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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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ihren von Studer hervorgehobenen Haupteigenthümlichkeiten zu charakterisiren.
Dazu gehört eine bedeutende Zahl von alterthümlichen Wörtern und Formen,
welche zeigen, daß die Sprache des Volks an den Fortschritten nicht Theil
genommen hatte, die die Schriftsprache in der eben vergangenen glänzenden
Literaturepoche gemacht hatte; daher sie sich aber auch eine größere Keckheit
und Freiheit in ausdrucksvollen Wortbildungen bewahrt hat. Wenn sich diese Er¬
scheinungen auf die äußere Form des Ausdrucks beziehn, so gibt sich der Geist
der römischen Plebs in der Derbheit ihrer Redeweise, in der häufigen Anwendung
von Sentenzen, Sprichwörtern und gangbaren Vergleichungen, so wie in den
vielfältig gebrauchten Hyperbeln, Betheurungs- und Schwurformeln kund.'

Nach diesen Vorbemerkungen wollen wir den würdigen Trimalchio selbst
seine Carriere erzählen lassen, wobei der Ton des Originals in freier Ueber-
tragung nur annähernd erreicht werden kann, und überdies manche Auslassungen
unvermeidlich sind. "Ich bitte euch Freunde," sagt er zu seinen Gästen, "seid
vergnügt; denn ich bin ja auch nichts Besseres gewesen als was ihr seid; aber
doch bin ich durch mein Verdienst so weit gekommen. Die Grütze im Kopf
ist es, die den Mann macht; alles übrige sind Possen. Ich kaufe gut, ich
verkaufe gut; andre werden euch mehr darüber sagen. Was ich sagen wollte,
zu meinem jetzigen Glück hat mich nur meine gute Aufführung gebracht. Als
ich aus der Levante kam, war ich gut gerechnet, nicht größer als dieser Candela-
ber. Ich pflegte mich täglich an ihm zu messen, und um eher einen Bart
auf den Schnabel^ zu kriegen, rieb ich mir die Lippen mit Lampenöl."

Ueber seine Dienstjahre geht Trimalchio kurz hinweg, nicht weil er sich
seiner Vergangenheit schämt, denn auf einem großen Wandgemälde in einer
Säulenhalle seines Hauses hat er seine ganze Laufbahn darstellen lassen, deren
erste Scene der Sklavenmarkt ist, auf dem er noch als Knabe verkauft wird.
Der Maler hat ihm, dem Günstling Mercurs einen Caduceus in die Hand
gegeben. Im folgenden Bilde besieht er an der Hand Minervas Rom. So¬
dann ist zu sehen, wie er rechnen lernt, wie er Rechnungsführer wird und so
von Stufe zu Stufe steigt, bis am Ende der Wand der Künstler, dem Trimal¬
chio die Ausführung dieses wichtigen Gegenstandes anvertraut hat, ihn von
Mercur am Kinn in die Höhe heben und auf eine hohe Tribune tragen läßt.
Um die Allegorie noch verständlicher zu machen, hat er die Glücksgöttin mit
dem Füllhorn, und die Parzen, ein goldenes Gespinnst drehend, daneben
gestellt.

Der Erzähler deutet noch an, daß er auch die Gunst seiner Herrin in
beglückender Weise besessen, auf welchen Punkt er aber aus Delicatesse nicht
näher eingehen will, und fährt fort: "Wie denn übrigens geschieht, was die
Götter wollen, so wurde ich Herr im Hause, und hotta! nun fing ich a",
meinen Kops für mich zu haben. Wozu lange Reden? Mein Herr setzte mich


ihren von Studer hervorgehobenen Haupteigenthümlichkeiten zu charakterisiren.
Dazu gehört eine bedeutende Zahl von alterthümlichen Wörtern und Formen,
welche zeigen, daß die Sprache des Volks an den Fortschritten nicht Theil
genommen hatte, die die Schriftsprache in der eben vergangenen glänzenden
Literaturepoche gemacht hatte; daher sie sich aber auch eine größere Keckheit
und Freiheit in ausdrucksvollen Wortbildungen bewahrt hat. Wenn sich diese Er¬
scheinungen auf die äußere Form des Ausdrucks beziehn, so gibt sich der Geist
der römischen Plebs in der Derbheit ihrer Redeweise, in der häufigen Anwendung
von Sentenzen, Sprichwörtern und gangbaren Vergleichungen, so wie in den
vielfältig gebrauchten Hyperbeln, Betheurungs- und Schwurformeln kund.'

Nach diesen Vorbemerkungen wollen wir den würdigen Trimalchio selbst
seine Carriere erzählen lassen, wobei der Ton des Originals in freier Ueber-
tragung nur annähernd erreicht werden kann, und überdies manche Auslassungen
unvermeidlich sind. „Ich bitte euch Freunde," sagt er zu seinen Gästen, „seid
vergnügt; denn ich bin ja auch nichts Besseres gewesen als was ihr seid; aber
doch bin ich durch mein Verdienst so weit gekommen. Die Grütze im Kopf
ist es, die den Mann macht; alles übrige sind Possen. Ich kaufe gut, ich
verkaufe gut; andre werden euch mehr darüber sagen. Was ich sagen wollte,
zu meinem jetzigen Glück hat mich nur meine gute Aufführung gebracht. Als
ich aus der Levante kam, war ich gut gerechnet, nicht größer als dieser Candela-
ber. Ich pflegte mich täglich an ihm zu messen, und um eher einen Bart
auf den Schnabel^ zu kriegen, rieb ich mir die Lippen mit Lampenöl."

