Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

langt, so ist es sehr sentimental, um nicht zu sagen lächerlich, einem Mi¬
nister dergleichen alltägliche Ausflüchte als Verbrechen vorzurechnen. Sokrates
selbst, der Edle, ließ einmal durch seinen Bedienten einem Fremden sagen, er sei
nicht zu Hause, während er in Wahrheit mit seinen Freunden philosophirte.
Ist ihnen dergleichen nicht selbst schon passirt?

Mehr als blos geschwächt, ja gradezu lächerlich werden diese Anklagen,
wenn man seit Jahren immer wieder von jenen Politikern die Versicherung hört,
daß nicht blos Lord Palmerston,' sondern alle englischen Staatsmänner, Refor¬
mer und Philantropen durch die Bank Verräther, Quacksalber und Heuchler
sind. Man wird kaum einen einzigen öffentlichen Charakter im ganzen briti¬
schen Reiche zu nennen wissen, der von ihnen nicht in den Koth getreten wor¬
den wäre: Derby und Disraeli mit ihrer ganzen Partei; Newcastle, Gladstone
und die kleine Heerschar der Peeliten; Cobden, Bright und die Manchester¬
schule; Roebuck, Layard und alle jene, die nie Reglerungsämter bekleideten;
Lord John Russell und die Whigs mehr noch als die übrigen. Nicht etwa
daß sie sich begnügt hätten, die öffentlichen Charaktere des Landes als schwach und
ihrer Aufgabe nicht gewachsen darzustellen, in dieser Beziehung bleibt einer be¬
sonnenen Kritik gewaltiger Spielraum--, nein, es sind ihrem Dafürhalten nach
alle ohne Ausnahme ganz erbärmliche kleine Schufte, die England und ihre
Ueberzeugung an den Meistbietenden verkaufen', Leute ohne Gewissen, ohne
Skrupel, ohne Ehre, ohne Gesinnung, ohne Patriotismus. Solche allgemeine
Verdammungsurtheile tragen ihre eigne Verdammuiß an der Stirn. Der
Stempel der Parteilichkeit, der ihnen aufgedrückt ist, macht sie nicht gefährlich.
Wie Lumpensammler, die im Kehricht stöbern, so suchen sie in den Polizei¬
berichten nach schmuzigen Geschichtchen. Aus diesen wird das gemacht, was sie
ihrem Publimm als unparteiischen Bericht englischer Zustände verkaufen.
Skandal ist Trumpf. Auf die Quelle wird nicht geachtet. Und daß es in
einem Lande der Oeffentlichkeit an Quellen aller Art nicht fehlt, ist begreiflich.

Vorwürfe vom Werth der obigen besitzen diese Herren Politiker in rei-


langt, so ist es sehr sentimental, um nicht zu sagen lächerlich, einem Mi¬
nister dergleichen alltägliche Ausflüchte als Verbrechen vorzurechnen. Sokrates
selbst, der Edle, ließ einmal durch seinen Bedienten einem Fremden sagen, er sei
nicht zu Hause, während er in Wahrheit mit seinen Freunden philosophirte.
Ist ihnen dergleichen nicht selbst schon passirt?

Mehr als blos geschwächt, ja gradezu lächerlich werden diese Anklagen,
wenn man seit Jahren immer wieder von jenen Politikern die Versicherung hört,
daß nicht blos Lord Palmerston,' sondern alle englischen Staatsmänner, Refor¬
mer und Philantropen durch die Bank Verräther, Quacksalber und Heuchler
sind. Man wird kaum einen einzigen öffentlichen Charakter im ganzen briti¬
schen Reiche zu nennen wissen, der von ihnen nicht in den Koth getreten wor¬
den wäre: Derby und Disraeli mit ihrer ganzen Partei; Newcastle, Gladstone
und die kleine Heerschar der Peeliten; Cobden, Bright und die Manchester¬
schule; Roebuck, Layard und alle jene, die nie Reglerungsämter bekleideten;
Lord John Russell und die Whigs mehr noch als die übrigen. Nicht etwa
daß sie sich begnügt hätten, die öffentlichen Charaktere des Landes als schwach und
ihrer Aufgabe nicht gewachsen darzustellen, in dieser Beziehung bleibt einer be¬
sonnenen Kritik gewaltiger Spielraum—, nein, es sind ihrem Dafürhalten nach
alle ohne Ausnahme ganz erbärmliche kleine Schufte, die England und ihre
Ueberzeugung an den Meistbietenden verkaufen', Leute ohne Gewissen, ohne
Skrupel, ohne Ehre, ohne Gesinnung, ohne Patriotismus. Solche allgemeine
Verdammungsurtheile tragen ihre eigne Verdammuiß an der Stirn. Der
Stempel der Parteilichkeit, der ihnen aufgedrückt ist, macht sie nicht gefährlich.
Wie Lumpensammler, die im Kehricht stöbern, so suchen sie in den Polizei¬
berichten nach schmuzigen Geschichtchen. Aus diesen wird das gemacht, was sie
ihrem Publimm als unparteiischen Bericht englischer Zustände verkaufen.
Skandal ist Trumpf. Auf die Quelle wird nicht geachtet. Und daß es in
einem Lande der Oeffentlichkeit an Quellen aller Art nicht fehlt, ist begreiflich.

Vorwürfe vom Werth der obigen besitzen diese Herren Politiker in rei-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0029" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103162"/>
          <p xml:id="ID_82" prev="#ID_81"> langt, so ist es sehr sentimental, um nicht zu sagen lächerlich, einem Mi¬<lb/>
nister dergleichen alltägliche Ausflüchte als Verbrechen vorzurechnen. Sokrates<lb/>
selbst, der Edle, ließ einmal durch seinen Bedienten einem Fremden sagen, er sei<lb/>
nicht zu Hause, während er in Wahrheit mit seinen Freunden philosophirte.<lb/>
Ist ihnen dergleichen nicht selbst schon passirt?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_83"> Mehr als blos geschwächt, ja gradezu lächerlich werden diese Anklagen,<lb/>
wenn man seit Jahren immer wieder von jenen Politikern die Versicherung hört,<lb/>
daß nicht blos Lord Palmerston,' sondern alle englischen Staatsmänner, Refor¬<lb/>
mer und Philantropen durch die Bank Verräther, Quacksalber und Heuchler<lb/>
sind. Man wird kaum einen einzigen öffentlichen Charakter im ganzen briti¬<lb/>
schen Reiche zu nennen wissen, der von ihnen nicht in den Koth getreten wor¬<lb/>
den wäre: Derby und Disraeli mit ihrer ganzen Partei; Newcastle, Gladstone<lb/>
und die kleine Heerschar der Peeliten; Cobden, Bright und die Manchester¬<lb/>
schule; Roebuck, Layard und alle jene, die nie Reglerungsämter bekleideten;<lb/>
Lord John Russell und die Whigs mehr noch als die übrigen. Nicht etwa<lb/>
daß sie sich begnügt hätten, die öffentlichen Charaktere des Landes als schwach und<lb/>
ihrer Aufgabe nicht gewachsen darzustellen, in dieser Beziehung bleibt einer be¬<lb/>
sonnenen Kritik gewaltiger Spielraum&#x2014;, nein, es sind ihrem Dafürhalten nach<lb/>
alle ohne Ausnahme ganz erbärmliche kleine Schufte, die England und ihre<lb/>
Ueberzeugung an den Meistbietenden verkaufen', Leute ohne Gewissen, ohne<lb/>
Skrupel, ohne Ehre, ohne Gesinnung, ohne Patriotismus. Solche allgemeine<lb/>
Verdammungsurtheile tragen ihre eigne Verdammuiß an der Stirn. Der<lb/>
Stempel der Parteilichkeit, der ihnen aufgedrückt ist, macht sie nicht gefährlich.<lb/>
Wie Lumpensammler, die im Kehricht stöbern, so suchen sie in den Polizei¬<lb/>
berichten nach schmuzigen Geschichtchen. Aus diesen wird das gemacht, was sie<lb/>
ihrem Publimm als unparteiischen Bericht englischer Zustände verkaufen.<lb/>
Skandal ist Trumpf. Auf die Quelle wird nicht geachtet. Und daß es in<lb/>
einem Lande der Oeffentlichkeit an Quellen aller Art nicht fehlt, ist begreiflich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_84" next="#ID_85"> Vorwürfe vom Werth der obigen besitzen diese Herren Politiker in rei-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0029] langt, so ist es sehr sentimental, um nicht zu sagen lächerlich, einem Mi¬ nister dergleichen alltägliche Ausflüchte als Verbrechen vorzurechnen. Sokrates selbst, der Edle, ließ einmal durch seinen Bedienten einem Fremden sagen, er sei nicht zu Hause, während er in Wahrheit mit seinen Freunden philosophirte. Ist ihnen dergleichen nicht selbst schon passirt? Mehr als blos geschwächt, ja gradezu lächerlich werden diese Anklagen, wenn man seit Jahren immer wieder von jenen Politikern die Versicherung hört, daß nicht blos Lord Palmerston,' sondern alle englischen Staatsmänner, Refor¬ mer und Philantropen durch die Bank Verräther, Quacksalber und Heuchler sind. Man wird kaum einen einzigen öffentlichen Charakter im ganzen briti¬ schen Reiche zu nennen wissen, der von ihnen nicht in den Koth getreten wor¬ den wäre: Derby und Disraeli mit ihrer ganzen Partei; Newcastle, Gladstone und die kleine Heerschar der Peeliten; Cobden, Bright und die Manchester¬ schule; Roebuck, Layard und alle jene, die nie Reglerungsämter bekleideten; Lord John Russell und die Whigs mehr noch als die übrigen. Nicht etwa daß sie sich begnügt hätten, die öffentlichen Charaktere des Landes als schwach und ihrer Aufgabe nicht gewachsen darzustellen, in dieser Beziehung bleibt einer be¬ sonnenen Kritik gewaltiger Spielraum—, nein, es sind ihrem Dafürhalten nach alle ohne Ausnahme ganz erbärmliche kleine Schufte, die England und ihre Ueberzeugung an den Meistbietenden verkaufen', Leute ohne Gewissen, ohne Skrupel, ohne Ehre, ohne Gesinnung, ohne Patriotismus. Solche allgemeine Verdammungsurtheile tragen ihre eigne Verdammuiß an der Stirn. Der Stempel der Parteilichkeit, der ihnen aufgedrückt ist, macht sie nicht gefährlich. Wie Lumpensammler, die im Kehricht stöbern, so suchen sie in den Polizei¬ berichten nach schmuzigen Geschichtchen. Aus diesen wird das gemacht, was sie ihrem Publimm als unparteiischen Bericht englischer Zustände verkaufen. Skandal ist Trumpf. Auf die Quelle wird nicht geachtet. Und daß es in einem Lande der Oeffentlichkeit an Quellen aller Art nicht fehlt, ist begreiflich. Vorwürfe vom Werth der obigen besitzen diese Herren Politiker in rei-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/29
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/29>, abgerufen am 22.12.2024.