueber die Be¬ deutung des heutigen Bundestags ist mit der rechtlichen Aufhebung desselben unter dem 12. Juli 18i8 entschieden. Der völkerrechtliche Verband der deutschen Staaten mochte auch so noch als sortbestehend angesehen werden, wenn sie es wollten. Von dem alten staatsrechtlichen Verhältniß zwischen ihnen konnte keine Rede mehr sein, nachdem der wesentlichste Bestandtheil und das einzige Organ desselben sortgefallen war. Diese Auffassung ist noch bis zum Fürstencongreß von der preußischen Negierung getheilt worden, und es gehört grade kein juristischer Scharfblick dazu, um einzusehen, daß ein recht¬ lich beseitigter Zustand ebensowenig wie ein rechtlich beseitigtes Gesetz ganz ohne weiteres Wiederaufleben kann, wenn das bis zum Eintritt einer neuen Rechtsordnung einstweilen eingesetzte Provisorium aus irgend welchen Grün¬ den fortfällt, bevor der neue Rechtszustand fertig ist. Aber hievon abgesehen wird man das Unwahre der jetzigen Bundesverfassung bald genug erfahren, wenn einmal die bundesrechtliche Verpflichtung der Regierung zur Publication von Bundesgesetzen mit dem Recht der Kammern in Conflict kommen sollte, ihre Zustimmung zu Gesetzen zu verweigern. In der Verfassungsurkunde, während deren Abfassung es keinen Bundestag gab, ist dieser Fall nicht vor¬ gesehn, und eine competente Behörde zur Entscheidung eines Streits zwischen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/508
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/508>, abgerufen am 23.07.2024.