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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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kostbarsten Bissen, und seine Narren (in jedem reichen Hause damals unent¬
behrlich^ und zwar in der Regel wirkliche Cretins, nicht was man im Mittel-
alter darunter verstand) köstlichen hundertjährigen Wein in kostbaren Kelchen.
Während dessen mußten sich die Gäste mit sehr viel geringern Speisen und
jungen sauren Weinen begnügen, die bei Marseille oder an der genuesischen
Küste gewachsen waren; und während der Hausherr sich mit Salben' aus der
(damals fashionabelsten) Parfümerie von Cosinus übergoß, (kostbare Wohl¬
gerüche und Salben waren ein Luxus, der bei einem schwelgerischen Mahl
nicht fehlen durfte) wurden der Gesellschaft in goldenen Gefäßen gemeine
Pomaden gereicht. Wenn der Wirth endlich, von zahlreichen Bechern eingewiegt,
schnarcht, müssen die Gäste ein ehrfurchtsvolles Stillschweigen beobachten und
sich mit stummem Nicken zutrinken.

Diese Schilderung Martials ist nnr ungefähr um dreißig Jahre jünger
als die Petrons, und zwischen dem Zoiluö des einen, und dem Trimalchio des
andern ist wenig mehr Unterschied als zwischen dem Parvenu in der Residenz
und dem in der Provinz; der letztere ist lächerlicher, spießbürgerlicher und gemüthli¬
cher. Die Verstümmelung des petronischen Romans läßt uns leider darüber in Un¬
gewißheit, welche Stadt der Schauplatz von Trimalchios Blamagen ist; aber
es kann entweder nur Neapel oder Puzzuoli (Puteoli) sein.

Der Gelehrte, dessen scharfsinnige und gründliche Untersuchung uns über
das Zeitalter deö Petron belehrt hat, Studer in Bern, ist für Neapel; wir
glauben jedoch aus mehrern Gründen uns für Puteoli entscheiden zu müssen
Puteoli war damals einer der ersten, wo nicht der erste Hasen Italiens, und
als Hauptstapelplatz für den Handel mit dem Orient und Aegypten muß es viel
bedeutender gewesen sein als heutzutage Livorno, Ancona und selbst Trieft, weil
der Verkehr mit dem Orient viel bedeutender war, und sich hier zum großen
Theil (der aegyptische ausschließlich) concentrirte. Die Bevölkerung muß viel
levantinische Elemente enthalten haben. Zufällig wissen wir, daß die phöni-
tische Stadt Tyrus hier eine Factorei besaß, die mit einer Stiftung zur Aus¬
übung einheimischen Gottesdienstes verbunden war; und vermuthlich haben
alle bedeutendern griechischen und orientalischen Handelsplätze, die mit Puteoli
in dauernder Verbindung standen, namentlich Alerandrien, ähnliche Etablisse¬
ments zu kaufmännischen und religiösen Zwecken hier unterhalten.

Wo Griechen und Orientalen in einiger Anzahl theils längere Zeit sich auf¬
hielten, theils für immer angesiedelt waren, konnte natürlich die Umgangs¬
sprache von den Einflüssen der fremden Idiome nicht frei bleiben. Die Konver¬
sation an Trimalchios Tafel wird in einem Kauderwelsch geführt, in dem auf-
fallend viel Gräcismen und griechische Wörter, theils rein, theils mit lateinischen
Endüngen vorkommen. Je weniger die Natur dieser Vulgärsprache, die Wirth
und Gäste reden, wiederzugeben ist, desto nöthiger ist es, sie wenigstens nach


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kostbarsten Bissen, und seine Narren (in jedem reichen Hause damals unent¬
behrlich^ und zwar in der Regel wirkliche Cretins, nicht was man im Mittel-
alter darunter verstand) köstlichen hundertjährigen Wein in kostbaren Kelchen.
Während dessen mußten sich die Gäste mit sehr viel geringern Speisen und
jungen sauren Weinen begnügen, die bei Marseille oder an der genuesischen
Küste gewachsen waren; und während der Hausherr sich mit Salben' aus der
(damals fashionabelsten) Parfümerie von Cosinus übergoß, (kostbare Wohl¬
gerüche und Salben waren ein Luxus, der bei einem schwelgerischen Mahl
nicht fehlen durfte) wurden der Gesellschaft in goldenen Gefäßen gemeine
Pomaden gereicht. Wenn der Wirth endlich, von zahlreichen Bechern eingewiegt,
schnarcht, müssen die Gäste ein ehrfurchtsvolles Stillschweigen beobachten und
sich mit stummem Nicken zutrinken.

Diese Schilderung Martials ist nnr ungefähr um dreißig Jahre jünger
als die Petrons, und zwischen dem Zoiluö des einen, und dem Trimalchio des
andern ist wenig mehr Unterschied als zwischen dem Parvenu in der Residenz
und dem in der Provinz; der letztere ist lächerlicher, spießbürgerlicher und gemüthli¬
cher. Die Verstümmelung des petronischen Romans läßt uns leider darüber in Un¬
gewißheit, welche Stadt der Schauplatz von Trimalchios Blamagen ist; aber
es kann entweder nur Neapel oder Puzzuoli (Puteoli) sein.