Ueber seine Dienstjahre geht Trimalchio kurz hinweg, nicht weil er sich
seiner Vergangenheit schämt, denn auf einem großen Wandgemälde in einer
Säulenhalle seines Hauses hat er seine ganze Laufbahn darstellen lassen, deren
erste Scene der Sklavenmarkt ist, auf dem er noch als Knabe verkauft wird.
Der Maler hat ihm, dem Günstling Mercurs einen Caduceus in die Hand
gegeben. Im folgenden Bilde besieht er an der Hand Minervas Rom. So¬
dann ist zu sehen, wie er rechnen lernt, wie er Rechnungsführer wird und so
von Stufe zu Stufe steigt, bis am Ende der Wand der Künstler, dem Trimal¬
chio die Ausführung dieses wichtigen Gegenstandes anvertraut hat, ihn von
Mercur am Kinn in die Höhe heben und auf eine hohe Tribune tragen läßt.
Um die Allegorie noch verständlicher zu machen, hat er die Glücksgöttin mit
dem Füllhorn, und die Parzen, ein goldenes Gespinnst drehend, daneben
gestellt.

Der Erzähler deutet noch an, daß er auch die Gunst seiner Herrin in
beglückender Weise besessen, auf welchen Punkt er aber aus Delicatesse nicht
näher eingehen will, und fährt fort: „Wie denn übrigens geschieht, was die
Götter wollen, so wurde ich Herr im Hause, und hotta! nun fing ich a»,
meinen Kops für mich zu haben. Wozu lange Reden? Mein Herr setzte mich


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[0396] ihren von Studer hervorgehobenen Haupteigenthümlichkeiten zu charakterisiren. Dazu gehört eine bedeutende Zahl von alterthümlichen Wörtern und Formen, welche zeigen, daß die Sprache des Volks an den Fortschritten nicht Theil genommen hatte, die die Schriftsprache in der eben vergangenen glänzenden Literaturepoche gemacht hatte; daher sie sich aber auch eine größere Keckheit und Freiheit in ausdrucksvollen Wortbildungen bewahrt hat. Wenn sich diese Er¬ scheinungen auf die äußere Form des Ausdrucks beziehn, so gibt sich der Geist der römischen Plebs in der Derbheit ihrer Redeweise, in der häufigen Anwendung von Sentenzen, Sprichwörtern und gangbaren Vergleichungen, so wie in den vielfältig gebrauchten Hyperbeln, Betheurungs- und Schwurformeln kund.' Nach diesen Vorbemerkungen wollen wir den würdigen Trimalchio selbst seine Carriere erzählen lassen, wobei der Ton des Originals in freier Ueber- tragung nur annähernd erreicht werden kann, und überdies manche Auslassungen unvermeidlich sind. „Ich bitte euch Freunde," sagt er zu seinen Gästen, „seid vergnügt; denn ich bin ja auch nichts Besseres gewesen als was ihr seid; aber doch bin ich durch mein Verdienst so weit gekommen. Die Grütze im Kopf ist es, die den Mann macht; alles übrige sind Possen. Ich kaufe gut, ich verkaufe gut; andre werden euch mehr darüber sagen. Was ich sagen wollte, zu meinem jetzigen Glück hat mich nur meine gute Aufführung gebracht. Als ich aus der Levante kam, war ich gut gerechnet, nicht größer als dieser Candela- ber. Ich pflegte mich täglich an ihm zu messen, und um eher einen Bart auf den Schnabel^ zu kriegen, rieb ich mir die Lippen mit Lampenöl." Ueber seine Dienstjahre geht Trimalchio kurz hinweg, nicht weil er sich seiner Vergangenheit schämt, denn auf einem großen Wandgemälde in einer Säulenhalle seines Hauses hat er seine ganze Laufbahn darstellen lassen, deren erste Scene der Sklavenmarkt ist, auf dem er noch als Knabe verkauft wird. Der Maler hat ihm, dem Günstling Mercurs einen Caduceus in die Hand gegeben. Im folgenden Bilde besieht er an der Hand Minervas Rom. So¬ dann ist zu sehen, wie er rechnen lernt, wie er Rechnungsführer wird und so von Stufe zu Stufe steigt, bis am Ende der Wand der Künstler, dem Trimal¬ chio die Ausführung dieses wichtigen Gegenstandes anvertraut hat, ihn von Mercur am Kinn in die Höhe heben und auf eine hohe Tribune tragen läßt. Um die Allegorie noch verständlicher zu machen, hat er die Glücksgöttin mit dem Füllhorn, und die Parzen, ein goldenes Gespinnst drehend, daneben gestellt. Der Erzähler deutet noch an, daß er auch die Gunst seiner Herrin in beglückender Weise besessen, auf welchen Punkt er aber aus Delicatesse nicht näher eingehen will, und fährt fort: „Wie denn übrigens geschieht, was die Götter wollen, so wurde ich Herr im Hause, und hotta! nun fing ich a», meinen Kops für mich zu haben. Wozu lange Reden? Mein Herr setzte mich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/396>, abgerufen am 22.12.2024.