Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.in seine Seele versetzen und die Wandlungen begreifen, die in einer so mäch¬ Der Dramatiker kann von diesem Stoffe nichts benutzen, denn wollte er Indem der Dichter die Geschichte Alexanders in einer Trilogie behandelt, Das Ungeschickte der Form liegt aber nicht blos in dieser übermäßigen in seine Seele versetzen und die Wandlungen begreifen, die in einer so mäch¬ Der Dramatiker kann von diesem Stoffe nichts benutzen, denn wollte er Indem der Dichter die Geschichte Alexanders in einer Trilogie behandelt, Das Ungeschickte der Form liegt aber nicht blos in dieser übermäßigen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0295" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103428"/> <p xml:id="ID_1060" prev="#ID_1059"> in seine Seele versetzen und die Wandlungen begreifen, die in einer so mäch¬<lb/> tigen Natur der Rausch traumähnlicher Erfolge hervorbringen mußte. Wenn<lb/> hier die Poesie mit der Geschichte wetteifern will, so kann sie es nur in der<lb/> Form des Epos. Alexander ist nicht blos eine historische, er ist im Bewußtsein<lb/> aller orientalischen Völker eine mythische Person geworden; und der epische<lb/> Dichter hat den doppelten Vortheil, seiner Phantasie eine große Freiheit geben<lb/> zu können und dabei doch zu seinen Schilderungen und Gemälden die glän¬<lb/> zendsten Stoffe zu benutzen, welche die Geschichte überhaupt darbietet. Etwas<lb/> davon findet man schon bei Curtius, der sich fast so liest, wie ein episches<lb/> Gedicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1061"> Der Dramatiker kann von diesem Stoffe nichts benutzen, denn wollte er<lb/> im Wechselgespräch oder im Recitativ die orientalische Natur charakterisieren,<lb/> so würde er den Zuhörer ermüden, und wollte er die entscheidenden Momente<lb/> im Leben des Helden mit Auslassung der Mittelglieder combiniren, so würden<lb/> sich daraus so schreiende Contraste ergeben, daß die behendeste Phantasie ihm<lb/> nicht folgen könnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1062"> Indem der Dichter die Geschichte Alexanders in einer Trilogie behandelt,<lb/> glaubt er diesem Uebelstand abzuhelfen. Wie sehr er sich aber über die Natur<lb/> seiner eignen Aufgabe täuscht, zeigt sich schon darin, daß er die Ansicht aus-<lb/> spricht, jedes seiner drei Stücke könne abgesondert aufgeführt werden: nur daS<lb/> dritte würde einen Eindruck machen, den beiden ersten würde jede Pointe,<lb/> jedes Interesse fehlen. Von der Idee der Trilogie könnten wir allmälig<lb/> zurückkommen. Sie hatte in Athen einen Sinn, wo die drei Stücke unmittel¬<lb/> bar hintereinander an einem Tage aufgeführt wurden, aber nicht bei uns, wo<lb/> das Publicum beim Schluß des fünften Acts die Geduld verliert. Wenn<lb/> Schiller dem bedeutendsten seiner Stücke durch diese ungeschickte Form den<lb/> Zugang zur Bühne erschwert hat, wie soll es dann den kleinern Talenten<lb/> gelingen, ein ähnliches Resultat zu vermeiden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1063" next="#ID_1064"> Das Ungeschickte der Form liegt aber nicht blos in dieser übermäßigen<lb/> Ausdehnung, sondern in den Versmaßen, in dem gräcisirenden Dialog, in der<lb/> ganzen akademischen Haltung. Was die Versmaße betrifft, so hat der Ver¬<lb/> sager allerdings gezeigt, daß der Deutsche im Stande ist, wohlklingende jam¬<lb/> bische Trimeter, anapästische und trochäische Tetrameter zu dichten, aber er hat<lb/> "icht gezeigt, daß eS dramatische Verse sind, und darauf kommt doch alles an.