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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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warum? weil der Großvater des jetzigen Königs von Neapel in jener
Minerva porträtgetreu dargestellt war. Nicht minder heischt noch häusig der
Posten in der Villa Reale Neapels, daß man vor der Büste des Tasso daselbst
den Hüt ziehe; die Schweizer lassen sich nicht ausreden, es sei das Bild des
Königs, man werde, sie vor keinem andern Schildwache stehen lassen. Hier
wie dort findet man die Zumuthung abgeschmackt. Treue Kunstkenner wollen
indessen behaupten, das Gefühl, mit welchem sie in Kunstgalerien vor so
manchem Pscudoautor den Gläubigen spielen müssen, habe mit jenem Wider¬
willen nahe Verwandtschaft, und das Eine sei so schlimm wie das Andere.
Der junge Besitzer der Galerie Doria Pamfili in Rom hat sicherlich eine
nicht' gewöhnliche Kenntniß von dem, was echt und was unecht in seiner
Sammlung ist, aber dennoch ist für den vorurtheilsfreien Bewundrer seiner
Schätze nichts peinlicher, als wenn er den liebenswürdigen Cicerone macht.
Seine Heiligkeit Pio Nouv selbst macht keine erfolgreiche Propaganda für
das Dogma von der pontificalen Untrüglichkeit, wenn er vor dem verlorenen
Sohn des Murillo in dem Teppichzimmer des Vaticans die Vorzüglichkeit
dieses zweifelhaften Bildes hervorhebt, hinzufügend, er habe es aus Spanien
selbst erhalten und zwar aus höchster Hand.

In den meisten Fällen ähnlicher Voreingenommenheit von Seiten der
Besitzer reicht selbst die äußerste Vorsicht in Betreff der Fragen nach Ursprung
und Bürgschaft nicht aus. Wie jener enragirte Tarantellatänzer in Sorrento in
Ermanglung eines Tambourins aus einem mit Fell überspannten Topfe trommelte,
behauptend, das sei das echte Tambourin und alles Andere sei Nachahmung,
so liegt es nicht an dem guten Willen einer guten Anzahl Gemäldesammler,
wenn ihre Besucher beim Hinaustreten ins Freie über Copie und Original
nicht bis zu solchem Grade in Verwirrung gerathen sind, daß sie den Ruisdael
drinnen mit weniger Verdacht ansehen, als draußen die wirkliche Natur selbst,
die da ebenfalls behauptet Original zu sein.

Eine Menge Bilder verdanken das Fragezeichen, mit welchem die Kunst¬
geschichte sie brandmarkte, der redseligen Ueberzeugungsgewißheit ihrer Besitzer.
Es will der Verdruß sich auf irgend eine Weise Luft machen, und wer in der
Nähe nicht zum Schuß kam, schießt um so gewisser aus sicherer Ferne. Viele
solcher Bilder sind zu förmlichen Attrapcn geworden. Wir erinnern nur an
den quasi Cäsar Borgia der Galerie Borghese, über dessen Porträtähnlichkeit
und raphaelschen Ursprung jeder Kunstforscher, welcher zwischen Via Condotti
und Ripetta ein Stündchen grübelnde Muße erübrigt, seine Anmerkungen
niederschreibe. Man hat alle Unthaten und Mordgelüste deS größten Ver¬
worfenen, der je päpstliche Gunst genoß, aus diesem Gesicht herausgelesen,
man hat die übermäßig spitzen Finger definirt und den lockern Handschuh in
der einen Hand nicht ohne symbolischen Nebenbezug gelassen, -- und nun


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warum? weil der Großvater des jetzigen Königs von Neapel in jener
Minerva porträtgetreu dargestellt war. Nicht minder heischt noch häusig der
Posten in der Villa Reale Neapels, daß man vor der Büste des Tasso daselbst
den Hüt ziehe; die Schweizer lassen sich nicht ausreden, es sei das Bild des
Königs, man werde, sie vor keinem andern Schildwache stehen lassen. Hier
wie dort findet man die Zumuthung abgeschmackt. Treue Kunstkenner wollen
indessen behaupten, das Gefühl, mit welchem sie in Kunstgalerien vor so
manchem Pscudoautor den Gläubigen spielen müssen, habe mit jenem Wider¬
willen nahe Verwandtschaft, und das Eine sei so schlimm wie das Andere.
Der junge Besitzer der Galerie Doria Pamfili in Rom hat sicherlich eine
nicht' gewöhnliche Kenntniß von dem, was echt und was unecht in seiner
Sammlung ist, aber dennoch ist für den vorurtheilsfreien Bewundrer seiner
Schätze nichts peinlicher, als wenn er den liebenswürdigen Cicerone macht.
Seine Heiligkeit Pio Nouv selbst macht keine erfolgreiche Propaganda für
das Dogma von der pontificalen Untrüglichkeit, wenn er vor dem verlorenen
Sohn des Murillo in dem Teppichzimmer des Vaticans die Vorzüglichkeit
dieses zweifelhaften Bildes hervorhebt, hinzufügend, er habe es aus Spanien
selbst erhalten und zwar aus höchster Hand.

In den meisten Fällen ähnlicher Voreingenommenheit von Seiten der
Besitzer reicht selbst die äußerste Vorsicht in Betreff der Fragen nach Ursprung
und Bürgschaft nicht aus. Wie jener enragirte Tarantellatänzer in Sorrento in
Ermanglung eines Tambourins aus einem mit Fell überspannten Topfe trommelte,
behauptend, das sei das echte Tambourin und alles Andere sei Nachahmung,
so liegt es nicht an dem guten Willen einer guten Anzahl Gemäldesammler,
wenn ihre Besucher beim Hinaustreten ins Freie über Copie und Original
nicht bis zu solchem Grade in Verwirrung gerathen sind, daß sie den Ruisdael
drinnen mit weniger Verdacht ansehen, als draußen die wirkliche Natur selbst,
die da ebenfalls behauptet Original zu sein.

Eine Menge Bilder verdanken das Fragezeichen, mit welchem die Kunst¬
geschichte sie brandmarkte, der redseligen Ueberzeugungsgewißheit ihrer Besitzer.
Es will der Verdruß sich auf irgend eine Weise Luft machen, und wer in der
Nähe nicht zum Schuß kam, schießt um so gewisser aus sicherer Ferne. Viele
solcher Bilder sind zu förmlichen Attrapcn geworden. Wir erinnern nur an
den quasi Cäsar Borgia der Galerie Borghese, über dessen Porträtähnlichkeit
und raphaelschen Ursprung jeder Kunstforscher, welcher zwischen Via Condotti
und Ripetta ein Stündchen grübelnde Muße erübrigt, seine Anmerkungen
niederschreibe. Man hat alle Unthaten und Mordgelüste deS größten Ver¬
worfenen, der je päpstliche Gunst genoß, aus diesem Gesicht herausgelesen,
man hat die übermäßig spitzen Finger definirt und den lockern Handschuh in
der einen Hand nicht ohne symbolischen Nebenbezug gelassen, — und nun


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/35>, abgerufen am 22.07.2024.