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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Der ganzen Schöpfung Lebenskraft zeigt uns ihr Bild:
Unwandelbar im Wandel blüht sie neu und neu;
Und was der Schöpfung Leben gibt, ist auch für "us
Gesetz und Pflicht. . .

Nennt gleich der Blumen Königin die Rose sich,
So sprießt aus edleren Grunde, doch des Menschen Geist,
Als Blum' und Thier und selbst der Sterne reines Licht.
In aller Wesen Tiefe birgt sich treibend dies:
Was schaffend sich vollendet, wirkt des Lichtes Kraft.
Zur schönsten Einheit ordnet es der Welten Bau,
Ihn hält es fest verbunden als ihr co'geh Band.
So wirkt im Reich der Geister eine HimmclSmacht,
Die auch den Sonnen ihre Wunderkraft verliehn:
Es ist die Macht der Lieb' in ihrer Urgewalt.
Der Schöpfung tiefstes Räthsel hat nur sie gelöst,
Und ihre reinste Bildung ist des Weibes Herz.


Alexander.

Schon aus dieser parfümirten Blumensprache, die im Munde des mace-
donischen Napoleon fast wie Spott klingt, wird man entnehmen, daß es dem
Dichter weniger darauf ankommt, seinen Stoff in lebendiger Action zu ent¬
falten, als ihn in lyrische Stimmungen zu zersetzen, und daß er keinen An¬
stand nimmt, wo diese Stimmungen in dem Stoff selbst nicht liegen, sie von
außen hineinzutragen. Es ist das zum Theil persönliche Neigung, zum Theil
Schuld der Form; aber auch der Gegenstand hat ihn dazu verführt. Denn zu
Dithyramben gibt die Eroberung Asiens hinreichende Veranlassung; ein
Drama ist nicht daraus zu machen. Was fesselt uns an diesen Stoff? Zu¬
nächst die gerechte Begierde, uns so erstaunliche Thaten, die aller Analogie
spotten, verständlich zu machen. Das Factum, daß Alexander die persische
Monarchie gestürzt hat, genügt uns nicht, wir wollen ihn auf seiner Sieger-
laufvahn Tag für Tag verfolgen, wir wollen die Mittel kennen, die er an¬
wandte, um so ungeheure Erfolge zu erzielen, wir wollen unterscheiden, welche
Rolle dabei der Zufall und welche der tief und -weithin blickende Verstand
gespielt hat. Man mag Alexander mit Achilles vergleichen, der Vergleich
genügt doch nur einer ganz oberflächlichen Geschichtspl)it"sopl)le; zu der echten,
dauernden Bewunderung erheben wir uns erst, wenn wir an der Hand eines
gründlichen Geschichtschreibers seine FeldzugSpläne studiren, und in unserer
Zeit, wo die kindliche Neugierde den Spielraum in der gebildeten Welt ver¬
loren hat, ist nur derjenige berechtigt, den Helden zu preisen, der seine Größe
im strengsten Sinn des Worts ermißt. Wenn wir das Werk von Droysen
aufmerksam verfolgen, so werden uns nicht blos die militärischen und poli¬
tischen Details klar, wir erkennen nicht blos die Bedeutung seiner Thaten für
die Entwicklung der gesammten spätern Cultur, sondern wir lernen auch uns


Der ganzen Schöpfung Lebenskraft zeigt uns ihr Bild:
Unwandelbar im Wandel blüht sie neu und neu;
Und was der Schöpfung Leben gibt, ist auch für »us
Gesetz und Pflicht. . .

Nennt gleich der Blumen Königin die Rose sich,
So sprießt aus edleren Grunde, doch des Menschen Geist,
Als Blum' und Thier und selbst der Sterne reines Licht.
In aller Wesen Tiefe birgt sich treibend dies:
Was schaffend sich vollendet, wirkt des Lichtes Kraft.
Zur schönsten Einheit ordnet es der Welten Bau,
Ihn hält es fest verbunden als ihr co'geh Band.
So wirkt im Reich der Geister eine HimmclSmacht,
Die auch den Sonnen ihre Wunderkraft verliehn:
Es ist die Macht der Lieb' in ihrer Urgewalt.
Der Schöpfung tiefstes Räthsel hat nur sie gelöst,
Und ihre reinste Bildung ist des Weibes Herz.


Alexander.

Schon aus dieser parfümirten Blumensprache, die im Munde des mace-
donischen Napoleon fast wie Spott klingt, wird man entnehmen, daß es dem
Dichter weniger darauf ankommt, seinen Stoff in lebendiger Action zu ent¬
falten, als ihn in lyrische Stimmungen zu zersetzen, und daß er keinen An¬
stand nimmt, wo diese Stimmungen in dem Stoff selbst nicht liegen, sie von
außen hineinzutragen. Es ist das zum Theil persönliche Neigung, zum Theil
Schuld der Form; aber auch der Gegenstand hat ihn dazu verführt. Denn zu
Dithyramben gibt die Eroberung Asiens hinreichende Veranlassung; ein
Drama ist nicht daraus zu machen. Was fesselt uns an diesen Stoff? Zu¬
nächst die gerechte Begierde, uns so erstaunliche Thaten, die aller Analogie
spotten, verständlich zu machen. Das Factum, daß Alexander die persische
Monarchie gestürzt hat, genügt uns nicht, wir wollen ihn auf seiner Sieger-
laufvahn Tag für Tag verfolgen, wir wollen die Mittel kennen, die er an¬
wandte, um so ungeheure Erfolge zu erzielen, wir wollen unterscheiden, welche
Rolle dabei der Zufall und welche der tief und -weithin blickende Verstand
gespielt hat. Man mag Alexander mit Achilles vergleichen, der Vergleich
genügt doch nur einer ganz oberflächlichen Geschichtspl)it»sopl)le; zu der echten,
dauernden Bewunderung erheben wir uns erst, wenn wir an der Hand eines
gründlichen Geschichtschreibers seine FeldzugSpläne studiren, und in unserer
Zeit, wo die kindliche Neugierde den Spielraum in der gebildeten Welt ver¬
loren hat, ist nur derjenige berechtigt, den Helden zu preisen, der seine Größe
im strengsten Sinn des Worts ermißt. Wenn wir das Werk von Droysen
aufmerksam verfolgen, so werden uns nicht blos die militärischen und poli¬
tischen Details klar, wir erkennen nicht blos die Bedeutung seiner Thaten für
die Entwicklung der gesammten spätern Cultur, sondern wir lernen auch uns


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[0294] Der ganzen Schöpfung Lebenskraft zeigt uns ihr Bild: Unwandelbar im Wandel blüht sie neu und neu; Und was der Schöpfung Leben gibt, ist auch für »us Gesetz und Pflicht. . . Nennt gleich der Blumen Königin die Rose sich, So sprießt aus edleren Grunde, doch des Menschen Geist, Als Blum' und Thier und selbst der Sterne reines Licht. In aller Wesen Tiefe birgt sich treibend dies: Was schaffend sich vollendet, wirkt des Lichtes Kraft. Zur schönsten Einheit ordnet es der Welten Bau, Ihn hält es fest verbunden als ihr co'geh Band. So wirkt im Reich der Geister eine HimmclSmacht, Die auch den Sonnen ihre Wunderkraft verliehn: Es ist die Macht der Lieb' in ihrer Urgewalt. Der Schöpfung tiefstes Räthsel hat nur sie gelöst, Und ihre reinste Bildung ist des Weibes Herz. Alexander. Schon aus dieser parfümirten Blumensprache, die im Munde des mace- donischen Napoleon fast wie Spott klingt, wird man entnehmen, daß es dem Dichter weniger darauf ankommt, seinen Stoff in lebendiger Action zu ent¬ falten, als ihn in lyrische Stimmungen zu zersetzen, und daß er keinen An¬ stand nimmt, wo diese Stimmungen in dem Stoff selbst nicht liegen, sie von außen hineinzutragen. Es ist das zum Theil persönliche Neigung, zum Theil Schuld der Form; aber auch der Gegenstand hat ihn dazu verführt. Denn zu Dithyramben gibt die Eroberung Asiens hinreichende Veranlassung; ein Drama ist nicht daraus zu machen. Was fesselt uns an diesen Stoff? Zu¬ nächst die gerechte Begierde, uns so erstaunliche Thaten, die aller Analogie spotten, verständlich zu machen. Das Factum, daß Alexander die persische Monarchie gestürzt hat, genügt uns nicht, wir wollen ihn auf seiner Sieger- laufvahn Tag für Tag verfolgen, wir wollen die Mittel kennen, die er an¬ wandte, um so ungeheure Erfolge zu erzielen, wir wollen unterscheiden, welche Rolle dabei der Zufall und welche der tief und -weithin blickende Verstand gespielt hat. Man mag Alexander mit Achilles vergleichen, der Vergleich genügt doch nur einer ganz oberflächlichen Geschichtspl)it»sopl)le; zu der echten, dauernden Bewunderung erheben wir uns erst, wenn wir an der Hand eines gründlichen Geschichtschreibers seine FeldzugSpläne studiren, und in unserer Zeit, wo die kindliche Neugierde den Spielraum in der gebildeten Welt ver¬ loren hat, ist nur derjenige berechtigt, den Helden zu preisen, der seine Größe im strengsten Sinn des Worts ermißt. Wenn wir das Werk von Droysen aufmerksam verfolgen, so werden uns nicht blos die militärischen und poli¬ tischen Details klar, wir erkennen nicht blos die Bedeutung seiner Thaten für die Entwicklung der gesammten spätern Cultur, sondern wir lernen auch uns

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/294>, abgerufen am 22.12.2024.