Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

finden sich Nüchterne, welche die Autorschaft Raphaels streichen, andere, welche
nachweisen, daß sich das Costüm nicht mit dem Zeitalter Borgias reine, noch
andere -- und zu diesen gehören wir -- denen in einem Winkel der wenig
besuchten Galerie Correr zu Venedig ein rothhaariges kleines Porträt auffällt,
und denen der schweigsame Aufseher beiläufig bemerkt, es sei Cäsar Borgias
Porträt (keine Spur von Aehnlichkeit mit jenem borghesischen!) und die Familie
Grimani habe es dem Duca Balbi Vcilier vor kurzem aus ihrer Cabinet-
sammlung verehrt.

In sehr seltenen Fällen ist über irgend Derartiges unumstößliche Gewi߬
heit zu erlangen. Da so unendlich viel Falsches die Beurtheilung eines
Meisters, schon bei den Borstudien zu seiner Art und Weise, erschwert, so ist
selbst das seine Kunstgefühl eines vielgeübten Auges nicht immer von großen
Irrthümern frei. Dennoch gibt es außer diesem Wardein eigentlich keinen
andern, der Probe hält. Alle mechanischen Vorsichtsmaßregeln können trügen
und trügen wirklich fast immer, wo es sich um solche Bilder handelt, deren
hoher Preis den Scharfsinn der Nachahmer lohnend genug beschäftigt. Da
wird von der gewöhnlichen Art leichterer Nachahmung, künstliches nachdunkeln
im Schornstein u. a., abgegangen, da weiß man Leinwand, die heute niemand
mehr webt, aus den Rumpelkammern von Klöstern, Bibliotheken, Archiven und
wo sonst immer der Staub der Jahrhunderte sich aufhäufen kann, von arglosen
Kastellanen zu ihnen oft unbegreiflichen Preisen zu erhandeln; da setzt man
auch wol eigne Webstuhle dazu in Bewegung; oder verschreibt, wenn sichs
um Bilder auf Holz handelt, aus den heimathlichen Orten der nachzuahmenden
Meister alte Kisten und Kasten, denen der Wurm schon siebartige Eigenschaften
beigebracht hat; oder kauft gar Gemälde von Pfuschern aus jener Zeit auf,
hebt die Oelfarbendecke chemisch ab und bringt nun auf unzweifelhaft origi¬
nalen Grunde das Quasioriginal eines besser bezahlten Namens zu Stande.
Wer diesem Gewerbe etwas in die Karten zu sehen Gelegenheit hatte, weiß,
daß z. B. aus Spanien eine Menge solcher mittelmäßiger Bilder zu keinem
andern Zwecke die Pyrenäen Passiren, als um die Lücke irgend eines Privat¬
sammlers unter der Maske eines Velasquez oder Murillo ausfüllen zu helfen,
und zwar auf die angedeutete Weise wirklich in ein neues Werk alten Stils
umgewandelt. Man führe selbst einen gewiegten Liebhaber zu einem solchen Mach¬
werk und frage ihn, ober in seinem Gewissen immer mit sich einig werden kann,
ob er echte oder unechte Meisterwerke vor sich hat? Denn Meisterwerke sind
sie in solchen Fällen so wie so. Nicht nur die Copisten dieser oder jener
Schule bringen es durch ihr fast ausschließliches Festhalten an einer Epoche,
an e^mein Meister,, ja an einem Bilde desselben zu einer unglaublichen Meister¬
schaft in ihrer Specialität; freier Schaffende haben sich auch in den Geist des¬
jenigen, den ihr Talent schmarotzerartig zu ihrem Nahrungszweige gewählthat,


finden sich Nüchterne, welche die Autorschaft Raphaels streichen, andere, welche
nachweisen, daß sich das Costüm nicht mit dem Zeitalter Borgias reine, noch
andere — und zu diesen gehören wir — denen in einem Winkel der wenig
besuchten Galerie Correr zu Venedig ein rothhaariges kleines Porträt auffällt,
und denen der schweigsame Aufseher beiläufig bemerkt, es sei Cäsar Borgias
Porträt (keine Spur von Aehnlichkeit mit jenem borghesischen!) und die Familie
Grimani habe es dem Duca Balbi Vcilier vor kurzem aus ihrer Cabinet-
sammlung verehrt.