<lb/> Für den lebhaften Fluß des Gesprächs, sür die Action eignet sich in jeder<lb/> Sprache nur ein bestimmtes Versmaß, und wenn in einem Verse so glänzend<lb/> vorgearbeitet ist, wie bei uns durch Schiller und Goethe im fünffüßigen Jam¬<lb/> bus, so sollen die Dichter dabei bleiben, denn nur aus dem Festhalten der<lb/> Tradition geht ein bestimmter Stil hervor. Der Trimeter paßt für unser<lb/> Drama so wenig wie der Alexandriner, denn wenn der letztere bei uns schwer-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0295]
in seine Seele versetzen und die Wandlungen begreifen, die in einer so mäch¬
tigen Natur der Rausch traumähnlicher Erfolge hervorbringen mußte. Wenn
hier die Poesie mit der Geschichte wetteifern will, so kann sie es nur in der
Form des Epos. Alexander ist nicht blos eine historische, er ist im Bewußtsein
aller orientalischen Völker eine mythische Person geworden; und der epische
Dichter hat den doppelten Vortheil, seiner Phantasie eine große Freiheit geben
zu können und dabei doch zu seinen Schilderungen und Gemälden die glän¬
zendsten Stoffe zu benutzen, welche die Geschichte überhaupt darbietet. Etwas
davon findet man schon bei Curtius, der sich fast so liest, wie ein episches
Gedicht.
Der Dramatiker kann von diesem Stoffe nichts benutzen, denn wollte er
im Wechselgespräch oder im Recitativ die orientalische Natur charakterisieren,
so würde er den Zuhörer ermüden, und wollte er die entscheidenden Momente
im Leben des Helden mit Auslassung der Mittelglieder combiniren, so würden
sich daraus so schreiende Contraste ergeben, daß die behendeste Phantasie ihm
nicht folgen könnte.
Indem der Dichter die Geschichte Alexanders in einer Trilogie behandelt,
glaubt er diesem Uebelstand abzuhelfen. Wie sehr er sich aber über die Natur
seiner eignen Aufgabe täuscht, zeigt sich schon darin, daß er die Ansicht aus-
spricht, jedes seiner drei Stücke könne abgesondert aufgeführt werden: nur daS
dritte würde einen Eindruck machen, den beiden ersten würde jede Pointe,
jedes Interesse fehlen. Von der Idee der Trilogie könnten wir allmälig
zurückkommen. Sie hatte in Athen einen Sinn, wo die drei Stücke unmittel¬
bar hintereinander an einem Tage aufgeführt wurden, aber nicht bei uns, wo
das Publicum beim Schluß des fünften Acts die Geduld verliert. Wenn
Schiller dem bedeutendsten seiner Stücke durch diese ungeschickte Form den
Zugang zur Bühne erschwert hat, wie soll es dann den kleinern Talenten
gelingen, ein ähnliches Resultat zu vermeiden.
Das Ungeschickte der Form liegt aber nicht blos in dieser übermäßigen
Ausdehnung, sondern in den Versmaßen, in dem gräcisirenden Dialog, in der
ganzen akademischen Haltung. Was die Versmaße betrifft, so hat der Ver¬
sager allerdings gezeigt, daß der Deutsche im Stande ist, wohlklingende jam¬
bische Trimeter, anapästische und trochäische Tetrameter zu dichten, aber er hat
"icht gezeigt, daß eS dramatische Verse sind, und darauf kommt doch alles an.
Für den lebhaften Fluß des Gesprächs, sür die Action eignet sich in jeder
Sprache nur ein bestimmtes Versmaß, und wenn in einem Verse so glänzend
vorgearbeitet ist, wie bei uns durch Schiller und Goethe im fünffüßigen Jam¬
bus, so sollen die Dichter dabei bleiben, denn nur aus dem Festhalten der
Tradition geht ein bestimmter Stil hervor. Der Trimeter paßt für unser
Drama so wenig wie der Alexandriner, denn wenn der letztere bei uns schwer-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |