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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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sein höheres Alter mit Nahrungssorgen und Geldverlegenheiten zu kämpfen.
Als kleiner Knabe hatte er das Leben eines fahrenden Schülers mit allen
seine" Schrecken durchgemacht. Der harte Kampf mit dem Leben hatte die
gewöhnlichen Wirkungen auf sein Gemüth ausgeübt; er war bei einer un¬
ruhigen Unternehmungslust, die ihn zuweilen im stetigen Verfolgen eines
Planes störte, doch ohne rechtes Selbstvertrauen, leicht verwirrt, reizbar und
grämlich. Sein Sohn Felix, das einzige Kind erster Ehe, hatte dagegen das
fröhliche Naturell einer einfachen Mutter geerbt, er war ein heiterer, warm¬
herziger Bursch, ein wenig eitel, großer Freund der Musik und des Tanzes,
dabei ein gescheidter, offener und anschlägiger Kopf. Er war noch fast Knabe,
als ihn sein Vater aus Basel nach der berühmten medicinischen Facultät der
Universität Montpellier sandte. Von dort brachte Felix außer dem, was damals
die medicinische Wissenschaft vorstellte, auch allerlei französische Feinheiten in
das enge bürgerliche Leben seiner Vaterstadt zurück, wurde dort mit Ä-I Jahren
zum Doctor promovirt, und heirathete ein Mädchen, mit dem er schon als
Kind geneckt worden war. Er erwarb einen ungewöhnlichen Ruf, wurde
Professor a" der Universität und ein angesehener, wohlhabender Mann, der
hochbejahrt nach glücklicher Ehe starb. Um die Stadt Basel hat er sich durch
die aufopferndste Thätigkeit in schweren Pestzciten große Verdienste erworben,
ebenso als Gelehrter um die medicinische Facultät seiner Universität, als be¬
rühmter Arzt wurde er oft von fürstlichen Personen auch in Deutschland und
Frankreich consultirt. Er legte einen botanischen Garten zü Basel an, und war
Besitzer eines naturwissenschaftlichen Cabinets, das er sogar für Geld sehen
lassen konnte. Wie sein Vater, beschrieb er selbst einen Theil seines Lebens.
Das hier folgende Bruchstück ist aus einem Abdruck des Manuscripts: "Thomas
Platter und Felir Platter, zwei Autobiographien, herausgegeben von Dr.
D. A. Fechter, Basel 18i0" in die Sprache unserer Zeit übertragen.

Die Erzählung beginnt an dem Tage, wo der junge Felir mit dem
Selbstgefühl eines studirten Mannes von Montpellier nach seiner Vaterstadt
zurückgekehrt ist.

-.umta.,n(as^^i'c>in-izsnvq/npS'-
-- Es empfingen much meine Nachbarn und war große Freude in der
Gasse, und wie ich später erfuhr, lief die Magd der Hebamme Dorly Becherer
vor das Haus meines künftigen Schwiegervaters und gewann meiner Zukünf¬
tigen das Botenbrot*) ab, welche darüber erschrak, weil sie zu laut dabei
schrie. -- Man rüstete das Nachtessen. Dabei blieben meine Gesellen, die
meine Ankunft erfahren hatten und mich gleich besuchten.. Nach dem Nacht-
essen gaben wir ihnen daS Geleit zur Krone und gingen die Freienstraße hinab,



") Die Belohnung für das erste Ueberbringen einer guten Nachricht. Das Botenbrot
zu fordern und zu geben war im ganzen deutschen Mittelalter Brauch.

sein höheres Alter mit Nahrungssorgen und Geldverlegenheiten zu kämpfen.
Als kleiner Knabe hatte er das Leben eines fahrenden Schülers mit allen
seine» Schrecken durchgemacht. Der harte Kampf mit dem Leben hatte die
gewöhnlichen Wirkungen auf sein Gemüth ausgeübt; er war bei einer un¬
ruhigen Unternehmungslust, die ihn zuweilen im stetigen Verfolgen eines
Planes störte, doch ohne rechtes Selbstvertrauen, leicht verwirrt, reizbar und
grämlich. Sein Sohn Felix, das einzige Kind erster Ehe, hatte dagegen das
fröhliche Naturell einer einfachen Mutter geerbt, er war ein heiterer, warm¬
herziger Bursch, ein wenig eitel, großer Freund der Musik und des Tanzes,
dabei ein gescheidter, offener und anschlägiger Kopf. Er war noch fast Knabe,
als ihn sein Vater aus Basel nach der berühmten medicinischen Facultät der
Universität Montpellier sandte. Von dort brachte Felix außer dem, was damals
die medicinische Wissenschaft vorstellte, auch allerlei französische Feinheiten in
das enge bürgerliche Leben seiner Vaterstadt zurück, wurde dort mit Ä-I Jahren
zum Doctor promovirt, und heirathete ein Mädchen, mit dem er schon als
Kind geneckt worden war. Er erwarb einen ungewöhnlichen Ruf, wurde
Professor a» der Universität und ein angesehener, wohlhabender Mann, der
hochbejahrt nach glücklicher Ehe starb. Um die Stadt Basel hat er sich durch
die aufopferndste Thätigkeit in schweren Pestzciten große Verdienste erworben,
ebenso als Gelehrter um die medicinische Facultät seiner Universität, als be¬
rühmter Arzt wurde er oft von fürstlichen Personen auch in Deutschland und
Frankreich consultirt. Er legte einen botanischen Garten zü Basel an, und war
Besitzer eines naturwissenschaftlichen Cabinets, das er sogar für Geld sehen
lassen konnte. Wie sein Vater, beschrieb er selbst einen Theil seines Lebens.
Das hier folgende Bruchstück ist aus einem Abdruck des Manuscripts: „Thomas
Platter und Felir Platter, zwei Autobiographien, herausgegeben von Dr.
D. A. Fechter, Basel 18i0" in die Sprache unserer Zeit übertragen.

Die Erzählung beginnt an dem Tage, wo der junge Felir mit dem
Selbstgefühl eines studirten Mannes von Montpellier nach seiner Vaterstadt
zurückgekehrt ist.

-.umta.,n(as^^i'c>in-izsnvq/npS'-
— Es empfingen much meine Nachbarn und war große Freude in der
Gasse, und wie ich später erfuhr, lief die Magd der Hebamme Dorly Becherer
vor das Haus meines künftigen Schwiegervaters und gewann meiner Zukünf¬
tigen das Botenbrot*) ab, welche darüber erschrak, weil sie zu laut dabei
schrie. — Man rüstete das Nachtessen. Dabei blieben meine Gesellen, die
meine Ankunft erfahren hatten und mich gleich besuchten.. Nach dem Nacht-
essen gaben wir ihnen daS Geleit zur Krone und gingen die Freienstraße hinab,



") Die Belohnung für das erste Ueberbringen einer guten Nachricht. Das Botenbrot
zu fordern und zu geben war im ganzen deutschen Mittelalter Brauch.
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[0238] sein höheres Alter mit Nahrungssorgen und Geldverlegenheiten zu kämpfen. Als kleiner Knabe hatte er das Leben eines fahrenden Schülers mit allen seine» Schrecken durchgemacht. Der harte Kampf mit dem Leben hatte die gewöhnlichen Wirkungen auf sein Gemüth ausgeübt; er war bei einer un¬ ruhigen Unternehmungslust, die ihn zuweilen im stetigen Verfolgen eines Planes störte, doch ohne rechtes Selbstvertrauen, leicht verwirrt, reizbar und grämlich. Sein Sohn Felix, das einzige Kind erster Ehe, hatte dagegen das fröhliche Naturell einer einfachen Mutter geerbt, er war ein heiterer, warm¬ herziger Bursch, ein wenig eitel, großer Freund der Musik und des Tanzes, dabei ein gescheidter, offener und anschlägiger Kopf. Er war noch fast Knabe, als ihn sein Vater aus Basel nach der berühmten medicinischen Facultät der Universität Montpellier sandte. Von dort brachte Felix außer dem, was damals die medicinische Wissenschaft vorstellte, auch allerlei französische Feinheiten in das enge bürgerliche Leben seiner Vaterstadt zurück, wurde dort mit Ä-I Jahren zum Doctor promovirt, und heirathete ein Mädchen, mit dem er schon als Kind geneckt worden war. Er erwarb einen ungewöhnlichen Ruf, wurde Professor a» der Universität und ein angesehener, wohlhabender Mann, der hochbejahrt nach glücklicher Ehe starb. Um die Stadt Basel hat er sich durch die aufopferndste Thätigkeit in schweren Pestzciten große Verdienste erworben, ebenso als Gelehrter um die medicinische Facultät seiner Universität, als be¬ rühmter Arzt wurde er oft von fürstlichen Personen auch in Deutschland und Frankreich consultirt. Er legte einen botanischen Garten zü Basel an, und war Besitzer eines naturwissenschaftlichen Cabinets, das er sogar für Geld sehen lassen konnte. Wie sein Vater, beschrieb er selbst einen Theil seines Lebens. Das hier folgende Bruchstück ist aus einem Abdruck des Manuscripts: „Thomas Platter und Felir Platter, zwei Autobiographien, herausgegeben von Dr. D. A. Fechter, Basel 18i0" in die Sprache unserer Zeit übertragen. Die Erzählung beginnt an dem Tage, wo der junge Felir mit dem Selbstgefühl eines studirten Mannes von Montpellier nach seiner Vaterstadt zurückgekehrt ist. -.umta.,n(as^^i'c>in-izsnvq/npS'- — Es empfingen much meine Nachbarn und war große Freude in der Gasse, und wie ich später erfuhr, lief die Magd der Hebamme Dorly Becherer vor das Haus meines künftigen Schwiegervaters und gewann meiner Zukünf¬ tigen das Botenbrot*) ab, welche darüber erschrak, weil sie zu laut dabei schrie. — Man rüstete das Nachtessen. Dabei blieben meine Gesellen, die meine Ankunft erfahren hatten und mich gleich besuchten.. Nach dem Nacht- essen gaben wir ihnen daS Geleit zur Krone und gingen die Freienstraße hinab, ") Die Belohnung für das erste Ueberbringen einer guten Nachricht. Das Botenbrot zu fordern und zu geben war im ganzen deutschen Mittelalter Brauch.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/238>, abgerufen am 22.07.2024.