In sehr seltenen Fällen ist über irgend Derartiges unumstößliche Gewi߬
heit zu erlangen. Da so unendlich viel Falsches die Beurtheilung eines
Meisters, schon bei den Borstudien zu seiner Art und Weise, erschwert, so ist
selbst das seine Kunstgefühl eines vielgeübten Auges nicht immer von großen
Irrthümern frei. Dennoch gibt es außer diesem Wardein eigentlich keinen
andern, der Probe hält. Alle mechanischen Vorsichtsmaßregeln können trügen
und trügen wirklich fast immer, wo es sich um solche Bilder handelt, deren
hoher Preis den Scharfsinn der Nachahmer lohnend genug beschäftigt. Da
wird von der gewöhnlichen Art leichterer Nachahmung, künstliches nachdunkeln
im Schornstein u. a., abgegangen, da weiß man Leinwand, die heute niemand
mehr webt, aus den Rumpelkammern von Klöstern, Bibliotheken, Archiven und
wo sonst immer der Staub der Jahrhunderte sich aufhäufen kann, von arglosen
Kastellanen zu ihnen oft unbegreiflichen Preisen zu erhandeln; da setzt man
auch wol eigne Webstuhle dazu in Bewegung; oder verschreibt, wenn sichs
um Bilder auf Holz handelt, aus den heimathlichen Orten der nachzuahmenden
Meister alte Kisten und Kasten, denen der Wurm schon siebartige Eigenschaften
beigebracht hat; oder kauft gar Gemälde von Pfuschern aus jener Zeit auf,
hebt die Oelfarbendecke chemisch ab und bringt nun auf unzweifelhaft origi¬
nalen Grunde das Quasioriginal eines besser bezahlten Namens zu Stande.
Wer diesem Gewerbe etwas in die Karten zu sehen Gelegenheit hatte, weiß,
daß z. B. aus Spanien eine Menge solcher mittelmäßiger Bilder zu keinem
andern Zwecke die Pyrenäen Passiren, als um die Lücke irgend eines Privat¬
sammlers unter der Maske eines Velasquez oder Murillo ausfüllen zu helfen,
und zwar auf die angedeutete Weise wirklich in ein neues Werk alten Stils
umgewandelt. Man führe selbst einen gewiegten Liebhaber zu einem solchen Mach¬
werk und frage ihn, ober in seinem Gewissen immer mit sich einig werden kann,
ob er echte oder unechte Meisterwerke vor sich hat? Denn Meisterwerke sind
sie in solchen Fällen so wie so. Nicht nur die Copisten dieser oder jener
Schule bringen es durch ihr fast ausschließliches Festhalten an einer Epoche,
an e^mein Meister,, ja an einem Bilde desselben zu einer unglaublichen Meister¬
schaft in ihrer Specialität; freier Schaffende haben sich auch in den Geist des¬
jenigen, den ihr Talent schmarotzerartig zu ihrem Nahrungszweige gewählthat,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0036" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103169"/>
          <p xml:id="ID_107" prev="#ID_106"> finden sich Nüchterne, welche die Autorschaft Raphaels streichen, andere, welche<lb/>
nachweisen, daß sich das Costüm nicht mit dem Zeitalter Borgias reine, noch<lb/>
andere &#x2014; und zu diesen gehören wir &#x2014; denen in einem Winkel der wenig<lb/>
besuchten Galerie Correr zu Venedig ein rothhaariges kleines Porträt auffällt,<lb/>
und denen der schweigsame Aufseher beiläufig bemerkt, es sei Cäsar Borgias<lb/>
Porträt (keine Spur von Aehnlichkeit mit jenem borghesischen!) und die Familie<lb/>
Grimani habe es dem Duca Balbi Vcilier vor kurzem aus ihrer Cabinet-<lb/>
sammlung verehrt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_108" next="#ID_109"> In sehr seltenen Fällen ist über irgend Derartiges unumstößliche Gewi߬<lb/>
heit zu erlangen. Da so unendlich viel Falsches die Beurtheilung eines<lb/>
Meisters, schon bei den Borstudien zu seiner Art und Weise, erschwert, so ist<lb/>
selbst das seine Kunstgefühl eines vielgeübten Auges nicht immer von großen<lb/>
Irrthümern frei. Dennoch gibt es außer diesem Wardein eigentlich keinen<lb/>
andern, der Probe hält. Alle mechanischen Vorsichtsmaßregeln können trügen<lb/>
und trügen wirklich fast immer, wo es sich um solche Bilder handelt, deren<lb/>
hoher Preis den Scharfsinn der Nachahmer lohnend genug beschäftigt. Da<lb/>
wird von der gewöhnlichen Art leichterer Nachahmung, künstliches nachdunkeln<lb/>
im Schornstein u. a., abgegangen, da weiß man Leinwand, die heute niemand<lb/>
mehr webt, aus den Rumpelkammern von Klöstern, Bibliotheken, Archiven und<lb/>
wo sonst immer der Staub der Jahrhunderte sich aufhäufen kann, von arglosen<lb/>
Kastellanen zu ihnen oft unbegreiflichen Preisen zu erhandeln; da setzt man<lb/>
auch wol eigne Webstuhle dazu in Bewegung; oder verschreibt, wenn sichs<lb/>
um Bilder auf Holz handelt, aus den heimathlichen Orten der nachzuahmenden<lb/>
Meister alte Kisten und Kasten, denen der Wurm schon siebartige Eigenschaften<lb/>
