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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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zu machen, indem wir uns selbst in der Defensive halten, und kein Vertrauen
in die Freundschaft derjenigen zu setzen, deren Interessen nicht mit den unsrigen
übereinstimmen. ES war ferner unsere Politik, keine Gelegenheit zu versäumen,
wo wir ihnen schaden können, ohne deshalb öffentlich unsere Bündnisse mit
ihnen zu brechen." Aber wie gesagt, mag eine russische Eroberungspolitik
gegen die britischen Besitzungen in Indien auch weiter nichts als ein Product
englischer Einbildungskraft sein, so halten die Engländer doch dieses Phantasie¬
bild mit Entschiedenheit und Beharrlichkeit fest, und daraus ist der Plan der
britischen Regierung hervorgegangen, Persien wegen seines Angriffes auf
Herat zu züchtigen.

Die strategische Bedeutung Herats mit Rücksicht auf einen Marsch der
Russen gegen Britisch-Jndien ist bereits in Ur. 2 der Grenzboten von diesem
Jahre besprochen worden. Hier geben wir eine geographische Darstellung
dieses sogenannten "Schlüssels von Indien". Doch müssen wir bemerken,
daß' sich unsere Kenntniß von diesem Kreuzungspunkte britischer und russischer
Intriguen im Wesentlichen auf das beschränkt, was uns die neuern Reisenden
Kinneir, Conolly, Gerard, Fräser, Alexander Burnes und nach ihnen Moritz
Wagner, Professor Neumann u. f. w. über Herats natürliche, landschaftliche
und architektonische Beschaffenheit, seine Einfügung in das mittelasiatische
Gebirgösystem, sein geographisches Verhältniß zu dem Nachbarlande Khorassan,
der nordöstlichsten Provinz Persiens, von welcher Herat die südöstliche Vorder¬
stufe bildet, so wie über seine gewerblichen, commerciellen und Bevölkerungs¬
verhältnisse mitgetheilt haben.

Wir betrachten zuvörderst die Stellung, welche Herat in dem Gebirgs-
system von Mittelasien einnimmt, und hier müssen wir von der unermeßlichen
Gebirgskette ausgehen, welche, aus den westlichen Alpengauen und Hoch¬
landen des chinesischen Reichs aufsteigend, sich unter dem Namen Himalaya
oder Schneewohnung nach Nordwesten zieht und sich wiederum in mehre über-
einandergethürmte Gebirgsmassen spaltet. Ihre westliche Fortsetzung gibt an
riesenhafter Größe und wilder Erhabenheit der östlichen Abtheilung nichts
nach und hat von den aus Turan nach Indien führenden Pässen den Namen
Hindokuh (Hindu-Kho, Hindukusch d. i. indisches Gebirge) erhalten. Dieses Ge¬
birge läuft weiter nach Westen in den Gebirgsketten aus, die mon unter ven
Namen Paropamisus der Alten zusammenfaßt, und diese Ausläufer stehen,
freilich mit Unterbrechungen durch die Wüste und die Oasen Khorassans, mit
dem Elbrus des kaspischen Meeres und durch denselben einerseits mit dem Kau¬
kasus und andrerseits mit dem Taurus Kleinasiens im Zusammenhang. Die
neuesten Forschungen über diese Gegenden haben diese systematische Auffassung
des zusammenhängenden großen mittelasiatischen Gebirgszuges, wie sie sich
schon bei den Geographen des Alterthums findet, im Ganzen bestätigt, und


zu machen, indem wir uns selbst in der Defensive halten, und kein Vertrauen
in die Freundschaft derjenigen zu setzen, deren Interessen nicht mit den unsrigen
übereinstimmen. ES war ferner unsere Politik, keine Gelegenheit zu versäumen,
wo wir ihnen schaden können, ohne deshalb öffentlich unsere Bündnisse mit
ihnen zu brechen." Aber wie gesagt, mag eine russische Eroberungspolitik
gegen die britischen Besitzungen in Indien auch weiter nichts als ein Product
englischer Einbildungskraft sein, so halten die Engländer doch dieses Phantasie¬
bild mit Entschiedenheit und Beharrlichkeit fest, und daraus ist der Plan der
britischen Regierung hervorgegangen, Persien wegen seines Angriffes auf
Herat zu züchtigen.

Die strategische Bedeutung Herats mit Rücksicht auf einen Marsch der
Russen gegen Britisch-Jndien ist bereits in Ur. 2 der Grenzboten von diesem
Jahre besprochen worden. Hier geben wir eine geographische Darstellung
dieses sogenannten „Schlüssels von Indien". Doch müssen wir bemerken,
daß' sich unsere Kenntniß von diesem Kreuzungspunkte britischer und russischer
Intriguen im Wesentlichen auf das beschränkt, was uns die neuern Reisenden
Kinneir, Conolly, Gerard, Fräser, Alexander Burnes und nach ihnen Moritz
Wagner, Professor Neumann u. f. w. über Herats natürliche, landschaftliche
und architektonische Beschaffenheit, seine Einfügung in das mittelasiatische
Gebirgösystem, sein geographisches Verhältniß zu dem Nachbarlande Khorassan,
der nordöstlichsten Provinz Persiens, von welcher Herat die südöstliche Vorder¬
stufe bildet, so wie über seine gewerblichen, commerciellen und Bevölkerungs¬
verhältnisse mitgetheilt haben.

Wir betrachten zuvörderst die Stellung, welche Herat in dem Gebirgs-
system von Mittelasien einnimmt, und hier müssen wir von der unermeßlichen
Gebirgskette ausgehen, welche, aus den westlichen Alpengauen und Hoch¬
landen des chinesischen Reichs aufsteigend, sich unter dem Namen Himalaya
oder Schneewohnung nach Nordwesten zieht und sich wiederum in mehre über-
einandergethürmte Gebirgsmassen spaltet. Ihre westliche Fortsetzung gibt an
riesenhafter Größe und wilder Erhabenheit der östlichen Abtheilung nichts
nach und hat von den aus Turan nach Indien führenden Pässen den Namen
Hindokuh (Hindu-Kho, Hindukusch d. i. indisches Gebirge) erhalten. Dieses Ge¬
birge läuft weiter nach Westen in den Gebirgsketten aus, die mon unter ven
Namen Paropamisus der Alten zusammenfaßt, und diese Ausläufer stehen,
freilich mit Unterbrechungen durch die Wüste und die Oasen Khorassans, mit
dem Elbrus des kaspischen Meeres und durch denselben einerseits mit dem Kau¬
kasus und andrerseits mit dem Taurus Kleinasiens im Zusammenhang. Die
neuesten Forschungen über diese Gegenden haben diese systematische Auffassung
des zusammenhängenden großen mittelasiatischen Gebirgszuges, wie sie sich
schon bei den Geographen des Alterthums findet, im Ganzen bestätigt, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/256>, abgerufen am 22.12.2024.