Der Gelehrte, dessen scharfsinnige und gründliche Untersuchung uns über
das Zeitalter deö Petron belehrt hat, Studer in Bern, ist für Neapel; wir
glauben jedoch aus mehrern Gründen uns für Puteoli entscheiden zu müssen
Puteoli war damals einer der ersten, wo nicht der erste Hasen Italiens, und
als Hauptstapelplatz für den Handel mit dem Orient und Aegypten muß es viel
bedeutender gewesen sein als heutzutage Livorno, Ancona und selbst Trieft, weil
der Verkehr mit dem Orient viel bedeutender war, und sich hier zum großen
Theil (der aegyptische ausschließlich) concentrirte. Die Bevölkerung muß viel
levantinische Elemente enthalten haben. Zufällig wissen wir, daß die phöni-
tische Stadt Tyrus hier eine Factorei besaß, die mit einer Stiftung zur Aus¬
übung einheimischen Gottesdienstes verbunden war; und vermuthlich haben
alle bedeutendern griechischen und orientalischen Handelsplätze, die mit Puteoli
in dauernder Verbindung standen, namentlich Alerandrien, ähnliche Etablisse¬
ments zu kaufmännischen und religiösen Zwecken hier unterhalten.

Wo Griechen und Orientalen in einiger Anzahl theils längere Zeit sich auf¬
hielten, theils für immer angesiedelt waren, konnte natürlich die Umgangs¬
sprache von den Einflüssen der fremden Idiome nicht frei bleiben. Die Konver¬
sation an Trimalchios Tafel wird in einem Kauderwelsch geführt, in dem auf-
fallend viel Gräcismen und griechische Wörter, theils rein, theils mit lateinischen
Endüngen vorkommen. Je weniger die Natur dieser Vulgärsprache, die Wirth
und Gäste reden, wiederzugeben ist, desto nöthiger ist es, sie wenigstens nach


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[0395] kostbarsten Bissen, und seine Narren (in jedem reichen Hause damals unent¬ behrlich^ und zwar in der Regel wirkliche Cretins, nicht was man im Mittel- alter darunter verstand) köstlichen hundertjährigen Wein in kostbaren Kelchen. Während dessen mußten sich die Gäste mit sehr viel geringern Speisen und jungen sauren Weinen begnügen, die bei Marseille oder an der genuesischen Küste gewachsen waren; und während der Hausherr sich mit Salben' aus der (damals fashionabelsten) Parfümerie von Cosinus übergoß, (kostbare Wohl¬ gerüche und Salben waren ein Luxus, der bei einem schwelgerischen Mahl nicht fehlen durfte) wurden der Gesellschaft in goldenen Gefäßen gemeine Pomaden gereicht. Wenn der Wirth endlich, von zahlreichen Bechern eingewiegt, schnarcht, müssen die Gäste ein ehrfurchtsvolles Stillschweigen beobachten und sich mit stummem Nicken zutrinken. Diese Schilderung Martials ist nnr ungefähr um dreißig Jahre jünger als die Petrons, und zwischen dem Zoiluö des einen, und dem Trimalchio des andern ist wenig mehr Unterschied als zwischen dem Parvenu in der Residenz und dem in der Provinz; der letztere ist lächerlicher, spießbürgerlicher und gemüthli¬ cher. Die Verstümmelung des petronischen Romans läßt uns leider darüber in Un¬ gewißheit, welche Stadt der Schauplatz von Trimalchios Blamagen ist; aber es kann entweder nur Neapel oder Puzzuoli (Puteoli) sein. Der Gelehrte, dessen scharfsinnige und gründliche Untersuchung uns über das Zeitalter deö Petron belehrt hat, Studer in Bern, ist für Neapel; wir glauben jedoch aus mehrern Gründen uns für Puteoli entscheiden zu müssen Puteoli war damals einer der ersten, wo nicht der erste Hasen Italiens, und als Hauptstapelplatz für den Handel mit dem Orient und Aegypten muß es viel bedeutender gewesen sein als heutzutage Livorno, Ancona und selbst Trieft, weil der Verkehr mit dem Orient viel bedeutender war, und sich hier zum großen Theil (der aegyptische ausschließlich) concentrirte. Die Bevölkerung muß viel levantinische Elemente enthalten haben. Zufällig wissen wir, daß die phöni- tische Stadt Tyrus hier eine Factorei besaß, die mit einer Stiftung zur Aus¬ übung einheimischen Gottesdienstes verbunden war; und vermuthlich haben alle bedeutendern griechischen und orientalischen Handelsplätze, die mit Puteoli in dauernder Verbindung standen, namentlich Alerandrien, ähnliche Etablisse¬ ments zu kaufmännischen und religiösen Zwecken hier unterhalten. Wo Griechen und Orientalen in einiger Anzahl theils längere Zeit sich auf¬ hielten, theils für immer angesiedelt waren, konnte natürlich die Umgangs¬ sprache von den Einflüssen der fremden Idiome nicht frei bleiben. Die Konver¬ sation an Trimalchios Tafel wird in einem Kauderwelsch geführt, in dem auf- fallend viel Gräcismen und griechische Wörter, theils rein, theils mit lateinischen Endüngen vorkommen. Je weniger die Natur dieser Vulgärsprache, die Wirth und Gäste reden, wiederzugeben ist, desto nöthiger ist es, sie wenigstens nach 49 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/395>, abgerufen am 23.07.2024.