beigebracht hat; oder kauft gar Gemälde von Pfuschern aus jener Zeit auf,<lb/>
hebt die Oelfarbendecke chemisch ab und bringt nun auf unzweifelhaft origi¬<lb/>
nalen Grunde das Quasioriginal eines besser bezahlten Namens zu Stande.<lb/>
Wer diesem Gewerbe etwas in die Karten zu sehen Gelegenheit hatte, weiß,<lb/>
daß z. B. aus Spanien eine Menge solcher mittelmäßiger Bilder zu keinem<lb/>
andern Zwecke die Pyrenäen Passiren, als um die Lücke irgend eines Privat¬<lb/>
sammlers unter der Maske eines Velasquez oder Murillo ausfüllen zu helfen,<lb/>
und zwar auf die angedeutete Weise wirklich in ein neues Werk alten Stils<lb/>
umgewandelt. Man führe selbst einen gewiegten Liebhaber zu einem solchen Mach¬<lb/>
werk und frage ihn, ober in seinem Gewissen immer mit sich einig werden kann,<lb/>
ob er echte oder unechte Meisterwerke vor sich hat? Denn Meisterwerke sind<lb/>
sie in solchen Fällen so wie so. Nicht nur die Copisten dieser oder jener<lb/>
Schule bringen es durch ihr fast ausschließliches Festhalten an einer Epoche,<lb/>
an e^mein Meister,, ja an einem Bilde desselben zu einer unglaublichen Meister¬<lb/>
schaft in ihrer Specialität; freier Schaffende haben sich auch in den Geist des¬<lb/>
jenigen, den ihr Talent schmarotzerartig zu ihrem Nahrungszweige gewählthat,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0036] finden sich Nüchterne, welche die Autorschaft Raphaels streichen, andere, welche nachweisen, daß sich das Costüm nicht mit dem Zeitalter Borgias reine, noch andere — und zu diesen gehören wir — denen in einem Winkel der wenig besuchten Galerie Correr zu Venedig ein rothhaariges kleines Porträt auffällt, und denen der schweigsame Aufseher beiläufig bemerkt, es sei Cäsar Borgias Porträt (keine Spur von Aehnlichkeit mit jenem borghesischen!) und die Familie Grimani habe es dem Duca Balbi Vcilier vor kurzem aus ihrer Cabinet- sammlung verehrt. In sehr seltenen Fällen ist über irgend Derartiges unumstößliche Gewi߬ heit zu erlangen. Da so unendlich viel Falsches die Beurtheilung eines Meisters, schon bei den Borstudien zu seiner Art und Weise, erschwert, so ist selbst das seine Kunstgefühl eines vielgeübten Auges nicht immer von großen Irrthümern frei. Dennoch gibt es außer diesem Wardein eigentlich keinen andern, der Probe hält. Alle mechanischen Vorsichtsmaßregeln können trügen und trügen wirklich fast immer, wo es sich um solche Bilder handelt, deren hoher Preis den Scharfsinn der Nachahmer lohnend genug beschäftigt. Da wird von der gewöhnlichen Art leichterer Nachahmung, künstliches nachdunkeln im Schornstein u. a., abgegangen, da weiß man Leinwand, die heute niemand mehr webt, aus den Rumpelkammern von Klöstern, Bibliotheken, Archiven und wo sonst immer der Staub der Jahrhunderte sich aufhäufen kann, von arglosen Kastellanen zu ihnen oft unbegreiflichen Preisen zu erhandeln; da setzt man auch wol eigne Webstuhle dazu in Bewegung; oder verschreibt, wenn sichs um Bilder auf Holz handelt, aus den heimathlichen Orten der nachzuahmenden Meister alte Kisten und Kasten, denen der Wurm schon siebartige Eigenschaften beigebracht hat; oder kauft gar Gemälde von Pfuschern aus jener Zeit auf, hebt die Oelfarbendecke chemisch ab und bringt nun auf unzweifelhaft origi¬ nalen Grunde das Quasioriginal eines besser bezahlten Namens zu Stande. Wer diesem Gewerbe etwas in die Karten zu sehen Gelegenheit hatte, weiß, daß z. B. aus Spanien eine Menge solcher mittelmäßiger Bilder zu keinem andern Zwecke die Pyrenäen Passiren, als um die Lücke irgend eines Privat¬ sammlers unter der Maske eines Velasquez oder Murillo ausfüllen zu helfen, und zwar auf die angedeutete Weise wirklich in ein neues Werk alten Stils umgewandelt. Man führe selbst einen gewiegten Liebhaber zu einem solchen Mach¬ werk und frage ihn, ober in seinem Gewissen immer mit sich einig werden kann, ob er echte oder unechte Meisterwerke vor sich hat? Denn Meisterwerke sind sie in solchen Fällen so wie so. Nicht nur die Copisten dieser oder jener Schule bringen es durch ihr fast ausschließliches Festhalten an einer Epoche, an e^mein Meister,, ja an einem Bilde desselben zu einer unglaublichen Meister¬ schaft in ihrer Specialität; freier Schaffende haben sich auch in den Geist des¬ jenigen, den ihr Talent schmarotzerartig zu ihrem Nahrungszweige gewählthat,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/36
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/36>, abgerufen am 22.07.2024.